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Was war. Was wird. Zur neuen deutschen Fake-Aufrüstungswut.

Ein Cyber ist ein Cyber ist ein Cyber ist ein Cyber. Was man uns damit sagen will? Gute Frage, meint Hal Faber, der all die Cyber-Angstträume von Flinten-, Meinungs- und Bedenkenträgern so traurig findet, dass er (noch) lachen muss.

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Cyber Cyber Cyber

Nein, das ist nicht Ursula von der Leyen. Manche ihrer Reden hören sich aber so an, als entspräche dies ihrer Selbstwahrnehmung.

(Bild: alan9187, Public Domain (CC0))

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Rumtata, Tschinderassassa, ach wie toll das fetzt, da lacht meine innere Pickelhaube. Wir haben einen wunderbaren Cybermarsch für unsere neue Teilstreitkraft, die Cyberkrieger, da können selbst die flott klingenden Älpler nicht mithalten. Und so fesche blaue Barette haben unsere IT-Kämpfer, wohl der Hinweis darauf, dass die zivile IT bei der BWI ein lupenreiner IBM-Laden ist, mit Lenovo Thinkpads an der Schreibtisch-Front. Dabei steckt dieses Cyber längst im Exoskelett unserer Truppen, wie es unsere Verteidigungsministerin in ihrer Rede betonte: "Denken wir an den MedEvac-Hubschrauber in Mali, der nicht abhebt, ohne dass er an ein SAP-Programm angeschlossen wurde." Was für eine tolle Werbung für SASPF, ganz für umme. Aber gemach, es kommt noch besser.
"Wenn die Netze der Bundeswehr angegriffen werden, dann dürfen wir uns auch wehren. Sobald ein Angriff die Funktions- und Einsatzfähigkeit der Streitkräfte gefährdet, dürfen wir uns auch offensiv verteidigen. Bei Attacken auf andere staatliche Institutionen können wir immer im Rahmen der Amtshilfe tätig werden. In den Auslandseinsätzen ist die Lage klar. Hier bestimmen die Bundestagsmandate die Möglichkeiten – und Grenzen – das gilt selbstverständlich auch für den Cyberraum. Und soweit es darüber hinaus noch rechtlichen Klärungsbedarf gibt, stehen wir ohnehin in engem Austausch mit den zuständigen Ressorts. Dabei ist Cyber nur einer der wesentlichen Anteile im größeren Informationsraum. Die Vielfalt stellt uns tagtäglich vor neue Herausforderungen. Mit der hybriden Kriegsführung in der Ostukraine haben wir einen Vorgeschmack bekommen. Und die Drohung eines virtuellen Kalifats ist keine leere mehr. Wir erinnern uns an den Bundestagshack ebenso wie an die Fake-News-Kampagne gegen die Bundeswehr in Litauen."

*** Das ist schon erstaunlich. Einerseits ist der Cyberraum unendlich groß, andererseits scheint er Landesgrenzen zu haben, wo die ITler nur mit einem Mandat des Bundestages loshacken dürfen. Nicht minder überraschend auch, wie hier der Bundestagshack in das militärische Bedrohungsszenario eingebettet wird und Narichten von Russia Today an der Grenze zur Kriegshandlung gewertet werden. Dieses Cyber muss also "offensiv verteidigt" werden, bis hin zum harten Bodenkampf mit abgesessener IT-Infanterie, bis auch die letzte Fake-News besiegt worden ist. Ich höre schon zackig gebrüllte Kommandos und Befehle, wenn das Bundeskriminalamt wieder einmal ein Botnetz ausgehoben hat. So etwas muss die Truppe schon übernehmen dürfen, um die nötige DDoS-Power für das "offensive Verteidigen" zu bekommen, oder?

*** Natürlich gefällt diese neue Cyber-Teilstreitkraft nicht jedermann. Die Wumm-Peng-Baller-Fraktion wird daher die Nachricht beklatschen, dass unser Heer drei neue Artilleriedivisionen bekommt. Das ist eine Investition, die "nach Ansicht von Bundeswehrexperten deutlich teurer werden [dürfte] als die Investitionen in die Cyberabwehr." So gehen die Deutschen, die Deutschen gehen so – vor dem großen Strategen, dem Weltpolitiker mit Weitblick namens Donald Trump in die Knie.

*** Bleiben wir bei den Fake-News in unserem frisch militarisierten Leben. Was von der Leyen mit ihrer neuen Truppe nicht schafft, das hat das Bundeskabinett ganz locker hinbekommen, die Internetfreiheiten ins Koma zu schicken. Das irrsinnigerweise Netzwerkdurchsetzungsgesetz genannte Zensurgesetz ist auf den Weg gebracht. So wie einst von Paul Sethe die Pressefreiheit als Freiheit von ein paar reichen Leuten definiert wurde, ihre Meinung zu verbreiten, soll jetzt die Meinungsfreiheit die Freiheit von ein paar Unternehmen sein, "objektiv strafbare Inhalte" in Selbstjustiz zu verbieten. "Soldaten sind Mörder", das ist künftig ein Fall für Twitter und Facebook Deutschland, nicht mehr für ordentliche Gerichte. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt, diesen Durchsetzungsmurks zu verhindern. Nein, gemeint ist nicht die Opposition mit einer Partei der Grünen, denen der Murks nicht weit genug geht. Soviel zu einer Partei, die einst mit dem Konzept der alternativen Gegenöffentlichkeit groß geworden ist.

*** So ist es wieder einmal Karlsruhe der Zauberort im Auge des Sturms: Nahezu zeitgleich hat sich das Bundesverfassungsgericht mit der Zulässigkeit von Schmähkritik befasst. So werden wir noch viel Spaß mit mitleidlosen Bloggern haben, die aus der Erwähnung in einem Heise-Forum unter Hinweis auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz bereits jetzt über Klagen nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz fantasieren. Ja, die Heise-Foren werden offenbar zu den "höchstens zehn sozialen Netzwerke" mit mehr als zwei Millionen Nutzern in Deutschland gerechnet, die vom Gesetz betroffen sind. Schlappe 50 Millionen Euro werden die Netzwerke für den Aufbau ihrer Privatgerichtsbarkeit aufwenden müssen, heißt es in der Gesetzesbegründung. So etwas muss natürlich mit mehr Werbung wieder reingeholt werden – oder mit dem Verkauf von Daten an die Politik. "Facebook und Twitter sitzen auf riesigen Datenmengen über die Probleme unseres politischen Systems, die sie nicht rausrücken", meint Philipp Howard in der Süddeutschen. Das muss doch zu monetarisieren sein!

*** Hinzuweisen wäre noch auf Artikel 2 des empörungsreichen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, mit dem das Telemediengesetz im §14 Absatz 2 wieder einmal ergänzt werden soll. Erst ging es in diesem Artikel zur Bestandsdatenauskunft nur um den Schutz des geistigen Eigentums, dann kam ganz selbstverständlich die "Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus" hinzu und die Auskunftspflicht wurde auf die Nachrichtendienste ausgedehnt. Nun geht es weiter im Geschirr der Datenschnüffler. Neben dem geistigen Eigentum sind "andere absolut geschützte Rechte" in aller gebotenen Undeutlichkeit aufgeführt. Der neue Freifahrtschein für Daten-Auskünfte aller Art liest sich dann so:
"Auf Anordnung der zuständigen Stellen darf der Diensteanbieter im Einzelfall Auskunft über Bestandsdaten erteilen, soweit dies für Zwecke der Strafverfolgung, zur Gefahrenabwehr durch die Polizeibehörden der Länder, zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes oder des Militärischen Abschirmdienstes oder des Bundeskriminalamtes im Rahmen seiner Aufgabe zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus oder zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum oder anderer absolut geschützter Rechte erforderlich ist."

*** Vielleicht hat das alles dann doch bald ein Ende, und vom Weinen übers Lachen gehen wir zum letzten Schrei über, weil nichts mehr bleibt, worüber man noch lachen könnte. Wie sang einst Peter Hammill bei Van der Graaf Generator: "We walked along, sometimes hand in hand, between the thin lines marking sea and sand; smiling very peacefully, we began to notice that we could be free, and we moved together to the West. We're refugees, walking away from the life that we've known and loved; nothing to do nor say, nowhere to stay; now we are alone."

Was wird.

Am Montag wurde in Berlin wieder einmal einer dieser Exzellenz-Cluster gestartet, die Deutschland nach vorne bringen soll, egal wo dies ist. Diesmal will man im Namen von Einstein dieser Digitalisierung auf die Schliche kommen. Fragen gibt es ja genug. Was treibt den Menschen, einen Dildo mit Kamera zu kaufen? Medizinischer Forscherdrang eher nicht. Interessant dürfte die Forderung der Einstein-Abteilung für Digitale Gesundheit sein, die elektronischen Patientenakten der medizinischen Telematik in die Cloud zu legen, damit alle, Forscher wie Ärzte, auf die personalisierten Daten zugreifen können. So freuen wir uns auf die Medizinmesse ConHIT ebenda zu Berlin, die die allgemeine Verfügbarkeit von Patientendata als Messe-Highlight anpreist und nicht als Datenschutz-GAU. Patientenakten in der Cloud, die zum Zugriff nötige Software als Software-as-a-Service, da schlägt doch allen IT-Menschen das Herz schneller.

Schon Heinz Nixdorf versuchte sich an sowas. Der Heinz Nixdorf? Ja, genau, der ...

Wer etwas wirklich Gesundes tun will, kann sich an einem Ostermarsch beteiligen. Oder, wie jeden Sonntag um 14 Uhr, am #PulseOfEurope in diversen (nicht nur) deutschen Städten. Angeblich erleben wir ja die Geburt eines Außenpolitikers von Helden-Format. Zu dumm, dass dieser unstete "Held" mit seinem durchaus kritisch beurteilten Schnellschlag im Besitz eines Atomköfferchens ist, das Air Force-Pilot Wes Spurlock in Mar-a-Lago getragen hatte. In einigen Regionen Deutschlands wird nicht marschiert, sondern das Fahrrad benutzt. Auch E-Bikes sind gestattet, inzwischen ist Strom ja regenerativ sowas von gesund. (jk)