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Was war. Was wird. Von der Reformation zur Lachattacke.

Freiheit? Freiheit! Was dieser Tage alles gefeiert wird, da kommt einiges zusammen. Das Wichtigste aber sollte man keinesfalls vergessen, betont Hal Faber.

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Was war. Was wird. Von der Reformation zur Lachattacke.

Ob Pessach- oder Osterlamm, es ist eine schwere Zeit, auch wenn die Freiheit gefeiert wird.

(Bild: Knarrhultpia, Public Domain (Creative Commons $(LEhttps://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de:$CC0|_blank)))

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wie lange bunte Schlangen walzen sich die Ostermärsche durch das Land, als mutige Antwort auf die dicken Raketen bei der Kimparade. Huch, heiliger Lammbraten, soll die österliche Wochenschau etwa mit einer dieser "Fake News" beginnen? Dann doch lieber mit den Aufrüstungsbemühungen unserer Bundeswehr, die mit "Cyber Days" ihre IT-Kampfkraft stärkt und die Besten der Besten auf Basis der Software "Capture the Flag" einem harten Einsatztest unterzieht. Nachdem es schon in der letzten WWWW-Ausgabe cyberte, schickte mir ein Leser das nebenan abgebildete, von ihm kommentierte Foto von der Kaserne, in der die Leitung der Teilstreitkraft Cyber- und Informationsraum residiert. Wir sehen: Ein beeindruckender Cybersicherheitszaun umgibt das Gelände, in dem der Wachposten in einem niedlichen Torhäuschen das Tablet mit Bajonett präsentiert. Rund um das Häuschen, noch bröckelig geschichtet, sind feldgraue Rudimente der mächtigen Militär-Firewall zu sehen, die zur Not auch als Wurfgeschosse dienen könnten. "Lasciate ogni intelligenza, voi ch' entrate."

*** Ja, so ist die besonders gehärtete Militärpräsenz mit den Kampf-Walls von Secunet bestens ausgestattet, den Cyber-Gefahren zu begegnen. Ganz anders steht unser deutscher Bundestag da, der nach einem "Geheimbericht" der "Pentesting"-Firma Secunet fette Sicherheitslücken aufweist und zunächst einmal für 470.000 Euro für eine Firewall ausgibt, bei der die Abwehr-Klötzchen dichter gepackt sind als eine Lastwagenlieferung von Amazon Prime-Retouren. Gratulation an Secunet für diesen vorösterlichen Werbe-Coup in eigener Sache!

*** Vor 500 Jahren, zu Ostern 1517, predigte der Dominikanermönch Johann Tetzel zum göttlichen Ablassverfahren in Jüterbog und schlug eine große Truhe auf, aus der sich der neue christliche Geschäftszweig der Evangelen entwickelte. Denn ungerecht waren sie ja, diese käuflichen Reuen der menschlichen Sünden in Depot-Form, mit dem die großen Bankhäuser entstanden, an die das Geschäft verpachtet wurd. Der Ablass für Sodomie notierte anno 1517 mit zwölf Dukaten, der Kirchenraub mit neun, Hexerei mit sechs. Vergleichsweise kostengünstig war der Elternmord und der Mord am eigenen Weibe mit vier Dukaten. Besonders schick und an die Internet-Ökonomie erinnernd war die Möglichkeit, sich vor der Tat den passenden Ablass zu kaufen, wie dies Ritter Hake tat, bevor er Tetzel ausraubte. Eine Tagesreise weiter südlich erlebte Martin Luther in Wittenberg, wie seine Schäfchen über die Grenze nach Jüterbog gingen, um sich freizukaufen. Bekanntlich lief in dieser Woche "Die Luther Matrix", nur echt mit Deppen-Leerzeichen, mit Sicherheit der größte Trash des Jahres 2017. Wer Edward Snowden mit Martin Luther zusammenbringen kann, für den muss Barack Obama eine Erleuchtung sein.

*** Das Programm der re:publica 2017 ist draußen und siehet, es ist eine gar österliche Offenbarung der Liebe. Drei Religionen treten diesmal an und ringen um den Glauben der 3000 Netzschäfchen, die nach Berlin zum Ablassen kommen. Da sind die Voodoo-Priester der Blockchain, eine Art digitaler Oblaten, in denen der Geist des Internet steckt. Mit der Blockchain kann die Demokratie demokratisiert, die Natur renaturalisiert werden, sogar der Stromhandel über den Gartenzaun ist möglich, damit das Entreprekariat seiner prekären Existenz entfliehen kann. Dann sind da die Katholen, die gekonnt die große Tetzel-Frage stellen: What the Fuck is Netzpolitik? Ja, wenn der Mensch ein Abbild Gottes ist, dann sind seine Daten Rohöl für diese göttliche Teilhabegerechtigkeit: Mindestens eine Kirchensteuer für Internetkonzerne muss doch drin sein.

*** Schließlich gehen die Evangelen in Berlin in die Vollen, stolz auf 500 Jahre Reformation ziehen sie voll verinnerlicht aus, die digitale Theologie zu verkünden mit den Zehn Geboten für die Digitale Welt. Statt "Think!" (IBM) oder "nutze deinen Verstand!" (Kant) lesen wir Gefasel in schlechtem Deutsch statt Gebote: "Du brauchst dich nicht vereinnahmen zu lassen!". Vereinnahmen, sowas kannte ich nur von den Vereinen und ihrem "Mein Freund ist Ausländer". Das mit dem Datentestament mag ja noch angehen, bedarf aber technischer Anleitung, zumal Downloads in einem Nachlass stecken können, die nach dem Glauben deutscher Christen einfach pietätlos sind: "Du sollst nicht illegal downloaden!"

*** Nun ist seit Montag auch Pessach, das bis zum 18. April gefeiert wird. Dieser Auszug aus Ägypten dauerte halt. Zum höchsten Fest der Juden (es dauerte auch etwas, bis Luthers Judenhass fürs Reformationsjubeljahr Thema wurde) ist bei uns Verleugnung angelaufen, ein Film über die Fake News, die "Forscher" wie David Irving oder Ernst Zündel mit seiner Zündelsite oder "Reporter" wie Fred Leuchter in die Welt setzten. Wer glaubt, dass diese Sicht des Holocaust als reine Meinungssache abgetan werden kann, hat den Unsinn schon vergessen, den Trumps Sprecher Sean Spicer über die Holocaust Center erzählte. In diesem Wortbild steckt die Holocaust-Industrie der Faktenverdreher, gegen die seinerzeit Deborah Lipstadt aktiv wurde und Irving einen Lügner nannte. Seinerzeit? Als Lipstadts Buch "Betrifft: Leugnen des Holocaust" 1994 in Deutschland erschien, war Deutschland mitten im "Superwahljahr" und Erwin Leiser fragte sich im Vorwort, wie Medien mit Neonazis, Holcaust-Leugnern und anderen Verharmlosern umgehen sollen. "Man darf ihnen nicht die Möglichkeit geben, ihre Thesen in Radio und Fernsehen zu vertreten. Redefreiheit steht nur denen zu, die sie nicht missbrauchen."

Was wird.

Damals kam das Internet hinzu, das von Leuten wie Zündel rege genutzt wurde, um Fake News über den Völkermord zu verbreiten. Prompt gab es Klagen gegen Verlinkungen und die merkwürdigsten Kompromisse. In einer Bulkware von damals, Beihilfe zur Realität betitelt, kam der Fall des Internet-Providers Web.com zur Sprache, der Zündel hostete, aber von jeder Seite aus einen Link zum Nizkor-Projekt verlangte, wo jede Behauptung der Zündels, Irvings, Leuchters und Stäglichs detailreich widerlegt wird. Erwähnt sind auch die vielen Seiten, die Neonazi-Schmierer auf Geocities unter Namen wie "Reichskanzlei" oder "Lebensraum" einrichteten. Heute finden sich solche Seiten auf VKontakte oder, ziemlich versteckt, auf Facebook. Nein, früher war nicht alles besser! Heute haben wir ja das hübsch benamste Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das von der Mehrheit einer Menge von Befragten für begrüßt wird. Ob sie den Murks des Gesetzentwurfes gelesen haben, ist nicht bekannt. "Redefreiheit steht nur denen zu, die sie nicht missbrauchen", so einfach geht das heute nicht. Zum kommenden Gesetz heißt es in der Deklaration für Meinungsfreiheit sprachlich verquast und inhaltlich verschwurbelt:
"Absichtliche Falschmeldungen, Hassrede und menschenfeindliche Hetze sind Probleme der Gesellschaft und können daher auch nicht durch die Internetdiensteanbieter allein angegangen werden – dafür bedarf es der Kooperation von Staat, Zivilgesellschaft und der Anbieter. Wir setzen uns daher für eine gesamtgesellschaftliche Lösung ein, durch die strafwürdiges Verhalten konsequent verfolgt wird, Gegenrede und Medienkompetenz gestärkt werden und ein die Meinungsfreiheit respektierender Rechtsrahmen für die Löschung oder Sperrung rechtswidriger Inhalte erhalten bleibt."

Wo bleibt das Positive? Deutschland bekommt im Herbst den ersten echten Sicherheitsbahnhof. 500 Pendler testen dann wie seinerzeit beim fehlgeschlagenen Test im Mainzer Hauptbahnhof, ob die Gesichtserkennung über moderne Videokameras so weit gediehen ist, dass Gesichter von Gesuchten auf den großen Rolltreppen endlich automatisch gefunden werden können. Zwar hat will man noch "zeitnah" entscheiden, welche "Hersteller von Gesichtserkennungssystemen" eigentlich die Software dafür stellen, wenn ein Gesicht von der Datenbank identifiziert wird und die Bundespolizei per Vorrangschaltung die Verfolgung durch das Berliner S-Bahn-Videonetz aufnimmt. Auch beim zweiten Projekt der automatischen Analyse zum automatischen "Erkennen gefährlicher Situationen" hat man sich noch auf keinen Software-Partner festgelegt, doch freuen wir uns mal ganz österlich gestimmt: "Wenn's Videokasterl Sicherheit bringt, die Seele in den Himmel springt". Die Seele des Menschen, das bewies der Arzt Carl Ludwig Schleich vor 100 Jahren höchst wissenschaftlich im Einklang mit den alten Griechen, ist das Zwerchfell. Gesegnete Seelenattacken allerseits.

An Pesach wird ja die Freiheit gefeiert. Musik ist da immer gut, von John Zorn und seinen Chaverim vom Bar Kokhba Sextet sowieso. Teli, die Himmelschlange, übrigens, führt Gershom Sholem aus, verursacht Finsternisse. Freuen wir uns also lieber an der Freiheit und hoffen wir, dass sich andere Schlangen durch Deutschland wälzen, die Himmelsschlange aber Ruhe hält. (jk)