Aufstand der Nerds

Am 22. April wollen Menschen auf der ganzen Welt für wissenschaftliches Denken und gegen "alternative Fakten" demonstrieren. Ist das wirklich eine gute Idee?

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Ausgegangen ist die Bewegung von Amerika. Angesichts eines Präsidenten, der den Klimawandel für eine "Erfindung der Chinesen" hält, und Kreationisten und Impfgegner auf wichtige Posten seiner Regierung setzt, ein verständlicher Reflex. Aber auch in Deutschland rufen mittlerweile Dutzende von wissenschaftlichen Organisationen zu lokalen Aktionen auf.

"Kritisches Denken und fundiertes Urteilen setzt voraus, dass es verlässliche Kriterien gibt, die es erlauben, die Wertigkeit von Informationen einzuordnen", heißt es im "Mission Statement" der deutschen Aktionsseite Marchforscience.de, die die dazugehörigen Aktionen in Deutschland koordiniert.

Und weiter: "Die gründliche Erforschung unserer Welt und die anschließende Einordnung der Erkenntnisse, die dabei gewonnen werden, ist die Aufgabe von Wissenschaft. Wenn jedoch wissenschaftlich fundierte Tatsachen geleugnet, relativiert oder lediglich 'alternativen Fakten' als gleichwertig gegenübergestellt werden, um daraus politisches Kapital zu schlagen, wird jedem konstruktiven Dialog die Basis entzogen. Am 22. April 2017 werden deshalb weltweit Menschen auf die Straße gehen, um dafür zu demonstrieren, dass wissenschaftliche Erkenntnisse als Grundlage des gesellschaftlichen Diskurses nicht verhandelbar sind."

Uff. Liest noch jemand mit? Gut. Ich bin erleichtert. Denn ich halte die Aktion im Grunde genommen für wichtig. Allerdings gibt es ein paar kleine Einwände. Kritiker, die an sich auf der Seite der Wissenschaft stehen, geben zum Beispiel zu bedenken, dass die Demo nur jene überzeugen wird, die ohnehin schon überzeugt sind. Andere argumentieren, die antiwissenschaftliche Haltung der Trump-Regierung sei nur ein Symptom – die Ursache sei eine tiefe Vertrauenskrise zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Der Mangel an Vertrauen müsse auf anderem Wege wieder hergestellt werden, als mit einer Demonstration.

So sympathisch ich diesen "Aufstand der anständigen Nerds" auch finde – an der Argumentation ist was dran. Wenn der "Marsch für die Wissenschaft" die Keimzelle einer neuen Bewegung sein soll, dann muss sich diese Bewegung der Gefahr der Rechthaberei und Arroganz bewusst werden. Sie darf interne Widersprüche nicht verschweigen und zum Beispiel so tun, als sei Wissenschaft per se etwas edles, sachliches, logisches – und unpolitisches. Die vergangenen 50 Jahre – insbesondere die Umweltbewegung – haben ja deutlich gezeigt, dass wissenschaftliche Erkenntnisse eben nicht politikfrei sind. Es hat genügend Fälle gegeben, in denen wissenschaftliche Fragestellungen eben nicht von der Suche nach Erkenntnis geleitet waren, sondern oft auch von ganz anderen Interessen.

Die zweite Gefahr besteht meiner Meinung darin, wissenschaftliche Erkenntnisse verkürzt als "die Wahrheit" darzustellen, und alles andere als Unfug abzutun. Ich weiß, das tut in dieser Verkürzung niemand, aber eine möglicherweise entstehende Bewegung für Wissenschaft muss aufpassen, dass das von der Öffentlichkeit auch nicht so verstanden wird. Sie muss gleichzeitig transportieren, dass Wissenschaft auf Fakten beruht, rational und logisch ist – aber nicht notwendigerweise zu dem einen felsenfesten Ergebnis führt, das dann für alle Zeiten gilt.

In der FAQ zum deutschen Sciencemarch wird das ganz gut dargestellt: "Sie (die Wissenschaft) gibt sich nicht mit dem Status quo zufrieden, sondern testet ihre Befunde auf Belastbarkeit – und muss Erkenntnisse deshalb auch revidieren, wenn sich die Datenlage ändert, etwa aufgrund verbesserter Instrumente oder systematischerer Beobachtungen. Dass die Erde um die Sonne kreist, war ja beispielsweise auch nicht immer Konsens. Und manchmal widersprechen die Daten einander auch, weil man immer nur Ausschnitte der Wirklichkeit prüfen kann, nie das Ganze. Verschiedene Informationsquellen, unterschiedliche Messinstrumente können zu unterschiedlichen Ergebnissen führen; manche Resultate gelten nicht universell, sondern nur für Teile des Phänomens. Widersprüche heißen also nicht, dass 'die Wissenschaft es selbst nicht so genau weiß', sondern dass man dies zum Anlass nehmen muss, genauer hinzuschauen."

Das geht in die richtige Richtung. Mal sehen, ob es dort auch ankommt. (wst)