Patentbeurteilungen, Arbeitsbedingungen, Gewerkschaftsrechte: Europäische Patentbeamte im Clinch mit ihrem Chef

Das Europäische Patentamt ist für 38 Staaten zuständig und soll demnächst die EU-Gemeinschaftspatente erteilen. In der Behörde kriselt es jedoch seit Jahren. Im Fokus vieler Konflikte steht ihr Präsident Benoît Battistelli.

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Patentbeurteilungen, Arbeitsbedingungen, Gewerkschaftsrechte: Europäische Patentbeamte im Clinch mit ihrem Chef

(Bild: Spiros Vathis, CC BY-ND 2.0)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Christian Kirsch
Inhaltsverzeichnis

Wer beim Europäischen Patentamt arbeitet, sollte auf dem ersten Blick keinen Grund zur Unzufriedenheit haben: Das Einstiegsgehalt für Patentprüfer beträgt 5200 Euro brutto, das Maximum liegt bei fast 12.000. Und auch tiefer in der Hierarchie kann sich die Bezahlung sehen lassen. Es gibt 30 Tage bezahlten Urlaub im Jahr, das reguläre Rentenalter liegt bei 65, Verheiratete und Eltern bekommen Zuschüsse; und für die Krankenkassen zahlen Beschäftigte gerade mal drei Prozent ihres Grundeinkommens.

Trotz dieser scheinbar vorbildlichen Bedingungen kommt es immer wieder zu Arbeitsniederlegungen. Arbeitnehmervertreter wurden entlassen, Parlamentarier aus den Niederlanden, Frankreich und Deutschland erkundigen sich nach dem Arbeitsklima und der Verwaltungsrat (Administrative Council) forderte EPO-Präsident Benoît Battistelli zu besserer Zusammenarbeitet mit den Gewerkschaften auf.

Der jedoch dürfte in den Augen der größten Mitarbeitervertretung SUEPO (Staff Union of the European Patent Office) als Gesprächspartner kaum noch in Frage kommen. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen entließ Battistelli 2016 zwei führende Münchener SUEPO-Vertreter und einen Gewerkschafter der EPO-Niederlassung in Den Haag. Begründung in allen drei Fällen: "harassment", was "Mobbing", "Schikane" oder "Drangsalierung" bedeuten kann.

EPO-Präsident Benoît Battistell

(Bild: EPO)

Der Rechtsweg, der für Angestellte deutscher Behörden und Firmen relativ unkompliziert und zügig zu einer Klärung solcher Vorwürfe führt, steht EPO-Beschäftigten jedoch nicht offen. Denn das Amt ist eine zwischenstaatliche Einrichtung, die keinem nationalen (Arbeits-)Recht unterliegt. Wer entlassen wird oder andere Gründe zur Klage hat, kann sich nur an die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in Genf wenden. Die beschwerte sich im Oktober 2015 über die überproportionale Belastung durch EPO-Fälle: In 37 Jahren seien 761 Entscheidung in diesem Zusammenhang zu treffen gewesen – die WHO sei mit ähnlich vielen Mitarbeitern in 66 Jahren nur auf 447 Fälle gekommen. Verfahren vor der ILO können bis zu zehn Jahre dauern.

In den Auseinandersetzungen zwischen Battistelli und den Mitarbeitern ging es unter anderem um den nach dessen Ansicht zu hohen Krankenstand. Der EPO-Präsident verfügte deshalb, kranke Beschäftigte müssten sich zwischen 10 und 12 Uhr sowie zwischen 14 und 16 Uhr für unangemeldete Kontrollen durch Ärzte bereithalten. Streiks sollte es nur noch nach seiner Zustimmung geben. Er änderte zudem die Regeln für Bezahlung und die Abwesenheit wegen Krankheit: Pro Jahr dürfen Mitarbeiter nur noch insgesamt drei Tage ohne ärztliches Attest fehlen.

Neben diesen Streitpunkten, die unmittelbar das Arbeitsverhältnis betreffen, gibt es unterschiedliche Auffassungen zwischen den Mitarbeitern und Battistelli über die von ihm vorangetriebene "Verbesserung der Produktivität" im EPO. Sichtbar wurden die erstmals 2011. Damals schlug der Präsident vor, den Beschäftigten aus dem Überschuss des Amtes einen Bonus in Höhe von 4000 Euro netto zu zahlen. Dagegen sprach sich die Mitarbeitervertretung aus: Ein solcher Bonus signalisiere, Ziel sei vor allem, viele Patente zu bewilligen und folglich ein hohes Gebührenaufkommen zu generieren. Es müsse jedoch darum gehen, die Anträge gründlich zu prüfen und den hohen Standard des EPO bei der Bewilligung von Patenten aufrechtzuerhalten.

Ob allerdings das Europäische Patentamt bei der Erteilung von Patenten wirklich besonders gründlich vorgeht, ist nicht klar. Eine Untersuchung zu den Patentaufhebungsverfahren vor dem deutschen Bundespatentgericht (BPatG) fand heraus, dass das Gericht nahezu 80 Prozent der beklagten Schutzrechte ganz oder teilweise aufhob. Dabei gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen Patenten, die das Deutsche und das Europäische Patentamt erteilt hatten. Untersucht wurden alle 392 Entscheidungen des Bundespatentgerichts zwischen 2010 und 2013. In diesem Zeitraum erteilte das EPO jährlich um die 60.000 Patente. Der Anteil der gerichtlich angefochtenen liegt also bei unter 0,2 Prozent.

Die Zentrale des Europäischen Patentamts in München

(Bild: EPO)

Bevor es zum Prozess kommt, kann jedoch das EPO selbst ein Patent wieder aufheben. Das hat es 2015 in etwa 31 Prozent der beantragten Fälle getan. Das US-Patentamt erklärte im selben Zeitraum über 70 Prozent der strittigen Patente für nichtig. Dieser Vergleich könnte tatsächlich auf eine höhere Qualität der europäischen Patente hindeuten.

Prüfer und Patentanwälte zeigen sich jedoch skeptisch, was die von Battistelli betriebene "Produktivitätssteigerung" angeht, die 2015 rund 14 Prozent betragen haben soll. So deuten die Zahlen nach Auffassung des britischen Blogs IPKat darauf hin, dass das Amt sich auf "Rosinenpickerei" verlegt habe: Einfache Fälle würden schneller bearbeitet, sodass schwierigere länger liegen blieben. Nach den EPO-eigenen Daten hat sich trotz der höheren Produktivität die Zeit bis zur Erteilung eines Patents 2015 gegenüber dem Vorjahr um zwei Monate verlängert. Prüfer kritisieren, der geforderte höhere Ausstoß müsse zwangsläufig auf Kosten der Qualität gehen.

Der EPO-Chef liegt nicht nur mit Angestellten im Clinch, sondern auch mit der Berufungskammer des Amts (Board of Appeal). Sie ist nach dem Europäischen Patentübereinkommen unabhängig vom Präsidenten sowie von nationalen Regierungen und für Widersprüche gegen die Erteilung oder Nichterteilung eines Patents zuständig. Ende Dezember 2014 suspendierte Battistelli ein Mitglied der Berufungskammer mit strittiger Rechtsgrundlage.

Der EPO-Präsident will lediglich ein "Hausverbot" ausgesprochen haben, de facto war dem Betroffenen seine Arbeit jedoch nicht mehr möglich. Aufgrund der Rechtslage ist bis heute unklar, was ihm vorgeworfen wurde. Bekannt ist jedoch, dass der Datenschutzbeauftragte des EPO der internen "Untersuchungseinheit" gestattet hatte, Keylogger auf zwei öffentlich zugänglichen Rechnern des Amtes zu installieren. Ziel war es angeblich, den Verfasser "diffamierender Äußerungen" zu identifizieren. Zuständig für die Suspendierung von Mitgliedern der Berufungskammern ist ausschließlich der Verwaltungsrat. Den jedoch hatte Battistelli vor seinem "Hausverbot" nicht gefragt. Das führte zwar zu Unmut, aber nicht zu Konsequenzen: Im Nachhinein segnete der Verwaltungsrat die Suspendierung ab.

Während sich das Gremium in der Vergangenheit immer wieder hinter Battistelli gestellt oder sich gar nicht erst zu Konflikten geäußert hatte, schien in jüngster Vergangenheit ein anderer Wind zu wehen. Vor der Sitzung im März 2016 verlangte der Vorsitzende Jesper Kongstadt, die Disziplinarmaßnahmen gegen SUEPO-Führer sollten von unabhängigen Dritten überprüft werden. Davon blieb allerdings kaum etwas übrig: Der Verwaltungsrat zeigte sich zwar unzufrieden mit dem Vorgehen des EPO-Präsidenten, etwas dagegen unternehmen mochte er jedoch nicht. Er solle bitte, so der Wunsch, in Zukunft darauf achten, dass die Öffentlichkeit seine Maßnahmen auch "als fair wahrnehme".

Zudem möge sich Battistelli mit den Gewerkschaften auf Regeln für eine Zusammenarbeit einigen. Kurz zuvor hatte er eine solche Einigung bekanntgegeben. Dabei fiel jedoch wohlweislich unter den Tisch, dass der Vertragspartner weniger als 100 der über 6000 EPO-Mitarbeiter repräsentierte. Ein Abkommen mit SUEPO, die über 3000 Mitglieder haben soll, dürfte angesichts der verfahrenen Situation in weiter Ferne liegen. Und gar so wichtig scheint dem Verwaltungsrat ein verbessertes Arbeitsklima auch nicht mehr zu sein: Er mahnt immer mal wieder einen sozialen Dialog an, konkrete Vorschläge soll es nun "spätestens" im ersten Halbjahr 2017 geben.

Versuche einzelner Abgeordneter in nationalen Parlamenten, Einfluss auf die Zustände im EPO zu nehmen, laufen regelmäßig ins Leere. So antwortete die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Jutta Krellmann im Oktober 2016, einerseits sei "Der Bundesregierung (...) eine gute Arbeitsatmosphäre im Europäischen Patentamt ein sehr wichtiges Anliegen." Andererseits müsse "auch Deutschland (...) mit seinen Anliegen den Weg über die Gremien der EPO gehen und [sei] nur einer von 38 Vertragsstaaten." Deutlich unzufriedener mit den Zuständen im EPO zeigte sich die französische Regierung: Sie wolle weiterhin Druck auf Battistelli ausüben, ihr fehlten jedoch Verbündete.

In absehbarer Zukunft dürfte sich also kaum etwas ändern im Europäischen Patentamt. Zumal seine Rolle mit dem EU-Gemeinschaftspatent noch wichtiger werden wird, als sie es ohnehin schon ist. Kein EU-Staat dürfte ein Interesse daran haben, das durch den Brexit ins Wanken geratene Gemeinschaftspatent zusätzlich zu gefährden – etwa durch einen Bruch mit Battistelli. (ck)