RIPE 74: IP-Adress-Entzug als Strafe gegen Regierungen

Eine Gruppe von AfriNIC-Mitgliedern setzt sich für eine eigene Art der 3-Strikes-Strafe ein: Regierungen, die den Internetzugang ihrer Bürger sperren, sollen nicht länger ungestraft davonkommen.

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RIPE 74: IP-Adress-Entzug als Strafe gegen Regierungen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Monika Ermert
  • Dusan Zivadinovic
Inhaltsverzeichnis

Afrikas IP-Adress-Registry AfriNIC möchte politisch motivierte Sperrungen der Internetzugänge für die Bevölkerung sanktionieren. Eine Gruppe afrikanischer ISP-Vertreter legte dazu den Vorschlag vor, verantwortlichen Regierungen den Hahn für IP-Adress-Vorräte zeitweilig abzudrehen. Wiederholungstäter sollen sogar aufgefordert werden, Adressen zurückzugeben. Bei AfriNICs europäischer Schwester RIPE warnten Experten beim 74. Treffen in Budapest lautstark vor einer solchen Politisierung der IP-Adressvergabe.

Allgemeine oder gezielt gegen einzelne Gruppen, Landesregionen oder bestimmte Social Media Plattformen gerichtete Sperrungen gehören mehr und mehr zum politischen Standardarsenal von Regierungen. Das dokumentieren Gruppen wie Access Now. Für das vergangene Jahr führt Access Now über 50 große Blockaden auf. Ob vor Wahlen in Ghana oder wegen Protesten gegen die Regierungen in Bahrain, dem Tschad oder Äthiopien – die Blockaden werden gezielt eingesetzt. Anfang des Jahres sperrte die Regierung von Kamerun die englischsprachige Minderheit für 94 Tage aus.

Die Internet-Gemeinde und auch die IP-Adress-Registry dürfe "die Sperrungen nicht weiter hinnehmen", sagte Andrew Alston, IP-Architekt bei Liquid Telecom. Liquid Telecom ist einer der großen Netzbetreiber auf dem afrikanischen Kontinent. Alston verwies auf Studien zum wirtschaftlichen Schaden für die Länder, deren Internet-Zugang ganz oder teilweise gekappt war. Er appellierte auf dem RIPE-Treffen aber auch, nicht die Augen vor den humanitären Katastrophen zu verschließen, die mit den Sperrungen einhergehen.

Der Vorschlag der afrikanischen ISP-Community, für den sich auch Alston einsetzt, sieht die Sanktionierung von Sperrungen vor, die nicht durch ordentliche Gesetze gedeckt sind. Dann sollen Adressmanager bei AfriNIC 12 Monate lang keine neuen IP-Ressourcen an Regierungen herausgeben, die Sperren verfügt haben. Bei dreimaliger Wiederholung sollen bereits zugeteilte Adressen zurückverlangt werden.

Unter den RIPE-Teilnehmern fand Alston jedoch kaum Unterstützung. Viele Mitglieder der europäischen Schwesterorganisation teilten zwar die Problemsicht – keineswegs eine rein afrikanische -, bewerteten die Strafen aber als kontraproduktiv: "Die Strafen sind technisch praktisch unwirksam und liefern denen Argumente, die von Adressmanagern verlangen, allerlei Bösewichten im Netz Adressen zu entziehen", heißt es sinngemäß.

RIPEs Vorsitzender, Hans-Petter Holen, sagte im Gespräch mit heise online, "die Adress-Registries haben sich ihre Rolle als neutraler Verwalter der Netz-Ressourcen über Jahre erstritten. Der AfriNIC-Vorschlag kann nun als Kampfansage an Regierungen gewertet werden, von denen manche die Adressvergabe gerne weniger staatsfern organisieren wollen". Holen erinnert an die mühsam abgewehrten Bestrebungen innerhalb der Internationalen Fernmeldeunion, die Kompetenzen bei der IP-Adressvergabe neu zu regeln.

Alston räumte ein, dass die 3-Strikes-Idee alles andere als perfekt sei. Erste Veränderungen am Vorschlag habe man schon vorgenommen und etwa eine Ausnahme des Adress-Vergabestops für staatliche Bildungs- und Forschungseinrichtungen vorgesehen.

Außerdem berichtete er von Alternativvorschlägen: "Sie reichen von Geldbußen für sperrende Regierungen, die die ITU eintreiben soll, bis zur Idee, dass die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers beispielsweise Diktatoren die Länderdomain entziehen soll". Das, so Alston, "ist aber nicht unser Vorschlag".

Er und seine Koautoren seien offen für bessere und vor allem weniger drakonische Maßnahmen. "Zunehmenden Netzsperren hinzunehmen und damit auch Menschenleben zu riskieren, geht aber nicht, wenn man sich das offene Internet und die Meinungs- und Pressefreiheit auf die Fahnen geschrieben hat".

Immerhin das wichtigste Ziel sieht Alston erreicht: Die Debatte über die Sperren sei in vollem Gange. Beim bevorstehenden Treffen der AfriNIC-Mitglieder im Mai erwarten er und seine Kollegen harte Auseinandersetzungen mit Regierungsvertretern. Aus deren Reihen habe es aber auch vereinzelte Zustimmung gegeben. (dz)