Autos mit Hörsinn

Geräusche können Informationen über das Umfeld und mögliche Probleme übermitteln. Weil sie sich relativ einfach erfassen und analysieren lassen, könnte neue Technologie dafür rasch Einzug in den Markt halten.

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Von
  • Tom Simonite
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Die meisten Autobesitzer wissen, wie es klingt, wenn der Motor plötzlich ein Klappern oder knirschendes Geräusch von sich gibt. Schnell stellt sich dann die Frage, wie teuer die Reparatur wohl sein wird.

Das Start-up OtoSense arbeitet zusammen mit großen Autoherstellern deshalb an Software, die Autos einen eigenen Hörsinn geben soll, so dass sie Probleme selbst erkennen können, bevor sie zu schwerwiegend werden. Zugleich könnte die Technologie die Sicherheit bei von Menschen gefahrenen wie autonomen Fahrzeugen erhöhen, zum Beispiel indem sie Martinshörner erkennt oder auf Geräusche achtet, die Aufschluss über den Straßenzustand geben.

Dazu hat OtoSense Maschinenlern-Software entwickelt, die darauf trainiert werden kann, bestimmte Geräusche zu identifizieren, darunter leichte Veränderungen bei Motoren oder Bremsen. Der französische Autohersteller PSA Group, Eigentümer der Marken Citroen und Peugeot, testet derzeit eine Version der Software, die mit Tausenden von Geräuschen seiner Fahrzeugflotte trainiert wurde.

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In einem Projekt namens AudioHound hat OtoSense einen Prototypen für eine Tablet-App entwickelt, mit der ein Techniker oder sogar der Autobesitzer selbst Audio-Aufnahmen für automatisierte Diagnosen machen kann. Das erklärt Guillaume Catusseau, der in der F&E-Abteilung von PSA Fahrzeug-Geräusche erforscht.

Wie Tests gezeigt haben, kann das System unerwünschte Geräusche von Motor, Klimaanlage, Rädern und anderen Komponenten erkennen. Die Diagnosen sind in 95 Prozent der Fälle korrekt. Laut Catusseau denkt PSA jetzt über etwas nach, das er als "bionisches Ohr" bezeichnet. Es soll genutzt werden, um Reparaturen zu verkürzen und Kunden zufriedener zu stellen. "Summen, Quietschen oder Rasseln macht Autobesitzern große Sorgen", sagt er. "Der Kunde wird das Fahrzeug dann als qualitativ minderwertig wahrnehmen, und das kann Auswirkungen auf die Wiederkauf-Bereitschaft haben."

Sebastian Christian, CEO von OtoSense, erklärt, die Software könnte im Fahrzeug potenzielle Probleme besser anzeigen, als es mit elektronischen Sensoren möglich ist. Auch führende Autohersteller in den USA testen die Technologie von OtoSense, um herauszufinden, ob ein Hörsinn Fahrzeugen dabei helfen kann, ihre Umgebung zu verstehen. Welche Unternehmen das sind, will Christian unter Berufung auf Verschwiegenheitsvereinbarungen nicht verraten.

Unter anderem hat das Start-up mit der Idee experimentiert, an der Windschutzscheibe von Autos Beschleunigungsmesser anzubringen, um sie zu einem riesigen Mikrofon zu machen. Laut Christian sorgen die physikalischen Eigenschaften von Windschutzscheiben dafür, dass dieses Konzept gut für das Erkennen von Sirenen und der Richtung geeignet wäre, aus der sie kommen.

Bei selbstfahrenden Autos könnte das die Sicherheit erhöhen, und von Menschen gefahrene Autos könnten den Fahrer darauf hinweisen, auf ein Einsatzfahrzeug zu achten. In der Vergangenheit hat bereits Google erklärt, dass Mikrofone zur Sirenen-Erkennung zu dem Sensor-Paket seiner autonomen Fahrzeuge gehörten, die jetzt in einem eigenen Unternehmen namens Waymo entwickelt werden.

Zugleich könnten Audio-Sensoren Fahrzeugen Informationen über Art und Zustand der Fahrbahn vermitteln, beispielsweise ob Eis oder Schnee darauf liegt, wie Christian erklärt. Zusammen mit dem Chiphersteller Analog Devices arbeitet sein Unternehmen daran, die für das Verstehen von Geräuschen nötige Software auf billigen Prozessoren zum Laufen zu bringen.

Als Unterstützung für Tempomat und Sicherheitsfunktionen haben Sensoren wie Kameras oder Radar bei Luxusautos bereits breiten Einzug gehalten. Laut Rajesh Rajamani, der als Professor an der University of Minnesota an neuen Anwendungen für Sensoren arbeitet, sprechen die niedrigen Kosten für Audio-Hardware dafür, dass die neue Technologie rasch den Markt erreichen könnte, wenn sich die laufende Forschungs- und Entwicklungsarbeit als nützlich erweist.

„Man kann eine Menge Mikrofone in einem Auto verteilen, ohne dass es sehr teuer wird, und Audio ist im Vergleich zu Video mit weitaus weniger Rechenaufwand zu analysieren“, sagt Rajamani.

Tatsächlich will nicht nur OtoSense kostengünstige Geräusch-Analysen nutzen, um den Zustand von Technik zu überwachen. So arbeitet das Start-up Augury daran, nach demselben Grundprinzip Probleme bei Klimaanlagen zu erkennen.

(sma)