IBM und die Nazis: Ich Bin Mitschuldig

In einem neuen Buch will Edwin Black nachweisen, dass IBM sich über Tochtergesellschaften mehr mit den Nationalsozialisten eingelassen hat als bisher bekannt.

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Von
  • Detlef Borchers

Unter dem Titel IBM and the Holocaust: The Strategic Alliance Between Nazi Germany and Americas Most Powerful Corporation erscheint heute in den USA und acht weiteren Ländern ein Buch, das medialen Sprengstoff erster Güte enthält. In dem Buch versucht der Autor Edwin Black nachzuweisen, dass IBM sich über eine Reihe von Tochtergesellschaften mehr mit den Nationalsozialisten eingelassen hat, als bisher bekannt war.

Durch den Vertrieb von Hollerith-Lochkartenmaschinen an die Nationalsozialisten habe es IBM ermöglicht, dass die Vernichtung des jüdischen Volkes mit großer Präzision geplant werden konnte, schreibt Black. Selbst dann, als amerikanische Firmen den Kontakt zu Töchtern in Hitlerdeutschland abbrechen mussten, habe IBM über seine Schweizer Europa-Zentrale die Deutsche Hollerith-Maschinen-Gesellschaft (DEHOMAG) weitergeführt – und das auch nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs durch einen Treuhänder in enger Absprache mit der US-amerikanischen Konzernzentrale. Techniker seien bis in die Konzentrationslager gereist, um die Lochkartenleser zu warten, so Black. Im internen IBM-Verkaufsplan sei die Dehomag in der Rangliste der Verkaufsgebiete noch dann auf Rang 2 ausgewiesen worden, als IBM-Chef Thomas J. Watson längst alle ihm von den Nazis überreichten Orden öffentlich zurückgegeben hatte.

Das anklagende Buch erscheint im Verlag Crown Publishers, der zum Bertelsmann-Konzern gehört. Dieser strauchelte in der Vergangenheit ebenfalls über eine beschönigende Darstellung der eigenen Firmengeschichte im dritten Reich. Ein deutscher Vorabdruck aus dem Buch erscheint derzeit beim Spiegel.

Wie Edwin Black ausführt, habe er mit Hunderten von Freiwilligen in den verschiedensten Archiven gefahndet, um das System der Lochkarten zu entschlüsseln, das die Nationalsozialisten bei ihrer Volksfahndung verwendeten. Unter höchster Geheimhaltung habe er dann das Buch geschrieben, damit seine Wirkung nicht verpuffe. Edwin Black, Gründer des amerikanischen Magazins OS/2 Professional und damit langjähriger Fan und Leidensgenosse mancher IBM-Manager, sah sich zu dem Buchprojekt veranlasst, nachdem er mit seinen Eltern das Holocaust-Museum in Washington besucht hatte. Dort steht eine Hollerith-Maschine, die in Black die Frage nach dem "Warum?" auslöste.

Ganz neu und überraschend sind die Thesen freilich nicht. Bereits im Jahre 1999 veröffentlichte Black den Roman format c: (Brookline Books), in dem er die Leidensgeschichte seiner Eltern beschreibt, die als jüdische Widerstandskämpfer in Polen nur knapp dem Tod entrinnen konnten. In der fiktiven Rahmenhandlung von format c: finden sich bereits Hinweise auf die "Rechentechnik" der Nationalsozialisten. Sie werden allerdings durch den Plot des Romans verdeckt: Ben Hinnon, der mit System-Software zum reichsten Mann der Welt aufgestiegene Ehrgeizling, plant, sämtliche Software aller Rechner unter Kontrolle seiner Firma laufen zu lassen. Als Hebel soll dabei der Jahreswechsel zum 1. Januar 2000 dienen, an dem ohne Ben-Hinnom-Software das Datenchaos ausbrechen würde. Vieles an der Romanfigur Ben Hinnom erinnert an Bill Gates, doch im Verlauf des Romans stellt sich heraus, dass Hinnom schon unter den Nationalsozialisten arbeitete und die Personifizierung des Teufels schlechthin ist.

Mit seinen Forschungen zum Einsatz der Hollerith-Maschinen im Dritten Reich unterstützt Black eine Reihe von Klagen, die in den USA gegen IBM angelaufen sind. Nach der Darstellung des US-Anwaltes Michael Hausfeld, einem der bekanntesten Entschädigungsspezialisten, sollen über 100.000 KZ-Überlebende entschädigungsberechtigt sein, weil IBM seine Rolle im Holocaust systematisch verschwiegen habe.

Die von den Nationalsozialisten verwendeten Hollerith-Maschinen gehen auf eine Erfindung des deutschstämmigen Ingenieurs Herman Hollerith zurück. Dieser erfand eine Lochkarten-Technik, mit der die Volkszählung in Amerika effektiv und fehlerfrei durchgeführt werden konnte. Auf den Trick mit den Lochkarten kam der findige Ingenieur, weil er auf seinen Eisenbahnfahrten beobachtet hatte, wie die Schaffner Billets unterschiedlich lochten. Durch die unterschiedliche Lochung des Kartons kodierten sie Geschlecht und Rasse des Passagiers, um eine mehrfache Benutzung der Fahrkarte auszuschließen. Die Lochcodes wurden außerdem dazu verwendet, um festzustellen, wie viele Schwarze einen bestimmten Zug benutzten, dem dann separate Wagen angehängt wurden.

Die Geschichte der Datenverarbeitungsmaschinen der DEHOMAG, die die Nazis einsetzten, ist teilweise bereits öffentlich dokumentiert: Das United States Holocaust Memorial Museum in Washington zeigt in seiner Ausstellung bereits seit einiger Zeit eine Hollerith-Maschine mit der Beschriftung: "Die Hollerith-Maschine, eine der frühesten Lochkarten-Sortierer und Zählmaschinen für automatische Datenverarbeitung. Anfangs in den USA und im Ausland benutzt, um Census-Daten auszuwerten, wurde sie später von den Nazis eingesetzt, um Daten über die große Zahl von KZ-Gefangenen und Sklavenarbeitern zu verarbeiten."

Auch die DEHOMAG D11, die für die Volkszählung 1933 und 1939 durch die Nazis benutzt wurde, ist in dem Museum zu finden. In dem Kommentar zum Ausstellungsstück heißt es, der Census von 1933 in Deutschland habe nach der Religionszugehörigkeit und der von 1939 nach der Rasse gefragt. Die erste Volkszählung habe also die jüdische Bevölkerung identifiziert, die sich selbst der jüdischen Gemeinschaft zugehörig fühlte, während der zweite Census die Juden nach den Kritierien der nazistischen Rassenlehre erfasst habe. Für die Auswertung der Volkszählungen benutzten die Nazis nach Angaben des Washingtoner Holocaust-Museums die DEHOMAG D11 – das Museum verweist auch darauf, dass die Deutsche Hollerith nach dem Zweiten Weltkrieg als IBM Deutschland geführt wurde.

IBM Deutschland ist bereits vor einem Jahr dem Entschädigungsfonds für NS-Zwangsarbeiter beigetreten. Dieser hat jedoch nichts damit zu tun, wie die Nazis Bevölkerungserfassung und Kontrolle in den Lagern auch mit Hilfe von IBM-Maschinen betrieben – und dies nach Ansicht Blacks zumindest mit stillschweigender Duldung durch den IBM-Gründer und langjährigen Chef der Firma, Thomas J. Watson. IBM habe auch die Gewinne der DEHOMAG in der Nazizeit stillschweigend nach Ende des Krieges eingesammelt – "was bis heute ein Geheimnis geblieben ist", schreibt Black. (Detlef Borchers)/ (jk)