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Was war. Was wird. Kommen die Bobos zurück? Und stirbt die Freiheit zuvor?

's ist Krieg! 's ist Krieg! Und er wird ebenso blutig enden wie alle anderen Kriege, wenn wir nicht seiner Anfänge wehren, ist sich Hal Faber sicher. Von wegen Pest oder Cholera ...

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Freihiet, Stacheldraht

Unblutig, nein, unblutig wird auch ein Cyber-Krieg nicht verlaufen, denn er wird nur der Anfang des Leidens sein. Die Info-Wars der Wahlkämpfe und die Terrorbekämpfungs-Aktivitäten unserer Tage sind nur das Vorgeplänkel: Die Freiheit stirbt zuerst.

(Bild: Chris Reading, Public Domain (Creative Commons CC0))

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Sie sind wieder da. Gefühlte 900 Wochenschauen früher waren sie häufig ein Thema, die Bobos, die Mitglieder der digitalen Boheme, auch Bobos (Bohemian Bourgeoisie) genannt. Nun hat sie Laurent Joffrin ausgemacht, der Chefredakteur der Libération, den ein Albtraum plagt. Wird Macron "die Stimme nicht nur der gesetzten Lifestyle-Linken, der sogenannten Bobos, und der digitalen Boheme, sondern der ganzen Republik sein?" An der Frage verwundert zunächst, dass Lifestyle-Linke, Bobos und die digitale Boheme (also nochmal Bobos) zusammen jene 24 Prozent ausmachen können, die für Macron gestimmt haben. Ist Marianne in der IT uns deutschen Micheln so weit enteilt oder gibt es da nicht doch die eine oder andere Stimme, die für Macron ist, weil dieser an Europa festhalten will?

*** Gibt es nicht das eine oder andere Argument, für Macron zu stimmen, um Le Pen zu verhindern? Mit großem Tamtam wurde in dieser Woche der schräge Fall eines Bundeswehrsoldaten und Flüchtlingssimulanten diskutiert, der im französischen Saint-Cyr ausgebildet wurde, dort bereits 2014 mit rechtsnationalem Gedankengut in seiner Masterarbeit auffiel und eine Todesliste linker Aktivisten in Deutschland und Frankreich zusammengestellt hatte. Das sollte selbst der dummen Linken zu denken geben, die bei der anstehenden Stichwahl von der Wahl zwischen Pest und Cholera schwafelt.

*** Die wichtigste Nachricht der Woche dürfte wohl das Eingeständnis von Facebook sein, Teil einer Desinformationskampagne gewesen zu sein. 30.000 gefälschte Accounts bzw. "falsche Verstärker" will man allein in Frankreich gelöscht haben. Das mächtige Netzwerk ist damit ein Kampfterrain der Cyberkrieger, die Wahlen beeinflussen wollen und kann sich nicht dagegen schützen. Das gilt für künftige Wahlen wie für die US-Wahl, die uns bislang 100 Tage Trump und 100 Tage Spicer beschert haben. Achja: Die Attribuierung, die Facebook vornimmt, unterscheidet sich nicht von den Vermutungen der US-Geheimdienste.

*** Ja, da schwafelt es vom Cyberkrieg und von der digitalen Abwehrbereitschaft, als wäre der digitale Krieg, der im Vorfeld der staatlichen Auseinandersetzungen bereits mit Fake News und Info-Müll bereits in eine Art Vorkrieg eintritt, ein besseres Ballerspiel, zum Vergnügen der hippen neuen Bundeswehrsoldaten. Der Krieg, der mit der Beeinflussung der Wahlen in den Demokratien beginnt, wird aber genauso blutig enden, dass man mit Matthias Claudius keineswegs Schuld daran sein will.

's ist Krieg! 's ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
's ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten
In ihrer Todesnot?

Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?

Wenn Hunger, böse Seuch' und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?

Was hülf mir Kron' und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
's ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Es ist eben nicht die Wahl zwischen Pest und Cholera, sondern zwischen nationalistischer Diktatur und (keineswegs perfekter) liberaler Demokratie, wenn man sich zwischen rechten Populisten und europabegeisterten Liberalen entscheiden muss. Es genügt der Blick ins eigene Haus, man muss nicht auf Paris starren: Frauke Petry oder Christian Lindner? Alexander Gauland oder Katrin Göring-Eckardt? Die Freiheit kommt halt schon mal auf Krücken - und zeigt mit dem Antlitz der kleinen Parteien, wohin die Reise gehen könnte. Oder, anders gesagt: War Alexander von der Bellen der Anfang, oder wird Marine Le Pen der Anfang vom Ende sein?

*** Alles schaut auf die Türkei und die ungehemmt laufende Ermächtigung von Erdogan, während es doch bei uns auch hoch hergeht. Die große Koalition macht tabula rasa mit dem gern beschworenen ach so "friedlichen Zusammenleben in einer offenen Gesellschaft". Wenn selbst Juristen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz als Meinungsfreiheitsbekämpfungsgesetz bezeichnen, dann ist das schon bemerkenswert. Wenn ein SPD-Politiker sich gegen die Wortwahl von heise online verwehrt, wo von Deep Packet Inspection light die Rede ist, ist das sein gutes Recht. Wenn man aber gleichzeitig gar nicht definieren kann (oder will?), was genau diese "Steuerdaten" sind, die Provider auswerten dürfen, ist dies der Teil, wo das "Gesetz über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus" in technische Willkür ausufert. So steuert man mit dem Abgreifen von "Steuerdaten" ein Stück weiter hin zum Überwachungsstaat, komplett mit schicker Fußfessel für ca. 130 Gefährder und weitere Extremisten, auch nach verbüßter Haftstrafe.

*** Mit dabei: die Polizei-Cloud, die das Bundeskriminalamt nun aufbauen darf, natürlich mit dem schicksten Oracle. Nach dem vollkommen unsinnigen Gerede über Datentöpfe und Kerndatensysteme muss man das neue BKA-Gesetz als dreifache Bären-Kraul-Aufnötigung verstehen. Jetzt ist Schluss mit den unsinnigen inkompatiblen Datenbanken der Bundesländer. Besonders pikant: Die Kennzeichnungen, welche Datensätze aus den Altsystemen in der neuen Cloud verarbeitet, an wen sie weitergegeben werden dürfen und an wen nicht, entfallen und werden nach §91 durch Einrichtungsanordnungen ersetzt. Widewidewitt, ich mach mir die Polizeiwelt, widewide wie sie mir gefällt, tralala. Offen bleibt nur ein einziger Wunsch, aufgeschoben bis zur anstehenden Bundestagswahl: Könnte da nicht, wie jetzt in Berlin bei der Umsetzung des eGovernment ein AfDler den Ausschussvorsitz der vorgesehenen parlamentarischen Begleitkommission zur Umsetzung des BKA-Gesetzes übernehmen?

*** Sie sind wieder da und er ist wieder da: René Obermann, bis 2014 Vorsitzender der Deutschen Telekom und knallharter Problemlöser, ist einer der neuen Heraus-Ratgeber der Zeit, dem Wochenblatt für pensionierte Lehrer. Der Kämpfer gegen die Netzneutralität soll dem Blatt wohl zum technischen Durchblick verhelfen. Wir wissen ja: Sein Herz schlägt für Snowden, sein juristischer Verstand sagt öh, äh. Die Gefangenen des Widerspruchs sind andere.

Was wird.

Heraus, heraus zum 1. Mai, dem internationalen Kampftag der Arbeiterklasse! Überall wird gefeiert und gefaustet, nur nicht in den US of Amerika, wo der traditionelle Loyalty Day of Americanization diesmal besonders hübsch von Präsident Trump proklamiert wird. Ja, es ist hart, loyal zu einem archaischem System von "Checks and Balances" zu stehen, dass einem Deklarator so oft die Arbeit vermiest. Da erinnern wir uns doch lieber an die heroischen amerikanischen Arbeiter.

Die deutsche Arbeiterklasse – jedenfalls ihr gewerkschaftlicher Flügel – hat heuer für ihren großen Tag ein seltsames Motto gefunden. "Wir sind viele. Wir sind eins." klingt handzahm wie eine Facebook-Gruppe für die Abschaffung der Mengenlehre oder wie frühe Poesie von Floh de Cologne. Das entsprechende Plakat dazu zeigt eine rote 1 vor violettem Hintergrund, leicht an 1&1 erinnernd, das die Arbeiterklasse gerade mit kombinierten Auto-Telefon-Verträgen von 99,99 Euro korrumpiert. Was soll's. Der traditionelle Maiaufruf des Gewerkschaftsvorsitzenden ist ein Katzenvideo, das die Kampfkraft besonders stärkt, in Zeiten, in denen Arbeiterfaust gemäß ver.di zu Angeboten auf eBay führt. Mir freischwebenden Intellektuellen bietet die Bucht da nichts dergleichen an, sondern nur das "Manifest der neuen Libertären", ein Aufruf für mehr Schwarzarbeit und Schwarzmärkte. So sind sie verworren, die Zeiten, in denen eine Debatte über die geistige Situation der Zeit nicht zu Habermas, sondern zur großen Regression führt. Nichts gegen Gewerkschaften, im Prinzip. Wie das so ist mit Prinzipien: Gestandene  Anarchisten (etwas Geschichtsbewusstsein tut immer gut) halten die Anarcho-Syndikalisten zwar für stinkende Reformisten – aber dann doch lieber FAU als DGB.

Wo bleibt der feste Halt, wenn alles schrumpft und schwächelt? Natürlich in Bielefeld, wo am Freitag die Big Brother Awards verliehen werden. Mit Kräften arbeiten sie da bei Digitalcourage daran, "Datenkraken ans Licht" zu zerren. Viele IT-Firmen halten schon mal die Luft an, auch in dem einen oder anderen Ministerium bringt sich vorsorglich ein Stellungnahmenschreiber in Stellung. Währenddessen laufen die Vorbereitungen in Bielefeld. Einen Eklat wie letztes Jahr, als der zum Mikro stürmende Deutschland-Chef von Negativpreisträger Change.org für Unruhe sorgte, will man auf jeden Fall vermeiden. Was an der Petitionsplattform Schlimmes ist, soll derweil ein radegebrochener Artikel aus Italien erklären.

Bis es soweit ist, dass Punkt 18:00 am Freitag die Preisträger und Preisträgerinnen bekannt gegeben werden, hat die Woche noch allerhand zu bieten. Besonders in Berlin, wo zum Tag der Pressefreiheit eine Soli-Show für inhaftierte Journalisten stattfindet. Soli steht dabei für Solidarität, ein Wort, das früher zum 1. Mai gehörte wie Joghurt zum Obst. #FreeDeniz, #FreeRaif. (jk)