HaCon: Vom Kursbuch zur App

Das Hannoveraner Softwarehaus HaCon wird aktuell von Siemens übernommen. Mit ihren intelligenten Verkehr- und Transportlösungen war HaCon bereits 2015 in der Liste der "50 innovativsten Firmen der Welt" von Technology Review vertreten.

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Seine erste Bewährungsprobe musste der neue Algorithmus gegen einen gewichtigen Konkurrenten bestehen: das Kursbuch, ein kiloschwerer Wälzer aus Papier. Ausgebildete Kursbuchleser waren damals, 1984, das Maß der Dinge, um die beste Bahnverbindung von A nach B herauszufinden. Elektronische Fahrpläne gab es zwar schon, doch sie waren auf große Mainframe-Rechner angewiesen. Entsprechend skeptisch war die Deutsche Bundesbahn, als ihnen die jungen Uni-Absolventen Marian Gaidzik, Werner Kretschmer und Volker Sustrate eine digitale Fahrplanauskunft vorstellten, die auf einem normalen PC lief und auf eine einzige Diskette passte.

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Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe 2015 der Technology Review.

Die Ausgabe mit der vollständigen Liste der "50 innovatisten Firmen der Welt" ist im heise shop bestellbar.

"Die konnten sich einfach nicht vorstellen, dass ein Algorithmus das kann", sagt Geschäftsführer Michael Frankenberg. Das Ergebnis war aber so überzeugend, dass die drei mit der Bahn ins Geschäft kamen. Damit legten sie die Grundlage des Unternehmens HaCon. Inzwischen beschäftigt es 220 Menschen, ist mit Büros in London, Paris und einem "Mobilitätslabor" in Berlin vertreten.

Wohl jeder Bahnfahrer hat schon einmal ihre Software benutzt. Die Fahrplanauskunft im Internet, die DB-Navigator-App, das Zugradar – alles stammt vom Hannoveraner Softwarehaus. Zu den Kunden zählen auch Bahnen und Verkehrsbetriebe in Österreich, der Schweiz, Dänemark, Schweden, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, den Niederlanden, Israel und Neuseeland. 40 Millionen Anfragen verarbeitet das System täglich. Und doch dürfte dies erst der Anfang sein. Denn HaCon möchte nicht nur die Planung einer Zugreise vereinfachen. Das Unternehmen will unser Mobilitätsverhalten nachhaltig verändern. Nutzer ihrer Apps sollen möglichst schnell von Haustür zu Haustür kommen – und zwar ohne eigenes Auto.

Die Zentrale liegt auf drei Etagen in einem Backsteinbau, der früher zum Keksfabrikanten Bahlsen gehörte. In der Ecke von Frankenbergs Büro parken drei Tretfahrzeuge für Kinder: ein Bobby-Car, ein Flugzeug und ein ICE. Die Firma hat eine Ader fürs Spielerische. Auf den Anwendertreffen veranstaltet sie regelmäßig witzige Aktionen – zum Beispiel ein Wettrennen zwischen Pferdekutsche, Kinderwagen, Velotaxi, Rennrad und Ami-Schlitten quer durch Hannover. "ÖPNV ist ein etwas trockenes Thema, darum wollen wir es unterhaltsamer machen", sagt Frankenberg. Mit dem Wettrennen stellte HaCon 2013 seine neue Software Qixxit vor. Der Routenplaner bezieht neben Bahnen und Bussen auch Autos, Flugzeuge, Taxis, Mietwagen und Fahrräder mit ein.

Damit die Nutzer sich nicht beim Umsteigen verirren, arbeitet HaCon im Forschungsprojekt "Dimis" an einer besseren Indoor-Navigation. Die U-Bahn-Station Berlin-Mitte wurde dazu kürzlich komplett mit Bluetooth-Low-Energy-Sendern ausgestattet. Etwa 10 bis 20 dieser BLE-Beacons sind pro Bahnsteig nötig. Sie können einem Fahrgast beispielsweise melden, wenn er zum falschen Ausgang strebt. Sein Smartphone würde dann zur Warnung vibrieren.

Eine App von HaCon ermöglicht Verkehrsbetrieben, digitale Karten und Bilder ihrer Stationen zu erstellen. "Ein eingespieltes Team schafft damit an einem Tag eine ganze Station", sagt Frankenberg. Die Ergebnisse sollen später in die normale Navigator-App einfließen. Der Fahrgast soll sich dann aussuchen können, wie er am liebsten geführt werden möchte: per klassischer Karte, per Text ("Gehen Sie zum Ausgang entgegen der Fahrtrichtung") oder per Panoramabild, in dem der richtige Ausgang per Pfeil markiert ist.

Doch wer mag unterwegs schon dauernd sein Smartphone aus der Tasche kramen? HaCon ist schon einen Schritt weiter: "Verbindung Lister Straße – Karl-Wiechert-Allee", spricht Dirk Esters, Leiter der Geschäftsentwicklung, in seine Apple Watch. Nach einem Fehlversuch (Vorführeffekt!) erscheinen die korrekten Daten auf dem kleinen Display. "Wir glauben, dass Smartwatches ein großes Potenzial für die Navigation haben", sagt Frankenberg, der selbst eine Apple Watch am Handgelenk trägt. So behalten sie immer die aktuelle technische Entwicklung im Blick – im wörtlichen wie übertragenen Sinn. "Wir sind total gespannt und offen, wohin die Entwicklung geht", sagt Esters.

(grh)