Alles nur ein Missverständnis

MaschinenstĂĽrmer sind nicht unbedingt Feinde des Fortschritts. Das glauben Sie nicht? Dann lesen Sie hier, warum.

vorlesen Druckansicht 3 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.

Die Maschinenstürmer des frühen 19. Jahrhunderts hatten eigentlich gar nichts gegen Technik. Behauptet zumindest der Buch-Autor und Journalist Clive Thompson in einem Interview mit dem Online-Dienst Quartz. Im Grunde war ihre Maschinenstürmerei nur eine besonders radikale Form des Arbeitskampfes – für qualifizierte, gut bezahlte und abgesicherte Jobs.

Zugegeben, ganz neu ist die Erkenntnis nicht. Michael Spehr ist in seinem Buch "Maschinensturm" auch für die deutschen Arbeiter bereits vor geraumer Zeit zu einem ganz ähnlichen Schluss gekommen. Aber das Interview und der ausführliche Artikel, den Thompson für das Smithonian Institute zu den Ludditen geschrieben hat, sind spannend und lesenswert.

Denn anders als in Deutschland verlief der Aufstand der Ludditen in England früher, schneller und sehr viel härter. Ab 1811 – warum genau zu diesem Zeitpunkt wird leider nicht klar – versammelten sich vor allem in Nordengland immer wieder größere Gruppen von Textilarbeitern, die systematisch mechanische Webstühle und ähnliche Maschinen zur industriellen Herstellung von Textilien zerschlugen. Namensgeber der Bewegung war ein gewisser Ned Lud, ein junger Weber, der einen technischen Webstuhl mit dem Hammer zerschlagen hatte, nachdem er wegen Faulheit ausgepeitscht worden war.

Wahrscheinlich hat es diese Figur so nie gegeben, aber sie eignete sich hervorragend als Meme ihrer Zeit. Ab 1811 gab es zeitweise mehr als hundert solcher Zerstörungs-Aktionen pro Monat, schreibt Thompson. Wobei die Beteiligten verblüffend gut organisiert und diszipliniert vorgingen und weder die kompletten Fabriken verwüsteten, noch die Kasse plünderten, oder gar Fabrikanten drangsalierten. Sie zerschlugen in der Regel nur die Maschinen und entsorgten die Reste beispielsweise in nahegelegenen Teichen. Die britische Regierung sah diesem Treiben allerdings nicht lange zu und schickte etwa 14.000 Soldaten in den Norden. Zahlreiche Rädelsführer wurden in den folgenden Monaten gefasst, zum Tode verurteilt, oder nach Australien deportiert.

Das offene Vorgehen der Ludditen – in der Regel schwärzten die Beteiligten höchstens ihre Gesichter, um nicht gleich erkennbar zu sein, erklärt Thompson mit einer Art fehlenden Unrechtsbewusstsein. Die Ludditen waren oftmals gut ausgebildete, qualifizierte Handwerker, für die es noch im 18. Jahrhundert völlig selbstverständlich war, einen "gerechten Lohn" für ihre Arbeit zu bekommen. Zeitgleich mit der aufkommenden Industrialisierung setzen sich aber Theorien wie die des Ökonomen Adam Smith durch, der in seinem Buch "Der Wohlstand der Nationen" (A Wealth of Nations) das hohe Lied des Eigennutzes sang. Wenn jeder sich um sein Wohl kümmert, ist automatisch auch für alle gesorgt, argumentierte Smith. Wasser auf die Mühlen der Fabrikanten, die durchsetzen wollten, dass der Preis für die Ware Arbeitskraft sich allein aus Angebot und Nachfrage ergibt – und durch die neuen Maschinen kräftig gedrückt wurde. Es ging den Ludditen also nicht darum, den technischen Fortschritt zu bekämpfen, sondern um die faire Aufteilung des Gewinns aus der Produktion.

Das ist nicht nur historisch ganz spannend. Die Frage steht angesichts einer bevorstehenden neuen Welle von Automatisierung wieder auf der Tagesordnung. Der Unterschied zu frĂĽher ist allerdings, dass die Automatisierung nicht mehr die einfachen Produktionsjobs killen wird. Jedenfalls nicht nur. Ironischerweise ist ausgerechnet der Wahlsieg von Donald Trump ein Zeichen dafĂĽr, dass Neo-Ludditen nicht unbedingt nur im Lager der Anarchisten zu finden sind. Wir dĂĽrfen gespannt sein, was das diesmal heiĂźt. (wst)