CES

Virtual Reality und Augmented Reality ohne Wow: Viele Gadgets, viel Schrott

Die CES war voller Virtual und Augmented Reality. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Technik erwachsen geworden: Es gab erstaunlich viel Schrott zu sehen. Noch schlimmer: Es zeichnet sich immer noch keine Killer-Anwendung ab. Eine Analyse.

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VR und AR ohne Wow: Viel Gadgets, viel Schrott

Virtual Reality war auf der CES zwar allgegenwärtig (hier auf dem Kopf des MGM-Löwens im gleichnamigen Hotel), aber beeindrucken konnten die Neuvorstellungen nicht.

(Bild: heise online / jkj)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Jan-Keno Janssen
Inhaltsverzeichnis

Ganz ehrlich: Auf den letzten CES-Messen gab es jedes Jahr Sachen zu sehen, die mich mit offenen Mund haben staunen lassen. 2013 das erste Oculus-Rift-VR-Entwicklermodell, später die tolle HTC Vive und Microsofts Augmented-Reality-Brille Hololens. Und deshalb habe ich mich auch auf die diesjährige CES gefreut: Nach Jahren der Vorankündigungen sind die VR-Headsets nun endlich erhältlich und etabliert – jetzt zeigen die kreativen Entwickler-Köpfe, wie sie mit der neuen Technik die Welt verändern und vielleicht sogar verbessern. Dachte ich jedenfalls.

In Wahrheit hat mich auf dieser CES in Sachen VR und AR nichts wirklich beeindruckt. Klar, Intels Project Alloy zeigt mit seinem Inside-out-Tracking ohne externe Sensoren wo die Reise hingeht – das ist technisch beeindruckend, bietet aber wegen akuter Latenzprobleme noch lange nicht das Mittendrin-Gefühl etablierter Headsets.

Schlimmer noch: Etliche Hersteller zeigen VR-Brillen, die deutlich schlechter funktionieren als Vive, Rift, Daydream, Gear VR und Playstation VR; und zwar so schlecht, dass die Grundfaszination von Virtual Reality – sich wirklich woanders fühlen – nicht eingelöst wird. Das Gehirn lässt sich relativ leicht austricksen; nur muss eben eine bestimmte Qualitätsschwelle überschritten werden, damit das klappt.

Überraschung: Pico zeigte VR-Brillen mit ordentllichem Mittendrin-Gefühl und annehmbaren Inside-out-Raumtracking.

(Bild: heise online / jkj)

Viele Headsets der CES 2017 schaffen das nicht. Um ehrlich zu sein gab es nur einen einzigen "neuen" Hersteller, der einigermaßen den Standard hält: Pico VR mit den autarken, also ohne Smartphone oder PC lauffähigen Headsets Pico Neo DK und Pico Neo CV. Aber ein besseres Erlebnis als die etablierten Headsets bieten auch die Picos nicht. Außerdem ist noch völlig unklar, ob der chinesische Hersteller die Geräte überhaupt in Europa verkaufen wird.

Während Oculus VR, das auf den letzten CES immer dolle Dinger gezeigt hat, einfach mal gar nichts angekündigt hat, gab es beim Konkurrenten HTC zumindest sinnvolles Zubehör. Neben einem Tracker-Puck, der beliebige Gegenstände in die VR holt, wurde endlich ein besseres Kopfband plus integrierten Kopfhörern angekündigt – HTC zieht damit aber lediglich mit der Konkurrenz gleich.

Schön (aber nicht beeindruckend) sind die großen Anstrengungen etlicher Entwickler, die nervigen Kabel verschwinden zu lassen. Gleich fünf Wireless-VR-Produkte gab es auf der CES zu sehen, die allerdings neue Nerv-Quellen einführen: Leere Akkus, Ruckler, Kompressionsartefefakte und zusätzliche Latenz.

ODG demonstrierte ihr R8- und R9-Brillen lediglich mit statischen 3D-Filmchen. An die Umgebung angepasst hat sich die Darstellung nicht.

(Bild: heise online / jkj)

Noch schlimmer sah es in Sachen Augmented und Mixed Reality aus: Ernsthafte Konkurrenz für die Microsoft Hololens gab es auf der Messe nicht zu sehen. Erstaunlich viele Hersteller zeigten zwar Brillen mit transparenten Displays und Bild-Einblendemöglichkeit – aber eine überzeugende Integration von künstlichen Inhalten in die echte Welt schafft bislang nur Microsoft (und vielleicht Meta und Magic Leap, aber die gibt es ja noch nicht).

Da kann ODG noch so viel von "Hologrammen" und "Mixed Reality" schwadronieren – die Demonstrationen der R-8- und R-9-Brillen auf dem CES-Stand bestanden lediglich aus profanen 3D-Videos, gemixt wurde da gar nichts. Und Stereovideos auf einem transparenten Display darstellen konnte schon 2011 die erste Moverio-Brille von Epson.

Dreister Google-Glass-Klon eines chinesischen Herstellers.

(Bild: jkj / heise online)

Ansonsten gab es etliche Google-Glass-Abklatsche, die im peripheren Sichtfeld Informationen einblenden: Manchmal womöglich sinnvoll (die Radrennfahrer-Brille Solos), manchmal eher peinlich (chinesische 1:1-Google-Glass-Kopien).

Die CES hat klar gezeigt, dass Augmented und Mixed Reality noch einen langen Weg vor sich haben, um sich wirklich im Mainstream zu etablieren, vor allem in Sachen Hardware. Vielleicht ist das auch ganz gut so, denn eine mit Werbebotschaften und Blingbling angereicherte Realität kann ganz schön schrecklich sein.

Virtual-Reality-Headsets sind dagegen heute schon funktionierende Traumerfüllungsmaschinen. Nur scheinen wir noch nicht so richtig zu wissen, was wir mit der Holodeck-Technik anfangen sollen – da muss doch noch mehr gehen als Architekturvisualisierungen, Flugsimulationen oder Zombieshooter. Die junge Branche braucht sinnvolle Inhalte viel dringender als Hardware-Spielereien. Ich hoffe auf die nächste CES. (jkj)