Post aus Japan: Modisch im Rollstuhl

Ein kleines Team japanischer Ingenieure will den Elektrorollstuhl neu definieren. Jetzt bringen sie schon ihr drittes Modell auf den Markt. Es lässt sich im Handumdrehen in drei Module zerlegen.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Martin Kölling
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Elektromobilität für Rollstühle und erst recht vierrädrige Scooter hatte bisher entscheidende Nachteile: Die Gefährte waren oft groß, schwer und wenig ansehnlich. Wer sie im Auto verstauen wollte, war gut beraten, einen Wagen mit Rampe gekauft zu haben. Das von ein paar japanischen Ingenieuren aus der Auto- und Elektronikindustrie gegründete Start-up Whill beginnt nun mit dem Verkauf eines modularen Rollstuhls, der sich mit wenigen Handgriffen in drei kleine Einheiten zerlegen und damit relativ einfach in jedwedem Kofferraum verstauen lässt.

Das Unternehmen war aus der Idee zu helfen entstanden: Drei Ingenieure hatten in ihrer Freizeit einen modischen Rollstuhl für einen behinderten Freund entworfen. Das Ergebnis stellten sie 2011 auf der Tokyo Motor Show aus. Und die Reaktion des Publikums war so grandios, dass sie ihre Jobs hinwarfen und mit der Firma Whill in Whills Fall die Designrevolution des Elektrorollstuhls in Angriff nahmen. Einige Millionen Euro Starthilfe von Investoren und ein paar Jahre Entwicklung später brachten sie wirklich ihr erstes Produkt auf den Markt.

Ihre neueste Entwicklung nennen sie simpel Model C. Es sieht ein bisschen wie ein Rollstuhlscooter ohne Lenker aus. Die vier starren Räder sind an den Ecken einer Bodenplatte angebracht, die auch als Fußtritt dient. Von der Platte ragt ein kräftiger Stützarm schräg empor, der den Sitz trägt und den portablen Akku beherbergt. Dadurch wird unter dem Sitz Platz frei für einen optionalen Korb, der beispielsweise die Einkäufe aufnehmen kann.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Der Clou sind allerdings wie beim ersten Modell die Vorderräder. Wie gesagt, sie verzichten auf ein Gelenk und sind genau wie die Hinterräder starr. Damit erlauben sie auch auf unebenem Gelände eine recht gute Geradeausfahrt. Die seitliche Beweglichkeit wird dadurch garantiert, dass die Räder omnidirektional sind. Das heißt, dass sie nicht aus einem durchgehenden Schlauch, sondern aus quer zur Fahrtrichtung engpackten Gummirollen bestehen.

Darüber hinaus besticht das bereits dritte Produkt des Unternehmens durch sein elegantes Design. Rollstuhlfahrer bezeichneten schon den Erstling als den "Apple unter den Rollstühlen" – und dies nicht von ungefähr. Denn die Japaner kombinierten ihre Kenntnisse im Industriedesign, ihren Sinn für Ästhetik mit dem Mut, neue Technik und neues Design einzusetzen.

Statt normalen Armstützen spendierten sie auch elegante, oben abgerundete Stützen, die von einer runden Radverkleidung ausstrahlten. Aktiviert wird der Rollstuhl dadurch, dass der eine Arm aus der Wartehaltung nach vorne geklappt wird. Sodann kann losgestromert werden. Richtung und Tempo werden bestimmt durch die Bewegung eines mausähnlichen Joysticks am abgerundeten oberen Ende des Arms. Doch zur Not reicht auch ein Finger auf dem Smartphone-Display. Denn dank Bluetooth-Verbindung lässt sich der Rollstuhl auch per App fernsteuern.

Das Gefährt als Model A wirbt damit, mit seinen omnidirektionalen Rädern 7,5 Zentimeter hohe Kanten und dank Vierradantrieb sogar tiefen Kies bewältigen zu können. Doch das Gerät war schwer und mit rund 10.000 US-Dollar teuer. Darum strichen die Hersteller fürs Model C Bauteile und ein bisschen auch die Leistungsfähigkeit. Das neue Modell hat nun lediglich einen Zweiradantrieb und schafft nur fünf Zentimeter hohe Kanten. Doch dafür halbieren sich auch der Preis und Gewicht.

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Dass sie mit ihrer Idee einen Hit gelandet haben, zeigte sich Anfang des Jahres auf der amerikanischen Elektronikmesse CES. Ihr All-Terrain-Rollstuhl Model M erntete eine Best- of-CES-Preis. Und es ist kein Zufallstreffer, sondern das Produkt langer Entwicklung.

Ob sich die Japaner mit ihren Produkten im betriebswirtschaftlichen Alltag behaupten können, wird sich noch zeigen müssen. Bisher ist das Unternehmen noch klein und damit auch Vertrieb und Wartungsdienst. Aber das Beispiel zeigt, dass ein frischer, fachfremder Blick einer designerisch etwas einfallslosen Industrie guttun kann – wenn er sich denn mit Erfahrung, Produktionswissen und Leidenschaft paart. ()