125 Jahre Diesel-Patent: Rudolf Diesel – der Spätzünder

Rudolf Diesel war ein Genie. Eines, das den Status Quo nicht anerkennen wollte. Nicht in der Gesellschaft, nicht in der Technik. Er wurde zerrissen zwischen seiner Schöpfungskraft und dem Wahnsinn. Zwischen Geld und Träumerei.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 316 Kommentare lesen
Rudolf Diesel: Der Spätzünder

1958 hätte Rudolf Diesel seinen 100. Geburtstag gehabt. Die Post ehrte ihn in diesem Jahr mit einer Sondermarke, die am 18. März 1958 herauskam. 

(Bild: NobbiP, gemeinfrei)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Bernd Kirchhahn
Inhaltsverzeichnis
Mehr Infos

Zu Technik und Einsatz des Diesel-Motors siehe bei heise Autos:

Rudolf Diesel zu verstehen heißt, mit dem Kapitalismus abzuschließen. So einfach ist das. So unmöglich ist das. Der Schlüssel zu diesem Verständnis liegt in Diesels Werk "Solidarismus" und trägt den utopischen Untertitel "Natürliche wirtschaftliche Erlösung des Menschen". Es ist die Verschriftlichung seiner Motivation, seiner Triebfeder, seiner Energiequelle, die ihm die Kraft gab, das zu leisten, was ihm einen Eintrag in den Geschichtsbüchern bringen sollte. Es ist Kommunismus light.

Light, weil die große politische Komponente fehlt. Es geht um die Wirtschaft und um das Volk. Nicht mehr, nicht weniger. Jeder Volksgenosse müsse einen Pfennigbetrag in eine Volkskasse einzahlen. Aufsummiert und gut verzinst würden sich so Milliardenbeträge ergeben, mit denen Volksbetriebe finanziert werden sollten. Arbeitslosigkeit, Neid und Gier wären abgeschafft.

Rudolf Diesel war Tüftler, Weltverbesserer, Revolutionär. Er kam aus armem Haus und schaffte es nach ganz oben.

Damit wäre der Kosmos abgesteckt, in dem Rudolf Diesel dachte. Er dachte nicht in Brennräumen, Wirkungsgraden und Millimetern, sondern arbeitete an einer friedlichen Umwälzung der Verhältnisse. Das hatte seine Gründe. Rudolf Diesel stammte aus armen Verhältnissen. Er wurde 1858 als Kind zweier deutscher Migranten in Paris geboren. Sein Vater produzierte Lederwaren, Rudolf Diesel musste früh helfen. Auf der Weltausstellung 1867 fand er seine Passion – Technik, Physik, Dampfmaschinen und Gasmotoren.

1870 beendeten preußische Truppen vor Paris jedoch die Träumereien – alle Deutschen wurde der Stadt verwiesen. Die Familie ging nach England und quälte sich durch das Leben von Flüchtlingen. Eine Erfahrung, auf die das heutige Deutschland zurückgreifen sollte. Rudolf Diesel wurde als Zwölfjähriger von einer Cousine als Pflegekind aufgenommen und ging allein nach Augsburg. Die Heimat seiner Eltern, die nie so ganz die seine werden sollte.

Ab diesem Moment begann Diesel aufzublühen. Er wurde ein Musterschüler und wechselte – gegen den Widerstand seines Vaters – ans Polytechnikum in München. Der Vater hatte Angst, irgendwann eine Rechnung über die Ausbildungskosten zu bekommen. Mittlerweile verdiente der sein Geld als Spiritist und Heilmagnetiseur. In den folgenden Jahren würde er seinerseits den Sohn regelmäßig um Geld bitten.

Für Rudolf Diesel offenbarte sich sein Lebensziel 1878 bei einer Vorlesung von Carl von Linde. Der klärte die Klasse über den schlechten Wirkungsgrad der Dampfmaschine auf, die damals mit Kohle befeuert wurde. Der Gegenentwurf dazu war der Carnot-Prozess. Also die Idee der Isotherme. Diesel begann zu träumen. Von Maschinen mit 50 Prozent Wirkungsgrad, von billiger Energie und günstigen Maschinen, die sich jeder leisten könnte. Nicht nur reiche Industrielle.

Doch Diesel hatte ein Problem: seine Karriere. Er war der beste Student, der je am Polytechnikum war und wurde von Linde in dessen Eisfabrik nach Paris beordert. Diesel verbiss sich in seinen Job. Er konstruierte und verkaufte, machte alles, was nötig war. Auch privat lief es bestens. 1882 heiratete er Martha, die Liebe seines Lebens, wenige Jahre später hat er bereits drei Kinder.

Der fertige Motor hatte mit der Patentschrift, die auf bloßer Theorie beruhte, nur wenig zu tun. Was einen jahrelangen Rechtsstreit zur Folge hatte.

Über Jahre hatte er geforscht und gearbeitet. Er wurde heimgesucht von Ideen und Bildern, die sich 1890 in seinem Kopf endlich zu einem Motor zusammensetzten. Mit höherer Verdichtung und daraus resultierender Selbstzündung, so seine Idee, käme der Motor ohne Zylinderkühlung aus, da er eine langsame Verbrennung mit gleichbleibenden Temperaturen erzielen könnte. Das Ziel: 253 bar Druck und 58 Prozent Wirkungsgrad. Zur damaligen Zeit utopisch, ja wahnsinnig.

Und mit diesem Begriff war man schon zu diesem Zeitpunkt gar nicht so weit von Rudolf Diesels Geisteszustand entfernt. Immer wieder hatte er starke Kopfschmerzen, die sich nach seiner eigenen Beschreibung wie Wahnsinn anfühlten. Wie "Wirbel im Kopf", die er nur mit hoch dosierten Medikamenten in den Griff bekam.

Doch er schaffte es am 27. Februar 1892, ein Patent für sein "Arbeitsverfahren und Ausführungsart für Verbrennungskraftmaschinen" einzureichen. Mit Heinrich Buz, dem Direktor der Augsburger Maschinenfabrik (später MAN AG), und Alfred Krupp konnte Diesel namhafte Unterstützer gewinnen. Kein Wunder. Durch seine Leistungen für Linde hatte der Erfinder einen tadellosen Ruf.

Und tatsächlich gelang es Diesel bereits 1893 einen Motor zum Laufen zu bringen. Doch nicht, ihn auch am Laufen zu halten. Diesel sortierte Fehler nach Fehler aus und musste schließlich anfangen, Kompromisse zu machen und ein zweites Patent einreichen. Er baute eine Kühlung ein und nahm damit weitere Wirkungsgradverluste in Kauf.

Diesel tat alles um seinem Motor Fortschritt nach Fortschritt abzuringen. Er experimentierte mit Einspritzung und Kolbendurchmesser. Dinge, bei denen selbst heutige Computersimulationen keine zu 100 Prozent adäquate Voraussage über die zu erwartenden Ergebnisse bei Änderung treffen können. Derweil forderte sein Körper Tribut. Diesel beutet sich aus, sein Kopf rächte sich. Die Kopfschmerzen wurden immer schlimmer.

Endlich, es war April 1895, ist der Motor zur Abnahme bereit. 16,6 Prozent Wirkungsgrad – also etwa das Doppelte einer Dampfmaschine. Für Diesel war dies nur ein kleiner Zwischenschritt. Eine Art Durchbruch hielt erst das Jahr 1897 bereit. Ein wassergekühlter Viertaktmotor hat einen Wirkungsgrad von 26,6 Prozent. Er kommt ohne Kessel aus und braucht nur billiges Petroleum. Leistung: 17,8 PS. Kurzum: Ein Wunderwerk der modernen Ingenieurskunst. Statt 250 bar herrschten zwar nur 35 bar Druck, doch die Investoren und Diesel selbst sind begeistert. Euphorisiert rufen sie den Motor der Zukunft aus.

Der erste japanische Steingarten, der je in Deutschland angelegt wurde, heißt Rudolf-Diesel-Gedächtnishain und liegt im Wittelsbacher Park in Augsburg.

(Bild: Lars Evers, CC BY-SA 3.0)

Womit dann auch, was die Person Rudolf Diesel betrifft, der Zenit erreicht war. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Ingenieur zehn Jahre in seinen Traummotor investiert. Er hatte mehr und mehr gearbeitet und seine Kopfschmerzen ignoriert. Seine Arbeit wurde nie mit einem großen Durchbruch gesegnet. Es gab keinen befreienden Heureka-Moment. Diesel eliminierte immer nur Fehler um Fehler und ging nach dem Trial-and-Error-Prinzip vor.

Kaum lief der Motor, begann im harten Kapitalismus eine Hexenjagd. Die Motorenfabrik Deutz ging in einen jahrelangen Rechtsstreit gegen Diesel. Schließlich würde das Endergebnis deutlich vom ursprünglichen Patent abweichen. So zumindest die offizielle Begründung. Natürlich ging es in erster Linie darum, dass die Firmen Lizenzgebühren sparen wollten. Denn ihre Gasmotoren waren in Sachen Wirkungsgrad derart hoffnungslos unterlegen, dass es existenzbedrohend war.

Auch Diesel tat der Erfolg des Motors nicht gut. Kunden und Investoren gaben sich die Klinke in die Hand. In Deutschland gab es außerdem nationalistische Interessen, die den globalen Ideen Diesels zuwider liefen. Zwischen Gerichtsverhandlungen und Rüstungspolitik, Kundengesprächen und Investorenverhandlungen – immer bombardiert von seinen Kopfschmerzen – rieb er sich auf. Er vergaß sich und wurde größenwahnsinnig – so kaufte er Ölfelder in Galizien, um sich von der Familie Rockefeller unabhängig zu machen. Doch nicht nur er selbst, die ganze Menschheit sollte davon profitieren. Er verlor schnell die Beherrschung und wurde unberechenbar.

Im Herbst 1898 wurde er in eine Nervenheilanstalt eingeliefert. Dort plante er eine Prunk- und Protzvilla für seine Familie, für die er auch gleich ein riesiges Grundstück in München kaufte. Sehr viel mehr Geld warf er einem Makler nach, der sich in die Heilanstalt eingeschlichen hatte, um Diesel riskante Immobiliengeschäfte unterzujubeln.

Als er aus der Nervenheilanstalt entlassen wurde, bröckelte sein Imperium. Der Motor war neu und viele Kunden wussten ihn noch nicht richtig zu bedienen. Das führte zu technischen Problemen, die Diesel angelastet wurden. Um den Aktienkurs zu stützen – und so Kleinanleger vor dem Ruin zu bewahren – kaufte er von seinem Privatgeld riesige Aktienpakete.

Diesel arbeitete weiter. Immer noch wie ein Besessener. Getrieben. Er verlor jeden Überblick über seine Beteiligungen und Anteile. Seine Motorenfabrik in Augsburg ging 1911 pleite, nur eine Hypothek auf sein Haus konnte ihn retten.

Seinen Motor, seinen Mythos, beschädigten diese Querelen nie. Immer neue Industriezweige interessierten sich für den platzsparenden Wundermotor. In Ipswich sollte im Herbst 1913 ein neues Motorenwerk von Rudolf Diesel persönlich eröffnet werden. Deswegen begab er sich an Bord der "Dresden", um von Antwerpen nach Harwich zu fahren. Eine kurze Überfahrt. Am Abend des 29. September 1913 ging Rudolf Diesel in seine Kajüte. Als das Schiff am 30. September einlief, war er verschwunden.

Das Bett war gemacht, der Koffer stand ungeöffnet darauf. Auf dem Tisch lag Papierarbeit, der er sich gewidmet hatte. Rund zwei Wochen später entdeckt ein Lotsenschiff die Leiche von Rudolf Diesel im Ärmelkanal. Bergen konnte die Crew den Körper wegen der hohen Wellen nicht. Die Todesumstände konnten nie aufgeklärt werden. (mfz)