Wahlkampfleiter: "Wir machen doch nur Fake News"

Mark Seibert, Wahlkampfmanager für die Linke bei der Agentur DiG/Plus, hat sich verwundert gezeigt über die aktuelle Debatte über Falschnachrichten. Das sei kein neues Phänomen. Die Grünen haben eine "Netzfeuerwehr" für soziale Medien aufgebaut.

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Wahlkampfleiter: "Wir machen doch nur Fake News"
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Kein Blatt vor den Mund nimmt Mark Seibert, langjähriger Wahlkampfmanager für die Linke bei der Agentur DiG/Plus, wenn es um Parteipropaganda geht. Er habe sich verwundert die Augen gerieben, "als erstmals von Fake News gesprochen wurde", erklärte der Kommunikationsstratege am Freitag auf der Konferenz "Data & Politics" der Initiative D21 in Berlin. "Wir machen doch nur Fake News im Wahlkampf", gab er zum Besten. Dies sei "kein neues Phänomen", werde aber zugleich "doch von allen durchschaut".

Der Kernaspekt bei der Frage, wie weit man Botschaften zurechtbiegen darf oder wie man die Grenze zu Halbwahrheiten zieht, ist für Seibert, "was man gerade noch so stehen lässt, bevor es richtig dirty wird". Man müsse sich morgens noch im Spiegel angucken können, lautet seine Antwort darauf. Die "ganz fiese Nummer" werde in Deutschland auch "oft nicht goutiert". Ein Fairnessabkommen zwischen den Parteien fände er daher "schön", aber ein Wahlkampf sei nun mal eine Phase "mit erbitterter Konkurrenz verdichtet auf ganz wenige Wochen".

Einen Schritt weiter gegangen sind die Grünen, die sich im Februar selbst auf einen "fairen Bundestagswahlkampf" verpflichtet haben. Darin sichere die Partei vor allem eine "klare Absenderkennung von Werbung und Kommunikation" zu, erläuterte Seiberts Kollege bei der Bundesgeschäftsstelle der Grünen, Robert Heinrich. Dies schließe Negativkampagnen nicht aus, solange transparent werde, wer dahinterstehe. Er finde auch "Dark Posts" bei Facebook in Ordnung, also "gesponserte" Beiträge, die nur bestimmte Zielgruppen in ihrem Nachrichtenstrom sehen. Letztlich müsse eine Partei aber "alles auf einer Plattform veröffentlichen", was sie so schalte.

Julius van de Laar, Mark Seibert, Robert Heinrich, Mathias Richel & Stefan Hennewig (v.l.n.r.)

(Bild: heise online/Stefan Krempl)

Die Grünen sagen auch zu, keine Meinungsroboter in Form undurchsichtiger Social Bots einzusetzen, die sich als Menschen ausgeben. Gegen Chatbots, mit denen derzeit die FDP mit ihren "Shots" für soziale Medien experimentiert, ist laut Heinrich aber nichts einzuwenden. Der Katalog umfasse auch, keine Lügen zu verbreiten und Falschnachrichten nicht weiterzuleiten.

Gerade bei "Fake News" wollen die Grünen laut ihrem Wahlkampfmanager etwas genauer hinschauen, da hier eine "andere Qualität" als bisher zu erwarten sei: "Die Kampagnenpower der AfD-Anhäger im Netz ist ja nicht weg." Heinrich berichtete von einem Fall, in dem sich ein Facebook-Nutzer mit dem erfundenen Namen "Tobias Weihrauch" über Monate hinweg eine "grüne Identität" erschlichen und dann plötzlich nach dem Wahlsieg von Donald Trump einen Beitrag verfasste, wonach nun das "Dritte Reich" zu erwarten sei und daher so "viele Afrikaner und Syrer wie möglich" ins Land geholt werden sollten.

Als Antwort darauf haben die Grünen laut Heinrich eine "Netzfeuerwehr" für Facebook & Co. gegründet, die bereits "über 2000 Leute" umfasse. "Wenn im AfD-nahen Umfeld Fake News verbreitet werden, werden wir für Aufklärung, auch für kleine Shitstürme sorgen", unterstrich der Wahlkampfleiter. Zuspitzen oder die Wahrheit zurechtzubiegen, sei in der Tat ein bekanntes Phänomen. nun kämen aber "platte, schlichte Lügen" dazu.

Das Hypethema Big Data lasse die Grünen dagegen weitgehend kalt, meinte Heinrich: Es gebe hierzulande deutlich strengere politische Vorgaben beim Datenschutz als etwa in den USA, da "denke ich nicht mehr drüber nach". Datensätze einzukaufen sei für die derzeitige Oppositionspartei im Bund tabu, man werde im Wahlkampf aber "mit Datenexperten zusammenarbeiten" und so versuchen, die eigene Kenntnis über das Klientel zu steigern. Alles in diesem Bereich werde aber "sehr klassisch" erfolgen: "Wir werden nach Alter und Geschlecht zielgruppenspezifisch potenzielle Wähler ansprechen." Dies sei online feingliedriger und besser möglich als im Straßenwahlkampf.

Den gläsernen Wähler gebe es hierzulande nicht, ergänzte der langjährige SPD-Wahlkampfhelfer Mathias Richel. Selbst bei Facebook könne man nur relativ klar auf Haushalte gruppieren, die sich dann gezielt ansprechen ließen. Parteien könnten zudem auch über den Dienst "Post Direkt" soziodemographische Daten kaufen, die in Mikrozellen mit sechs Haushalte etwa über deren Bildungsstand und Nettoeinkommen Auskunft gäben. Dass an einer Straßenecke eher Rentner oder Studenten lebten, wüssten in der Regel aber auch die Wahlkampfhelfer vor Ort.

Big Data in der Politik hält auch Richel für überschätzt. Die umstrittene These, dass der britische Datenanalyst Cambridge Analytica die Wahl für Trump entschieden habe, bezeichnete er als "linke Verschwörungstheorie". Diese solle nur verdecken, dass Hillary Clinton "ihre Kampagne versaut hat". Der Kreativdirektor bei der Agentur Torben, Lucie und die gelbe Gefahr (TLGG) begrüßte aber den Trend, dass Parteien im Netz "flacher" zu kommunizieren versuchten etwa mit "ästhetischen Videos". Er sei sehr dafür, Werbeinhalte zu kennzeichnen, aber wenn man so nah wie möglich an die Lebenswelt heranwolle und einen "coolen Nachmittag mit Freunden auf dem Tempelhofer Feld" in einem Parteispot zeige, verschwimme auch mal die klare Identifizierbarkeit. Die große Unbekannte in diesem Jahr sei, was aus dem Bundestag-Hack bald noch gezielt gestreut werde.

Die hiesigen Parteien würden kaum Vorreiter beim Einsatz von Big Data und zugespitzten Digitalkampagnen sein, ging der CDU-Marketingleiter Stefan Hennewig mit seinen Mitspielern weitgehend konform. Für die Christdemokraten stellte er klar: "Wir wissen nicht, ob wir Chatboots machen." Die Politiker sollten mit Menschen streiten und diese nicht gezielt einschüchtern oder Themen von Social Bots setzen lassen. Gegen Falschmeldungen habe die CDU "ähnliche Abwehrmaßnahmen" parat wie die Grünen.

Auch im US-Wahlkampf habe die gezielte Analyse großer Datenmengen wohl nicht mehr als fünf Prozent ausgemacht, beschied der Strategieberater Julius van de Laar, der auf der Seite der Demokraten mitgemischt hatte. Der große Unterschied sei, "dass die US-Kampagnen die ganzen Daten intern hatten und so besser einsehen konnten". Nun kämen viele Helfer aus den USA aber nach Europa mit der Frage, wie sie drüben "den Demokratieapparat wieder richtig aufgesetzt" bekämen. Frank Pörschmann, Vizepräsident der Digital Analytics Association, konstatierte: "Daten, Analysten und Algorithmen entscheiden keinen Wahlausgang alleine, aber können den Wahlkampf signifikant effizienter machen." Dabei gelte es, viele Fallen zu umschiffen und etwa nicht maschinell entdeckte Korrelationen mit Kausalitäten zu verwechseln. (mho)