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Was war. Was wird.

Die CeBIT dräut -- und noch so einige andere Daten, die man als Tag X bezeichnen mag. Aber keine Angst, nicht alles wird, was werden soll, meint Hal Faber.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wenn es Filme gibt, in denen Frösche vom Himmel regnen, dann muss es Kolumnen geben, in denen die Bobos nur so aufklatschen. Nicht nur virtuell im Rahmen seltsamer Spiele, sondern auch im wirklichsten aller Leben, in dem gespeicherte ICQ-Logs sich schneller verbreiten als eine Mail mit dem Betreff "ILOVECALLGIRLS". Die Firma eFront, die ihre Webhamster wie Sklaven behandelte, wird es nicht mehr lange geben, während die Site, die die ICQ-Logs veröffentlichte, zum Erstaunen vieler Beobachter auf die Bezahlung ihres Content umstellt – und dafür guten Zuspruch bekommt. Das Geschäft mit dem Klatsch läuft und niemanden wundert dies.

*** Natürlich gibt es auch andere erfolgreiche Geschäftsmodelle. Warum also immer die Anstrengungen der Bobos mies machen, die uns so poetisch zu Seite stehen, dann feinfühlig arrangieren, sofern nicht ein kleiner Software-Unfall passiert ist, und am Ende sogar noch helfen, die Sache stilvoll zu beenden.

*** All your Palms belong to us, forderte diese Woche NCR, eine weitere Firma, die in ihren Archiven auf ein verwelktes Patent gestoßen ist und daraus gerne ein richtiges Geschäftsmodell entwickeln möchte. Palm und Handspring sollen kräftig zahlen, die Varianten mit MS-Software hingegen nicht: Im Jahre 1991 debütierte NCR mit dem in Augsburg konstruierten stiftgesteuertern Winpad 3125 von der Größe einer A4-Seite, mit einer 20-MByte-Festplatte und einem 386SL mit 20 MHz, das Ganze für 8.000 US-Dollar. Als Betriebssystem kamen Pen Windows von Microsoft und Penpoint von Go zum Einsatz. In seinem Buch "startup" widmet Go-Gründer Jerry Kaplan ein ganzes Kapitel den schließlich erfolgreichen Versuchen von Microsoft, Go und Penpoint bei NCR zu verdrängen. Die Lösung war ganz einfach: Microsoft verbot den BIOS-Herstellern wie Phoenix, Dual-Boot-Versionen herzustellen, die Penpoint und Pen Windows starten konnten. Daneben unterstützte man AT&T bei der Übernahme von NCR. Jahre später hielt Bill Gates den Boot-Trick für ausreichend, um Linux vom Markt zu kippen – doch da funktionierte die Drohung nicht wie gewünscht. Zwei Jahre nach NCR kam Apple mit seinem Newton auf den Markt, ohne dass NCR seine Ansprüche durchsetzen konnte – der Newton war "sichtbar atemberaubend neu", hieß es in einer Untersuchung, die im atemberaubenden Buch "Defying Gravity" erwähnt wird.

*** Ähnlich sauer wie NCR ist übrigens Stefan Fritzenkötter. Sein Geschäft ist es aber, von seiner Webseite aus Handylogos und Klingeltöne per 190-Nummer zu verscherbeln. Das Geschäft läuft gut, aber nicht ausreichend, meint Fritzenkötter offensichtlich. So startet er eine Werbekampagne, die ganz neue Aussichten eröffnet. Denn gehostet ist seine Site bei Puretec – zum Paketpreis übrigens – auf die der Herr nun äußerst öffentlichkeitswirksam sauer ist. Weil der Erfolg der Seite irgendwann die erlaubte Kapazitätsgrenze erreichte, bot Puretec Fritzenkötter das teurere Server-Homing an und reagierte beim Überschreiten der festgelegten Grenzen ansonsten etwas vergrätzt mit einem Internal Server Error – ganz getreu übrigens zu den hauseigenen AGB. Fritzenkötter wittert den großen Fall und alarmiert die Presse, ruft in den Redaktionen an, lässt E-Mails schicken, auch von einigen Freunden. Und tatsächlich brachten einige Online-Magazine am Freitag die Geschichte. Seinen Provider will Fritzenkötter verklagen, doch dieser droht ihm jetzt selbst mit dem Anwalt. In gewisser Hinsicht also ein voller Erfolg: Die neuen PR-Methoden des Herrn Fritzenkötter haben so viel Aufmerksamkeit für sein kommerzielles Unternehmen erzeugt, dass er sich wohl jeden beliebigen Web-Hoster und noch ein angenehmes Leben dazu leisten kann. Das sind ganz neue Aussichten für unsere PR-Flaks: Schlechtes Marketing als Kampf gegen die Zensur zu verkaufen. Es sind einfach schöne Zeiten, in denen wir leben – oder höre ich da irgendwelchen Widerspruch?

Was wird.

Es mag passiert sein was will – das eigentlich interessante ist die Zukunft. Nein, nicht die CeBIT, die ebenfalls dräut. Eigentlich spannend ist, dass die X-Wochen kommen. Für Freunde einer gewissen Mystery-Serie sei gleich klargestellt: Ich rede vom Tag X, dem entscheidenden Datum. In den nächsten Tagen fallen die alles verändernden Daten im wahrsten Sinne des Wortes hageldicht, sodass ich mich gar nicht richtig entscheiden kann, welcher Tag X nun der einzig wahre und entscheidende ist.

Da wäre beispielsweise der Absturz der MIR, deren Reste um den 20. März am Punkt X in den Ozean stürzen sollen. Das ganze passiert in vollendeter Windows-Philosophie: Um den Vogel gezielt zum Absturz zu bringen, haben die Russen vorher noch mal den Bordcomputer gestartet. Ziemlich spät, aber doch noch rechtzeitig ist ein cleverer Mensch auf die Idee gekommen, das Ereignis im Internet zu vermarkten. Sollte das klappen, wäre es sozusagen ein historischer Treppenwitz, denn die Weltraumbehörde aus dem Mutterland des Internet hat bei vergleichbaren Ereignissen ja regelmäßig eine recht jämmerliche Vorstellung geboten. Bei ersten gelungenen Internet-Übertragung eines Weltraum-Events hätten die Russen also wieder einmal ihre Finger im Spiel – sozusagen ein posthumer Sieg des real existierenden Sozialismus.

Dabei hat die Wirtschaftsordnung des Westens, die ebenfalls real existiert, aber keineswegs als sozialistisch bezeichnet werden will, doch so schöne und nützliche Dinge wie den Apple-Computer hervorgebracht. Womit wir bei einem weiteren X-Tag währen: Am 24. März kommt Mac OS X – das große Warten ist vorbei. So nostalgisch, wie die Apple-Leute momentan in ihren Erinnerungen an die Flower-Power-Zeit herumtaumeln, bringen sie wahrscheinlich einen poppigen Unix-Clone zur Welt. Tradition, hat einmal ein betrunkener Schotte in einem Pub zu mir gesagt, ist, dass ich weiß, dass hier vor 500 Jahren schon die Leute ihr Bier getrunken haben.

Und zum Stichwort Tradition passt ein weiteres X-Datum: Am 27. März soll der nächste Castor-Transport ins Wendland rollen – der, die Leser werden mir die Korinthenkackerei sicher nachsehen, gar kein echter Castor-Behälter ist, sondern ein französischer Transportbehälter mit hochradioaktivem Abfall in Form von Glaskokillen. Und zur Feier des Tages hat die Polizei ein Castor-Forum eingerichtet, wo alle vorher noch mal ganz doll miteinander reden können, Du. Das Internet macht die Welt halt doch besser und demokratischer. Und wer nun glaubt, die böse Staatsgewalt wolle in diesem Forum nur Verwirrung säen und Daten sammeln, ist halt irgendwie rückwärtsgerichtet. Früher war die Welt doch noch einfacher und übersichtlicher, da hat die Justiz kriminelle Links verboten statt auf die Seiten der Protestler zu verweisen. Aber wahrscheinlich haben unsere Strafverfolgungsbehörden inzwischen eingesehen, dass heutzutage jeder Depp eine Suchmaschine bedienen kann und somit auch gefährliches Gedankengut, wie beispielsweise eine Bauanleitung für Hakenkrallen, im Internet findet.

Apropos Demonstration: Weil sie die Kooperation der Lusthansa mit der staatlichen Abschiebepraxis gar nicht lustig finden, haben Aktivisten zu einem Blockade der Webseiten der Fluggesellschaft aufgerufen – eine Art Denial-of-Service-Angriff von Hand, der natürlich am Tag X stattfinden soll: Das Datum bleibt vorerst geheim. Die Welt ist wirklich unübersichtlich geworden. Um einen berühmten deutschen Philosophen zu zitieren, mit dessen unerschütterlicher Suche nach der letzten Wahrheit ganze Generationen von Fernsehguckern aufgewachsen sind: "Welches Schweinderl hätten's denn gerne?"

Das frage ich mich tatsächlich immer wieder: In den Zeiten von BSE, Anabolika-Skandalen und MKS sind auch die Schweinderl nicht mehr das, was sie einmal waren. Vielleicht ist das auch ganz gut so, wenn man sich wieder Gedanken drüber macht, was so wird. Andererseits: Was soll schon werden, wenn die CeBIT kommt und ausgerechnet Hannover zur interessantesten Stadt des Computerversums wird? Da ist es aus und vorbei mit der Ruhe und Zuversicht in meinem kleinen Arbeitsstübchen in der Stadt, die manche Bundesbürger als die langweiligste ganz Deutschlands bezeichnen. Ich las jedenfalls im Wust der Pressemeldungen mit heißen Tränen in den Augen, dass man nun in Hannover dank der CeBIT den "Spirit of tomorrow" erleben kann, den Geist der Bits und Bytes. Doch ach, die kalte Dusche kam sofort. Was ist schon das Hannover der Caroline Herschel und des Leibniz Psycho-Test gegen.... gegen..... gegen.... WEIMAR!

Dort, in Weimar, "reiht sich die IT-Branche mit dem IT-Fachhandelskongress '01 in die Reihen der großen Namen, wie Goethe, Schiller, Nietzsche oder Herder ein. Diesen Rang hat sich die Branche zu Recht verdient. Denn die Technologie beeinflusst genau wie die Werke der Dichter und Denker Kommunikation und Kreativität der Gesellschaft." So steht es (von meiner Wenigkeit völlig ungekürzt) in einer Mitteilung der Lilienthaler Akcent Computer GmbH. Weimar also. Dort, wo man Computer baut, die vielleicht schon Goethe, Nietzsche und Herder beeinflussten, die von Madame de Stael gepriesenen Dichter und Denker. Weimar, Relais des Geistes zwischen linker und rechter Gehirnhälfte, wo sich fügt, was für ewigst zusammen gehört. Nothing else matters, auch wenn man Napster-User ist. Das wurde nicht immer so gesehen. In den frühen 80er Jahren gab es für die Datenübertragung nicht dieses seltsame Internet, sondern Blut, Schweiß und ätzend langsame Verbindungen. Damals war ein Programm namens Procomm ein Quasi-Standard auf CP/M und DOS, mit einem Handbuch, das beruhigen wollte. In der Einleitung findet sich ein Satz zu Problemen mit dem Akustikkoppler, der nach all den Jahren immer noch Pep hat. Zur Nachtruhe wünsche ich mit dieser von Procomm gelieferten Beschreibung uns allen eine möglichst stressfreie CeBIT, ohne Best-of-Breed-Blasen zwischen den Hallen und Füssen: "Das erklärt sich wohl aus dem zwiespältigen Verhältnis der Deutschen zum Computer. Einerseits erscheint ihm (dem Deutschen) die neue Technologie recht interessant, doch insgeheim quält ihn die ungewisse innere Angst, als anerkannter Dichter und Denker zukünftig nur noch die linke Hälfte wert zu sein." Na, lieber als solche Dichter und Denker, die in unseren modernen Zeiten dann Leute wie mich im Bobo-Outfit auf der CeBIT belästigen, ist mir da die Maus. Und die feiert ausgerechnet am Sonntag, an dem diese Kolumne auf dem Heise-Ticker erscheint, ihren 30-jährigen Geburtstag. Das ist doch ein schöner Abschluss, auch für die abseitigen Gedanken eines kleinen Kolumnisten in der großen weiten Welt des Internet. Herzlichen Glückwunsch, also... (Hal Faber) / (jk)