Zahlen, bitte! 320 Empfänger für die erste Spam-Mail

Vor 39 Jahren kursierte im Internet-Vorgänger Arpanet die erste Werbe-Mail und begründete die unrühmliche Tradition der erst seit Mitte der 1990er Jahre als Spam bezeichneten unerwünschten Massen-Mails.

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Zahlen, bitte! Der erste Spam: 400 versehentlich verschickte Mails
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Detlef Borchers
  • Volker Zota
Inhaltsverzeichnis
Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Die erste Massen-Werbe-Mail wurde am 1. Mai 1978 von Gary Thuerk (THUERK@DEC-MARLBORO) im Internet-Vorläufer Arpanet verschickt. Es handelte sich um eine Einladung zu einer Produktpräsentation des Computerherstellers DEC. Statt als erste erfolgreiche Mail-Kampagne gingen die folgenden Zeilen allerdings als Ursprung des Mail-Spam in die Geschichte ein:

DIGITAL WILL BE GIVING A PRODUCT PRESENTATION OF THE NEWEST MEMBERS OF THE DECSYSTEM-20 FAMILY; THE DECSYSTEM-2020, 2020T, 2060, AND 2060T. THE DECSYSTEM-20 FAMILY OF COMPUTERS HAS EVOLVED FROM THE TENEX OPERATING SYSTEM AND THE DECSYSTEM-10 <PDP-10> COMPUTER ARCHITECTURE. BOTH THE DECSYSTEM-2060T AND 2020T OFFER FULL ARPANET SUPPORT UNDER THE TOPS-20 OPERATING SYSTEM. THE DECSYSTEM-2060 IS AN UPWARD EXTENSION OF THE CURRENT DECSYSTEM 2040 AND 2050 FAMILY. THE DECSYSTEM-2020 IS A NEW LOW END MEMBER OF THE DECSYSTEM-20 FAMILY AND FULLY SOFTWARE COMPATIBLE WITH ALL OF THE OTHER DECSYSTEM-20 MODELS.

WE INVITE YOU TO COME SEE THE 2020 AND HEAR ABOUT THE DECSYSTEM-20 FAMILY AT THE TWO PRODUCT PRESENTATIONS WE WILL BE GIVING IN CALIFORNIA THIS MONTH. THE LOCATIONS WILL BE:

TUESDAY, MAY 9, 1978 – 2 PM
HYATT HOUSE (NEAR THE L.A. AIRPORT)
LOS ANGELES, CA

THURSDAY, MAY 11, 1978 – 2 PM
DUNFEY’S ROYAL COACH
SAN MATEO, CA
(4 MILES SOUTH OF S.F. AIRPORT AT BAYSHORE, RT 101 AND RT 92)

A 2020 WILL BE THERE FOR YOU TO VIEW. ALSO TERMINALS ON-LINE TO OTHER DECSYSTEM-20 SYSTEMS THROUGH THE ARPANET. IF YOU ARE UNABLE TO ATTEND, PLEASE FEEL FREE TO CONTACT THE NEAREST DEC OFFICE FOR MORE INFORMATION ABOUT THE EXCITING DECSYSTEM-20 FAMILY.

Gary Thuerk wollte mit seiner Mail-Kampagne im Arpanet für die vernetzte Version des DECSystem 2020 werben.

(Bild: Jason Scott, CC BY 2.0 )

Da sich das hochtalentierte studentische Milieu der "Computer Maverics" an der Westküste im damals angesagten Forschungsnetzwerk Arpanet tummelte, hatte Thuerk mit Hilfe eines DEC-Programmierers eine Liste aller Arpanet-Teilnehmer zusammengestellt, die rund um Los Angeles und San Mateo in Kalifornien angesiedelt waren, wo er in Hotels die vernetzten Computer der DECSystem 20 mit integriertem Arpanet-Anschluss 2020T und 2060T präsentieren wollte. Die Liste enthielt rund 400 der damals insgesamt etwa 2600 Arpanet-Nutzern. Allerdings schmierte das Mail-Programm SNDMSG beim Verschicken der 320. Mail mit einem Puffer-Überlauf ab, sodass die Mail-Kampagne nicht alle Empfänger erreichte.

Trotzdem schäumte das Arpanet vor genau 39 Jahren über die Mail des DEC-Mitarbeiters Gary Thuerk. Unter den von Brad Templeton dokumentierten Reaktionen auf diesen ersten Spam (der erst später so genannt wurde), gehören die Mails des späteren Schöpfers der GNU Public License, Richard Stallman, zu den bemerkenswerten. Stallman gehörte überhaupt nicht zu den Empfängern, verteidigte die ihm zunächst unbekannte Mail mit dem Hinweis auf "Free Speech". Müssen wir wirklich Standards setzen, was erlaubt und was verboten ist? Machen wir uns damit im Vorgriff auf Terroristen nicht lächerlich, die ihre Standards setzen wollen, fragte Stallman.

Dieser Nachricht, die er zur aufgeregten Diskussion schickte, folgte jedoch schnell der Widerruf, nachdem jemand Stallman den Text geschickt hatte. "Ich esse meine Worte. Ich hätte sicher auch widersprochen! Niemandem soll es erlaubt sein, eine Nachricht mit solch einem langen Header zu schicken, egal worum es sich dreht."

Brad Templeton, der all diese Reaktionen gewissenhaft kopierte und archivierte, schuf nach der US-amerikanischen Benimmdame Emily Post die wunderbare Emilypostnews. Diese Emily beantwortete die Frage, wie es mit Werbung auf dem "Information Superhighway" aussieht, mit der schlichten Antwort, dass sich alle Pforten der Hölle öffnen, wenn man wirbt. Natürlich drückte sich Emily als echte Dame gewählter aus. Ausgerechnet die Himmelsvertreter ignorierten den Rat: "Trust in the LORD with all your heart" war Anfang der 80er Jahre die größte Kettenbrief-Mail, mit "Global Alert for All: Jesus is coming soon" wurden Anfang 1994 alle Newsgroups des Usenet beglückt.

Oftmals wird jedoch der 5. März 1994 als Geburtsstunde des Spam bezeichnet. An diesem Tag verschickte ausgerechnet die Rechtsanwaltskanzlei Canter & Siegel im Usenet Werbung für eine Greencard-Lotterie. Im Zusammenhang mit den unverlangt eintrudelnden E-Mails und sonstiger aufdringliche Werbung im Usenet wurde der Begriff Spam geprägt.

Mit dem Aufstieg des Internet nahm das Problem dramatisch zu. Heutzutage laufen wohl bei jedem Mail-Provider und jeder Firma Anti-Spam-Systeme wie Apaches SpamAssassin. Trotz ausgeklügelter Algorithmen können diese nur eindeutig als Spam erkennbare Mails sicher aussortieren, sodass jeden weiterhin unerwünschte Angebote über fantastische Geschäftsoptionen, unglaubliche Potenz, strahlend weiße Zähne et cetera erreichen, auch wenn man den Junk-Filter seines Mail-Clients trainiert.

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(vza)