Technik-Mythos: Carsharing ist umweltfreundlich

Auch in Studien und Forschung halten sich hartnäckig Legenden. Das Carsharing gilt darin oftmals als umweltfreundlich. Doch nicht die Zahl der geteilten Autos entscheidet maßgeblich über die Umweltbilanz, sondern deren Nutzung.

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Technik-Mythos: Carsharing ist umweltfreundlich

(Bild: Shutterstock)

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Von
  • Joseph Scheppach
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Sich ein Auto bei Bedarf zu mieten, wird in Städten immer populärer und gilt gemeinhin als umweltfreundlich. Über eine Million Carsharer gibt es mittlerweile bundesweit. "Ein Carsharing-Auto ersetzt 8 bis 20 private Pkw", sagt Gunnar Nehrke vom Bundesverband CarSharing e. V. (bcs). Eine verbandseigene Studie schließt daraus auf eine Entlastung bei Verkehr und Umwelt in den Innenstädten. Klingt logisch, ist es aber leider nicht, berichtet Technology Review in seiner neuen Ausgabe.

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Denn "entscheidend ist nicht nur die Zahl der eingesparten Autos, sondern auch die Nutzungsintensität des Fahrzeugs und die Emissionswerte", erläutert Matthias Kempf vom Münchner Consulting-Unternehmen Berylls Strategy Advisors.

Im Jahr 2015 befragte die Beraterfirma gemeinsam mit der Unternehmensberatung mm customer strategy 1.900 repräsentative Führerscheinbesitzer und Carsharing-Nutzer. Das Ergebnis war überraschend. Je einfacher das Carsharing, desto geringer der Vorteil für die Umwelt.

Gut ist die eher unbequeme Variante eines stationsbasierten Autos, bei der das Fahrzeug an einem bestimmten Platz abgeholt und wieder abgestellt werden muss. Denn wer sich darauf einlässt, schafft eher das eigene Auto ab und nutzt das geliehene Fahrzeug auch für längere Fahrten am Wochenende, berichtet Markus Müller-Martini von mm customer strategy. In diesem Fall entsteht dank Carsharing zumindest Lebensraum durch freie Parkplätze, weil keine eigenen Privat-Pkw mehr ungenutzt herumstehen.

Anders sieht die Bilanz für die bequemen Free-Floating-Angebote aus. Bei ihnen gibt es keine festen Stationen. Kunden können die Autos innerhalb eines bestimmten Gebiets abstellen, wo sie wollen.

"Diese flexiblen Systeme führen in Summe dazu, dass die Leute mehr fahren als vorher – insbesondere aufgrund der Nutzer, die vorher keinen Zugriff auf einen eigenen Pkw hatten", erklärt Kempf. Das Angebot kannibalisiere quasi andere Verkehrsträger, vor allem Taxis und Mietwagen, aber auch den öffentlichen Nahverkehr.

"Kuckuckseffekt" nennt der Frankfurter Verkehrssoziologe Alfred Fuhr dieses Phänomen. "Habe ich ein Auto zur Verfügung, orientiert sich meine gesamte Verhaltensweise daran", betont der Experte. "Das Fahrzeug verhält sich dann gleichsam wie ein Kuckuck. Es stößt alle anderen Verkehrsangebote quasi aus dem gemeinsamen Nest." Und irgendwann fahre auch der umweltbewusste Carsharer mit dem Auto zum Bioladen statt mit dem Fahrrad oder Bus.

Zu einem ernüchternden Ergebnis kam 2014 auch die Berliner Beratungsfirma civity Management Consultants, nachdem sie Millionen Anmietungen von den Webseiten verschiedener Carsharing-Anbieter automatisiert ausgelesen hatte. "Free-Floating-Carsharing wird eher für kurze innerstädtische Fahrten genutzt und entlastet dort Verkehr und Umwelt kaum", berichtet civity-Geschäftsführer Stefan Weigele.

Bei einem Volumen von weniger als 0,1 Prozent des gesamten Verkehrs in den Städten relativiert sich zwar die Konkurrenz zum ÖPNV. Doch Carsharing wird nicht mehr lange ein Nischenphänomen bleiben: "In 5 bis 10 Jahren steht ein großer Durchbruch bevor", ist Kempf überzeugt. "Die Angebote verdichten sich zunehmend, und es treten weitere große Teilnehmer in den Markt." Für mehr Umweltverträglichkeit, so der Berliner Verkehrsforscher Andreas Knie, könne ein "optimal verknüpfter Mix aus ÖPNV und Carsharing" sorgen. Vor allem gelte es, meint Wiebke Zimmer vom Berliner Öko-Institut, "die Umweltfreundlichkeit durch einen höheren Anteil an Elektrofahrzeugen mit Strom aus erneuerbaren Energien in den Carsharingflotten zu steigern".

(jle)