Lebenslang Lärmen?

Einer der großen Vorteile der Digitalisierung ist, dass sie verhältnismäßig leise vor sich geht.

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Von
  • Peter Glaser

Wäre Deutschland direkt nach dem Urknall entstanden, hätte es erstmal Anzeigen wegen Ruhestörung gegeben. Herr Diplomingenieur Düsentrieb hat hiergegen eine Flasche erfunden, die Geräusche verschluckt. Entkorkt man sie, ist rundherum nicht mehr das Geringste zu hören, aller Schall wird eingesaugt. Leider klauen die Panzerknacker die Flasche und beseitigen anschließend mit ihrer Hilfe die Explosionsgeräusche beim Aufsprengen von Tresortüren.

Trotz Missbrauchsmöglichkeiten wäre technische Entlärmung allerdings eine weithin erwünschte Innovation. Ruhestörung rangiert im Ranking der häufigsten Themen bei Nachbarschaftsstreits mit Abstand an erster Stelle. Bis heute ist die Resonanzfähigkeit von Immobilien ein Füllhorn – oder vielleicht besser: ein Hörrohr der Unfreude geblieben. "Allmorgendlich versammeln sich zwei singende Klavierspielerinnen und sechs Hunde in meinem Zimmer", hielt Kurt Tucholsky bereits 1925 in einer Betrachtung unter dem Titel "Zwei Lärme" fest, "sie treffen dort zusammen, die Hunde heulen Symphonien, die Klaviere bellen, die Sängerinnen jaulen. Sie zerstören das Beste: die Ruhe."

In immer neuen Ansätzen wird versucht, Lärm an der Quelle zu liquidieren. Betrat man Anfang des 20. Jahrhunderts ein Büro, befand man sich umgehend im Schlachtenlärm maschinengewehrgarbenhaft ratternder Typenhebel mechanischer Schreibmaschinen. Eine Noiseless Typewriter Company begann, "lautlose" Schreibmaschinen zu bewerben, was zwar eine Reklamelüge war, sich aber so gut anhörte, dass der Schreibmaschinenriese Remington die Firma 1924 aufkaufte und eine eigene Noiseless-Baureihe auf den Markt brachte. Ähnlich wie moderne Klodeckel verfügten die Maschinen über einen Mechanismus, der die Buchstabenhebel verlangsamte, ehe sie gegen das Farbband und das Papier knallten.

Wer noch die martialischen Geräusche von Ketten- und Matrixdruckern kennt, weiß, dass die Tradition des auf den Fortschritt verweisenden Krawalls nahtlos ins anbrechende Computerzeitalter fortgeführt wurde.

Heute haben wir zeitgemäß lautlose Computermäuse, ziemlich stille Tastaturen und noch stillere kapazitive Touchscreens, von denen höchstens noch ein dumpfes Stupsen zu vernehmen ist. Auch Großgerätschaft kommt inzwischen mit kleinen Geräuschen aus, etwa flüsterleise Magnetresonanz-Tomographen, die zuvor mit einem Lärmpegel von um die 100 Dezibel Patienten eher unerfreuliche Klangerfahrungen vermittelten. Es gibt nunmehr sogar ein Noiseless-Karakoke-Mikrophon – für gerade einmal 100 Dollar erhält man dafür eine Art Sound-Sanitärpümpel, mit dem man die eigenen akustischen Ausscheidungen wegsaugen kann.

Manchen Menschen sind die Maschinen im übrigen schon zu leise. Sie befürchten beispielseise, dass man Elektrofahrzeuge zu leicht überhören könnte. Die amerikanischen CBS News mussten einräumen, dass einem Redakteur der Nachrichtensendung "60 Minutes" ein Lautstärkefehler unterlaufen war: In einem Bericht über Elon Musk, den Gründer des Elektroauto-Herstellers Tesla, hatte er den Sound eines herkömmlich lauten Automotors über die Aufnahmen eines fahrenden Tesla gelegt. Der aber ist bedeutend leiser. (bsc)