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Was war. Was wird. Ruhig ist das Blut und fröhlich die Weihnukka.

Manch kleine Probleme der Vergangenheit stellen sich als Ursache heutiger Übel heraus. Als ob das nicht reichte, bleibt genug Unsinn anzustellen, dass das Wahren ruhigen Blutes nicht nur Hal Faber schwerfällt. Vor allem, wenn's Blut im Stacheldraht klebt.

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Stacheldraht, Blut
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Auch ein Weihnachtsbaum: Das Häkelschwein bewundert die Digitalinstallation in der analogen Realität

(Bild: Keineswegs das Häkelschwein selbst, aber zur weiteren Information )

*** Diese kleine Weihnachts-Wochenschau trällert nichts über letztes Weihnachten und schwer misteriöser Herzübergaben. Auch die fundamentale soziale Ungleichheit in unserer Gesellschaft, dieses weihnachtliche Krippenthema, ist heute nicht im Angebot. Diese Wochenschau ist für die einfache Mehrheit in Deutschland geschrieben, die in ihrem Leben ohne die Anbetung höherer Wesen auskommt. Aber was heißt schon Mehrheit: Das Jahr 2016 ist eines der sehr seltenen Jahre, an denen Weihnachten und Chanukka zusammenfallen und damit kann Weihnukka gefeiert werden.

*** Wobei Mehrheiten in Deutschland bekanntermaßen gefährlich schwankend sind, nicht nur in vergangenen Zeiten: Letzte Woche noch war eine Mehrheit der Deutschen der absolut bessere Bundestrainer als Herr Löw, diese Woche ist die neue Mehrheit davon überzeugt, bessere Fahnder und Spurenauswärter zu sein als die Fachleute in den Diensten und Polizeibehörden. Wenn ein Handy im dritten Anlauf gefunden wird, lachen die ehemaligen Bundestrainer und neugebackenen Abschiebehaftexperten. Dazu gackert das Kommentariat und fordert Konsequenzen, vom rechtspolitisierenden Hacker bis zum linksdrehenden Politiker. In der Anbetung des Staates gleichen sich die Wurstenden.

*** An dieser Stelle fehlt das Urteil, das die Süddeutsche Zeitung hinter ihrer Paywall über die sozialen Medien Deutschlands gefällt hat: Vorbildlich zurückhaltend, geradezu staatstragend sollen sich die Menschen auf Twitter und Facebook nach dem Attentat von Berlin verhalten haben, sieht man von den Dschihadisten der AfD ab. Ganz anders als die Terror-Experten und Erklärer, die von einer Weihnachtsmarktkultur reden und Motive bei denen suchen, die ihre Mordlust ausleben. Sei's drum: Mehr als diese lächerlichen Fake-News der Experten fürchte ich die Fake-Besserwisser oder die Fake-Selbstgerechten, die auf den jetzt aufgebauten mächtigen Beton-Perimetern der Weihnachtsmärkte ihre dummen Kommentare als Sprayer verbreiteten. "Muslime raus" steht da und ist einfach nur Schwachsinn.

*** Wer möchte jetzt nicht im Hause der hugenottischen Glaubensflüchtlinge Weihnachten feiern, wo geschäftig an neuen Gesetzen gebastelt wird, mit ganz vielen Videokameras, mehr Überwachung, mehr Kontrolle und mehr Datenspeicherung allüberall? Die gesammelten Datenbestände über den Terroristen "Amri" sind enorm und wurden selbst auf den Schirmen im GTAZ in Treptow gesehen und diskutiert. Das aber reicht nicht, denn Freiheit und Sicherheit bedingen einander, wie es in den Alltagsreden routinemäßig heißt, wenn die Freiheit wieder einmal eingeschränkt wird. Die schiere Sinnlosigkeit von geforderten Maßnahmen wie Fußfesseln für islamistische Gefährder wird deutlich, ultraschnelle Abschiebung eingeschlossen. Genau einen Tag nach dem Tod des Terroristen Amri trafen seine neuen Papiere in der Erstaufnahme ein, so kann das BAMF den Fall als korrekt gelöst abhaken. Anderswo erschallt der Ruf, die Datenbanken noch besser zu verzahnen, zu vergrößern und schlichte Fragen für das US-amerikanische ESTA-Formular dem eigenen Untertanen vorzulegen. Auf Youtube, auf Twitter und wie war noch der Facebook-Account? Soso, und in den Heise-Foren posten sie auch noch?

*** Nun, es gibt in den USA nicht nur ESTA-Formulare, sondern als Werbung geschaltete Tipps, wie mit dem Bedrohungsmodell Trump umgegangen werden kann. Verschlüsseln der Kommunikation und der Daten, Löschen aller anderen Daten, jeden Angriff auf die Redefreiheit transparent machen und ganz generell Widerstand leisten, so will die Electronic Frontier Foundation sicherstellen, dass die "befreiende" Internet-Technologie nicht als Werkzeug der Unterdrückung missbraucht wird. Das gilt auch für die IT-Firmen, die in die Gänge kommen und Schadensbegrenzung betreiben sollen. Neben diesen praktischen Verhaltenstipps gibt es in den USA Ansätze, die sandersistische "Revolution" über die Jahre zu retten und eine neue soziale Bewegung in Gang zu bringen. In der ersten Ausgabe der c't 2017 gibt es ein Interview mit Richard Stallman, in dem dieser den Helden Edward Snowden lobt und das zarte Pflänzchen Demokratie in Gefahr sieht, wenn der Staat die Whistleblower enttarnen und Informationen unterdrücken kann.Gefragt, was er beim Thema Überwachung von Donald Trump hält, antwortet Stallman: "Ich befürchte, dass er es noch schlimmer macht. Sehen Sie, in den 80er-Jahren waren Überwachung und unfreie Software für die meisten Leute lächerlich kleine Probleme. Sie dachten, ich mache aus einer Mücke einen Elefanten. Aber heute zeigt sich: Diese Fragen bestimmen unser Leben."

*** US-Präsident Donald Trump möchte unberechenbar sein, auch in Bezug auf die Atomwaffen. Immerhin besteht die Hoffnung, dass die US-Bewaffnung etwas moderner ist als die der Brexit-Planer in Großbritannien, wo die U-Boote mit den Atomraketen sich auf eine Steuerung durch Windows for Submarines verlassen, eine adaptierte Version von Windows XP: Wer seine Bomben liebt, der pflegt sie. Bernie Sanders hat damit recht, dass es ein kleines Wunder ist, wie die Welt seit 1945 ohne den Einsatz von Atomwaffen ausgekommen ist. Damit kommen wir zum einzigen echten Weihnachtsgeschenk, das Heiligabend auf den Gabentisch kam, nach einem Beschluss der Vereinten Nationen. Ob sich daraus wirklich ein internationaler Vertrag zur Ächtung der Atomwaffen entwickelt, wird wesentlich von Trump und Putin abhängen. Doch am 20. Januar wird sich Amerikas Haltung zur UN ändern, hat Trump versprochen. Womit wir mit Try a Little Tenderness schlussendlich den passenden Weihnachtssong gefunden haben.

Was wird.

Noch ist das Jahr nicht völlig am Ende, doch 2017 wirft seinen Schatten voraus. Denn 2017 werden Terroristen nicht mehr gejagt und erschossen, sondern vorzeitig und zuverlässig von künstlicher Intelligenz erkannt und von dienstlicher Kompetenz verhaftet. Mit dem Verbot des Postillons gelingt dem Justizminister Heiko Maas ein großer Schlag gegen die Fake-News. Bereits jetzt ist die Bundestagswahl schon ein großes Thema, auf das sich Brötchen- und Impulsgeber sorgfältig vorbereiten, genau wie die russischen Hacker und die beiden verbliebenen Wikileaker.

Entwurf dses Kommandoraums aus "Dr. Seltsam...", hier: ein Screenshot aus der Kubrick-App des LACMA.

(Bild: Los Angeles County Museum of Art, App zu Stanley Kubrick )

Irgendwann an diesen Festtagen dürfte bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das große Weihnachts-Interview mit dem Ex-Wikileaker Daniel Domscheit-Berg online erscheinen, das mehr enthält als seine bekannte Kritik an Julian Assange. Offen sagt er im Gespräch, dass das Modell hinter Wikileaks, die Transparenz in das politische Handeln zu bringen, für ihn nach wie vor Bestand hat. "Ich bin der Meinung, dass die Welt eine bessere wäre, wenn die Menschen mehr Informationen hätten. Das ist ein idealistischer Gedanke. Vielleicht entscheidet sich die Mehrheit der Menschen dafür, dass sie gar nichts wissen wollen, und die Informationen interessieren keinen. Aber das wäre dann eine demokratische Entscheidung. Die Welt wäre vielleicht doch nicht so aufgeklärt, wie ich dachte, oder der Trieb, Wissen zu erlangen. Immerhin hätte ich dann aber einen Beitrag dazu geliefert, dass die Möglichkeit dazu besteht." (jk)