"Missing Link": In jedem (Piraten-)Abschied lebt ein Anfang - oder: die Hölle, das sind die anderen

Die re:publica 2017 ist vorbei und die Zeit der Piratenpartei auch. Die Partei der Netizen wurde Opfer der Netizen.

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"Missing Link": In jedem (Piraten-)Abschied lebt ein Anfang - oder: die Hölle, das sind die anderen

(Bild: Peggy und Marco Lachmann-Anke, Public Domain (CC0))

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Detlef Borchers
  • Jürgen Kuri
Inhaltsverzeichnis

Am heutigen Sonntag fliegt die Piratenpartei aus dem Landtag von Nordrhein-Westfalen. Bücher, die das Scheitern dieser Partei erklären, füllen mittleweile mehrere Regalmeter, geschrieben von mehr oder weniger berufenen Beobachtern. Viele erschienen bereits 2014 und beschäftigten sich mit dem "Aufstieg und Niedergang" der Partei, aber eben nicht vom "Untergang". Die Partei habe noch eine Chance, schrieben Lobo und Lauer damals, was leicht flehend klang.

Im Ton war dies ganz anders als 2012, als Journalisten über die Partei jubelten und Sätze schrieben wie "Die Piraten sind keine rechte Partei – sie sind nur chaotisch, unbedarft, unfertig, anders und derzeit unbesiegbar." Nun haben sich die Piraten nach ihrem 10. Geburtstag selbst besiegt. Der "Missing Link" von heise online blickt in den Rückspiegel im Zeichen der re:publica.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Eintritt re:publica: 200 € Montageschaum: 12 € Goldspray 9 € twitterte die Piratenpartei zu ihrer Aktion #Goldenshit auf der re:publica am vergangenen Mittwoch. Während eine Sicherheitsbeamtin den symbolischen Haufen an sich nahm, griff Innenminister Thomas de Maizière zum Mikrophon. Jetzt verstehe er, warum die Piraten aus den Landtagen rausgeflogen sind.

Der Konter saß, de Maizière bekam großen Beifall. Ein netzaffines Publikum, das einem Innenminister applaudiert, das hat es auf der re:publica noch nicht gegeben, im Gegenteil: Es ist gar nicht so lange her, da erhielt die Euro-Piratin Julia Reda minutenlang die berühmten "Standing Ovations" der re:publicaner, als sie zusammen mit dem Journalisten Hakan Tanriverdi auftrat und über ein modernes Urheberrecht redete. So geschehen im Jahre 2015.

Über viele Jahre hinweg waren Piraten auf der re:publica wohlgelitten, weil es eine Art gemeinsame, verbindende Geschichte gab. Als in Berlin die Gedanken für die erste re:publica gesammelt wurden, für eine Konferenz um Social Software und zum Leben im Netz, da waren gleich nebenan im realen Leben die Piraten in der Berliner c-base damit beschäftigt, die Partei zu gründen.

Viele Piraten-PolitikerInnen wie Daniel Schwerd oder Katharina Nocun besuchten regelmäßig die re:publica und hielten sie für ihr Klassentreffen, natürlich im Verbund mit den CCC-Congressen. Auch das Vorbild der politischen Aktion kam aus Schweden und war auf der zweiten re:publica wohl gelitten, als Peter Sunde unter großem Beifall auftrat. Gut, es ging bei den winzigen Konferenzen in der Kalkscheune um das harte Geldverdienen, doch eben von Anfang an auch um neue Rechtsformen im Netz. Piraten wie Bruno Kramm traten auf, um für eine Reform des Urheberrechtes zu werben.

Die Mischung von Geschäft und Politik wurde bestens sichtbar, als Sunde erneut auf der re:publica auftauchte und seinen Bezahldienst Flattr vorstellte. Auch der Auftritt des schwedischen Piratenparteigründers Rick Falkvinge im Jahr 2012 gehört dazu, als dieser sein "Schwarmsystem" Acitivizr in einer Beta-Version vorstellte.

Der Höhepunkt dürfte im Jahr 2012 die Vorstellung von Liquid Democracy (ursprünglich Liquid Feedback) gewesen sein, der Zauberwaffe der jungen Partei, angekündigt als Deliberation 3.0. Dieses "Gespenst der digitalen Demokratie" sollte die endlosen Kabbeleien und Streitereien abbinden, mit denen sich Piraten auf Mailinglisten, Twitter, im Piratenpad, im "Dicken Engel" oder anderen "Orten" im Internet bekriegten.

Der digitale Piratenalltag war nicht Politik, sondern das Mobbing und die üble Nachrede. Wer die umjubelte Bewerbung von Marina Weisband zur politischen Geschäftsführerin anschaut, findet einen Widerhall. Wie sagte Weisband zu ihrer Wahl anno 2011? "Ich glaube, dass sich diese Kabbelein und Konflikte lösen, wenn wir Ziele haben. Ich glaube, dass wir durchaus in der Lage sind, auf Ziele zuzuarbeiten."

Piraten, das waren eben die unpolitischen Nerds, die erklären konnten, wie Alice und Bob richtig kommunizieren können, wenn die öffentlichen Schlüssel ausgetauscht sind, deren Sensorium aber kein rechtes Gespür für die Privatsphäre kannte. Im Namen eines falsch verstandenen Datenschutzes wurde die Liquid Democracy innerparteilich so lange als "Gesinnungsdatenbank" bekämpft, bis das Projekt zum Erliegen kam. Gleichzeitig lieferte man sich erbitterte Diskussionen und verletzte einander nach Kräften.

Es wäre aber zu kurz gegriffen, den Niedergang der Piraten mit schlechten Umgangsformen und persönlichen Macken zu erklären. Die besserwisserischen Nerds haben sich in ihrem Anspruch selbst ein Bein gestellt. "Lasst uns machen, ihr habt ja eh keine Ahnung" – das gilt eben auch für den Neben-Piraten, und dann werden die Geschäftsordnungsdebatten endlos und die inhaltlichen Diskussionen eine Art Vorhölle. Denn die Hölle, das sind die anderen.

Diese geschlossene Gesellschaft macht sich selbst die eigene Partei zur Hölle, während sie gleichzeitig in ihrem Anspruch vereint ist, es besser zu wissen als all diese "Internet-Ausdrucker" um sie herum. Als ob diejenigen, die von sich behaupten, Ahnung zu haben, schon deswegen Entscheidungsrecht zustünde. Eine Meritokratie oder gar eine Expertendiktatur, die Platons Staatsverständnis und sein Ansinnen der Philosophenherrschaft auf moderne Zeiten transferiert, ist eine schauderhafte Vorstellung. Insofern ist es vielleicht ganz gut, dass die Piraten an ihrem eigenen Anspruch gescheitert sind.

Bekanntlich wird die re:publica gerne als "Klassentreffen" verspottet. Der kurze Sommer der Piraten wäre dann, um im Bild zu bleiben, so etwas wie der aus dem Ruder laufende Abi-Abschlussball – morgendlicher Kater inklusive. Schon eine Schulklasse aber ist meistens zusammengewürfelt.

Das gilt dann erst recht für ein Treffen nach zwanzig oder dreißig Jahren, wenn Menschen sich in alle möglichen Richtungen entwickelt haben. Sich inklusiv zu verhalten und alle Arten von Netzwesen bis zum Eichhörnchen beim Klassentreffen auszuhalten, darin zeigte die re:publica ihre Stärke. Man hatte keine Probleme damit, die Polizei einzuladen und holte frühzeitig Sponsoren wie IBM mit ins Boot.

Sieht man vom schnöden Profit ab, zeigt sich, dass der große Basar gelingen kann, wenn man aufeinander zugeht. Doch dies kann durch keine heftig geführte Geschäftsordnungsdebatte erzeugt werden. Insofern stimmt das Werben für Vertrauen und Geduld hoffnungsvoll. Seid doch mal ein bisschen nett. (jk)