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Was war. Was wird. Über kluge Entscheidungen in weniger klugen Zeiten

Schimpf, tob, wüt, brüll, mecker, schrei. Hal Faber versucht sich zu beruhigen und sucht den Gaston in sich. Gegen das Wahrheitsministeriums-Gefasel von Obrigkeit und Verschwörungstheorie-Gesabber der Wutbürger aber scheint kein Kraut gewachsen.

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Katze, Mond, Gelassenheit, Nacht
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Keuch, stöhn, ächz, würg, grins, schluck und was der Erikative im Jubiläumsjahr vieler sind. Schneuz und schnief, hier arbeitet einer an neuen Wegen, "um Menschen Informationen zu geben, damit sie kluge Entscheidungen zu den Nachrichten, die sie lesen, treffen können". Was Facebook will, kann ich schon mal machen: meinen Leserinnen und Lesern, Lesebots und Bot-Programmierern Informationen geben, damit sie die kluge Entscheidung treffen, Facebook betreffend, eines der wichtigsten Datenpools für das Predictive Policing der Polizei. So eine ordentliche Social Media-Strategie sollte man schon haben, komplett mit der Lizenz, Fake-Freunde aufzubauen. Da ist Facebook so wichtig wie ein kleiner Fruchtzwerg, ähem und grummel, wie ein kleines Steak, nein, schluck und würg, wie ein neues ZIB, nnnnein auch nicht, kopfkratz starknachdenk, natürlich wie ein halbes ZITIS. Was ist diese neue Hackerbehörde gegen geschickt aufgebautes Fake-Personal auf Facebook, gern auch in größerer Zahl zu mieten?

*** Irgendwann bekommen wir dann doch noch das Wahrheitsministerium, das ja angeblich keiner will, und das man daher derzeit gerne zu Facebook auslagern würde. Die wollen aber auch nicht so recht. Also schiebt man den Hassrede- und Fake-News-Schwarze-Peter hin und her, bis keiner mehr weiß, was Meinungsfreiheit und die Weigerung, den Staat oder Konzerne über Wahr und Falsch entscheiden zu lassen, eigentlich bedeuteten. Aber Mancher hat sich ja selbst schon der Verantwortung entledigt, mal nachzudenken und nicht jeden Mist zu glauben, der durch die Netze geistert. Jeder kann es sich selbst aussuchen, ob er Schwachsinn hinterherdackelt. Wer aber mit der inflationären Ausbreitung von Flat-Earth- und Reptiloiden-Theoretikern konfrontiert wird, hat keine Hoffnung mehr auf selbstverantwortlich zu vernünftigen Entscheidungen kommende Bürger. Da macht ein Wahrheitsministerium den Braten auch nicht mehr fett, äh, die Wahrheit wahrhaftiger.

*** Natürlich sollte man als "Freund und Helfer" nicht einseitig agieren und flexibel andere Angebote zum Preditictive Policing oder Predictive Politikmaking heranziehen, wenn "die Lage" es erfordert. Etwa Vkontakte, jenes pulsierendes Netzwerk rein russischer Bauart, das zuletzt mit der Gesichtserkennung von FindFace mit medialer Aufmerksamkeit belohnt wurde, natürlich mit einem Schuss Pornografie. Auf Vkontakte und seinen eigenen Kontakten konnte ein britischer Russland-Spezialist ohne Bezahlung sein Trump-Dossier sammeln und zusammenstricken, das auf verschlungenen Wegen an seinen Endabnehmer Buttfeed gelangte. Es sorgte in den USA als "Fake-News" für Aufregund und eine denkwürdige Pressekonferenz des "germaphoben" künftigen US-Präsidenten. Nutten und Pippi, das waren jedenfalls keine Informationen, mit denen Menschen kluge Entscheidungen über Nachrichten treffen könnnen, die sie lesen, sehen oder hören. Ganz nebenbei zeigte sich die Fake-Problematik von ihrer besten Seite: Das Dossier war seit Monaten einigen politischen Journalisten bekannt, wurde aber wegen der mangelnden Überprüfbarkeit der "Fakten" ignoriert. Erst die Aktion der Dienste, das Dossier in ihren Briefings von Präsident und Präsident-Elect zu erwähnen, änderte die Einschätzung.

*** In diesem unserem Land sorgten die Leit­li­ni­en für ei­nen star­ken Staat in schwie­ri­gen Zei­ten für Diskussionen. Soll der Verfassungsschutz besser aufgelöst werden oder eine Zentralbehörde wie das BKA werden? Ein ehemaliger Verfassungsschützler hält das für eine Schnappsidee, wie er der tageszeitung sagte. Mit den ebenfalls vorgeschlagenen Fußfesseln für Gefährder ist selbst die alternative Presse einverstanden, weil sich Bewegungsspuren verdichten lassen. Derzeit werden in Deutschland 88 Personen überwacht, hauptsächlich Sexual- und Straftäter. Kommen 200 bis 300 Gefährder hinzu, dann brauchen wir, hurra, eine neue Behörde, denn das rund um die Uhre arbeitende Zentrum in Bad Vilbel ist auf maximal 100 Fesseln ausgerichtet. Ersetzt man dabei die in Deutschland eingeführte Standardfessel aus Israel durch das komfortable Zwei-Wege-System, könnten jederzeit Warn-Nachrichten an den Gefährder geschickt werden, etwa "Lass das gefällig sein!". Die übliche Gefährderansprache durch Beamtenbesuch, die zur zusätzlichen Radikalisierung führen kann, könnte entfallen.

*** Schnief, heul, schluchz: Auf einer re:publica schloss ihn die "Netzgemeinde" im Jahre 2015 in ihr großes Herz, nun ist er tot. Zygmunt Bauman beschäftigte sich mit vielen Formen der liquiden Überwachung, nicht nur mit Fußfesseln und Videokamera-Installationen. Er war im Internet unterwegs und warnte davor, sich auf diesem Schlachtfeld in den "Online-Schutzraum" der großen Vereinfachung zu begeben und als moralisch blinde und taube Internauten zu agieren. In seiner letzten Veröffentlichung beschäftigte sich Bauman mit den Flüchtlingen, den "Strangers at our Door" (deutsch: "Die Angst vor den anderen"). In diesem Essay arbeitete er den Zusammenhang zwischen Migration und Panikmache und erklärte das, was in England gerade "Migrationskrise" genannt wird. "Diese Krise ist im Augenblick eine Art politisch korrekter Deckname für den ewigen Kampf der Meinungsmacher um die Eroberung und Kontrolle des Denkens und Fühlens der Menschen. Die Berichterstatung von diesem Schlachtfeld löst derzeit fast schon so etwas wie eine 'moralische Panik' aus." Dabei ist das offene Gespräch mit den Ankommenden unerlässlich, mahnte Bauman wider und wieder an, weil alle Gesellschaftsformen sich auf die bevorstehende Kosmopolitisierung im großen Stil vorbereiten müssten, von der die "Migrationskrise" nur ein schwaches Vorspiel sei. Schnief, tempogreif.

Was wird.

Wenn diese kleine Wochenschau online gegangen ist, hat der Auftrieb der Entscheiderherden nach Davos zum Weltwirtschaftsforum längst begonnen. Dort wollen sich die Macher über ihr Steckenpferd die vierte industrielle Revolution beraten und sich einfach etwas besser fühlen, ganz ohne Trump, Putin und Merkel. Denn die Hominii Davosiensi sind verunsichert und verzagt wie nie und fragen sich gar, ob sie und ihre ständige Forderungen nach Disruption und grenzenlosem Kapitalismus am Ende gar verantwortlich sind für den populistischen Backlash. Ja, Davos macht sich Sorgen, heißt es dann in der Schwammsprache des Journalismus, wo doch das abgesperrte Bergkaff der allerletzte Ort sein dürfte, der "sich Sorgen" macht, wenn der dritte Kolonialismus seine Zukunft verhandelt. Die beste Zusammenfassung ebenda, in der Le Monde Diplo: "Eine Clique von global vernetzten Supperreichen betreibt die systematische Ausbeutung der übrigen Welt, von nun an tut sie es unter direkter Beteiligung des mächtigsten Politikers der Welt."

Für Davos Warmlaufen, das ist auch so eine Disziplin, die nach einem hübschen Erikativ sucht. In den angesagten Feuilletons wird dabei schwer geklotzt, poch, schepper über "Mensch, Moral und Maschine" in Frankfurt und wetz, keuch mit dem Aufruf "Raus aus der Steinzeit" in München. Da fordert man ein "Neuland-Update" für Deutschland als wäre die BRD ein Stoffel-System wie eines von Microsoft: "In einem Betriebssytem auf dem Computer lassen sich bestimmte Programme bekanntlich nur installieren, wenn dieses auf dem neuesten Stand ist. Gleiches gilt für die Digitalisierung in diesem Land." Insgesamt sollen bescheidene vier Updates und ein "Chief Digital Officer" im Rang eines Bundesministers dafür nötig sein. Das ist doch mal eine Ansage, oder? Damit das in Deutschland reibungslos klappt, sollten fähige Staatssekretäre für PPP-Projekte (Buzzwords & Hypes) und Strategie (Disruptionsgefasel) mit superschnellen 3D-Druckern für fesches Irgendwas den CDO bei seinen Updates unterstützen. Ist Whammer, Jammer ein Erikativ?

Achja, Deutschland: Wie üblich gibt es vor Davos dabei im Tiefland zu München die DLD-Konferenz aus dem Hause Hubert Burda Media, diesmal mit dem Motto "What's Up?", als "Was'n los hier?" übersetzbar. What's Up, Marissa, könnte man fragen, doch Marissa Mayer ist nicht mehr der Superstar von Google, den die DLD feierte, sondern auf Job-Suche. Höhepunkt in München soll ein "Fireside Chat" mit Microsoft-Chef Satya Nadella über die ansprechbare und verantwortungsbewusste Nutzung der künstlichen Intelligenz sein, und das um 9 Uhr in der Frühe. Danach werden ethisch programmierte Roboter von der Firma Hanson demonstriert, die sich nicht so garstig aufführen wie mein Namensvetter HAL 9000. "Was denn?" – man sollte halt auch von Disruptionsgefasel und Buzzword-Bingo nicht aus der Ruhe bringen lassen. Ich gehe jetzt den Gaston in mir suchen. Etwas mehr von ihm täte allen gut. (jk)