Analyse zur Piratenpartei: Abschied der Außenseiter

Als vermeintliches Demokratie-Update gestartet, ist der Patch Piratenpartei nun auf breiter Front abgeschafft worden. Zeit, sich neu zu organisieren.

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Analyse zur Piratenpartei: Abschied der Außenseiter

(Bild: korbinian_polk, CC BY 2.0)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis

Berlin, Saarland, Schleswig-Holstein und nun auch Nordrhein-Westfalen. Die Piratenpartei ist wie erwartet aus dem vierten Landesparlament geflogen und hat keine Aussicht mehr, Politik für eine große Zahl von Wählern zu gestalten. Gerade einmal ein Prozent der Wähler gaben der Außenseiter-Partei noch ihre Stimme. Das Experiment darf damit als gescheitert angesehen werden.

Eine Analyse von Torsten Kleinz

Torsten Kleinz konzentriert sich als freier Journalist auf Internetkultur und Netzpolitik.

“Piraten wirken” – dieses Credo trugen die Oppositionspolitiker lange vor sich her. Das hieß: Auch wenn die Abgeordneten der Piratenpartei keine Chance hatte, Beschlüsse in ihrem Sinne zu erreichen, sollte ihr alternativer Politikansatz Politiker aus anderen Fraktionen und Regierungsmitarbeiter anstecken. Und in der Tat: Die Landesregierung unter Hannelore Kraft startete nach dem Aufstieg der Piraten ein Bürgerbeteiligungsprojekt nach dem anderen. Themen wie ein öffentliches WLAN hatten plötzlich mehr Gewicht.

Doch auch der Politikbetrieb färbte auf die Piraten ab. So gifteten die Abgeordneten der Piraten oft und gerne gegen die Regierungspolitik, selbst wenn sie keine eigenen Vorschläge für eine bessere Politik hatten. Auch intern gab es Kämpfe – drei Abgeordnete traten aus der Fraktion der “20 Piraten” aus.

Die Piratenpartei wollte sich immer dem klassischen Parteienschema verweigern. Steht sie für Arbeiter oder doch eher für Besserverdienende? Für staatliche Eingriffe oder für Freiheit? Links oder rechts? Die Piraten sahen sich immer selbst als ideologiefrei, sie versuchten sie zuletzt sich als Pragmatiker zu verkaufen: #smartgerecht sei ihr Programm, so ihr Hashtag-Slogan.

Nach fünf Jahren Landtag war nur noch schwer zu fassen, wofür die Piraten in Nordrhein-Westfalen überhaupt standen. Hatten die von Ursula von der Leyen geplanten Netzsperren die Piraten damals zur bundespolitischen Größe gemacht, rührten sie das Thema in Nordrhein-Westfalen erst gar nicht an -- obwohl die Büssow’schen Netzsperren hier nach 16 Jahren immer noch aktiv sind.

Stattdessen stürzten sich die Piraten auf ein buntes Sammelsurium von Themen: Frühkindliche Bildung, Braunkohle, ein Gehälter-Deckel für Sparkassen- Vorstände. Bei ihren vielfältigen Vorschlägen fehlte Durchhaltevermögen oft: So hatten die Piraten bereits im vergangenen Jahr die Sicherheit in der Krankenhaus-IT auf die Agenda des Landtages gebracht. Doch der Vorstoß schaffte es gar nicht ins Plenum, die Bundesregierung hatte die Piraten mit dem eigenen Gesetz zur IT-Sicherheit überrundet.

Selbst beim Vorzeigeprojekt der Landespartei, dem “fahrscheinfreien” -- also abgabefinanzierten -- öffentlichen Nahverkehr, bliebt die Partei auf halber strecke stehen. Zwischen 15 und 30 Euro monatlich sollten die Bürger zwangsweise dafür bezahlen, um eine Flatrate für den öffentlichen Nahverkehr zu bekommen. Dass ein solches Angebot auch einen teuren Ausbau der ÖPNV-Netze erforderte und gerade Geringverdiener erheblich belasten würde, erklärten die Piraten schlicht zum Problem der anderen Parteien. Die Landesregierung müsse halt genug Mittel zuschießen – oder eben die Bundesregierung.

Dass die anderen Parteien nicht mit Begeisterung auf die oft nur halb durchdachten Vorschläge ansprangen, sah die Partei nicht etwa als Niederlage. Stolz präsentierte die Landespartei auf ihrer Kampagnen-Website die vielen Anträge, die sie nicht durchbekommen hatte – und denen selbst die Oppositionsparteien CDU und FDP nur in absoluten Ausnahmefällen zustimmten. Erst ganz am Ende stehen der eine eigenständige Antrag, mit dem die Piraten tatsächlich vom Landtag eine Mehrheit bekamen: eine Aufforderung an die Landesregierung, die Speicherung von Daten von Fußballfans zu überprüfen.

Dass es in der Politik darum geht, möglichst viele Mitstreiter für ein Projekt zu gewinnen und dabei auch Kompromisse zu machen – daran hatten die Piraten wenig Interesse. Sie schmückten sich damit, auch mal gegen ihre eigenen Anträge zu stimmen, mal mit, mal gegen die Regierung zu stimmen. Damit gaben sie aber auch jedes politische Kapital auf. Unterstützung für die eigenen Projekte erhält man nur, wenn man auch bereit ist, die Projekte anderer verlässlich zu unterstützen.

Der Außenseiter-Status erschien konsequent, als die Piraten noch meinten, das bessere Politik-System gefunden zu haben: Eine Basisdemokratie ohne politische Ränkespiele, die nicht etwa Populismus, sondern von Sachverstand dominiert wird. Doch im Produktivbetrieb sah das System anders aus. Die politische Ausrichtung der Partei hing zum großen Teil davon ab, wo denn gerade der Bundesparteitag abgehalten worden war. Die Länge des Anfahrtsweges war im Endeffekt wichtiger als Online-Demokratie. Der Streit um Liquid Democracy zerriss die Bundespartei.

Lehre für die etablierten Politiker: Zu viel Transparenz und Mitbestimmung lohnt sich nicht. Weder konnten die Piraten eine Masse an Nutzern für das System begeistern, noch überzeugte das Ergebnis der wenigen Begeisterten. Das offene Antragsbuch der NRW-Landtagsfraktion, bei der jeder Bürger Vorschläge für Gesetzesinitiativen einbringen konnte, zeigt 128 Anträge. Nur zwei davon kamen im Landtag zur Abstimmung -- und wurden prompt abgelehnt.

Die netzpolitische Szene hat sich schon längst von der Piratenpartei abgewandt, sogar auf der re:publica bekamen sie für einen PR- Stunt, bei der sie dem Innenminister Thomas de Maizière einen Negativpreis überreichen wollten, vom Publikum keinen Applaus. Viele Aktivisten suchen ihr Heil lieber in etablierten Parteien, in deren Gremien sie ihre Vorstellungen einbringen wollen. Oder sie gründen eigene Organisationen, die über Fraktionsgrenzen hinweg Überzeugungsarbeit leisten wollen.

Letzte Chance sind die Abgeordneten der Piratenpartei in den Kommunalparlamenten, deren Arbeit tatsächlich für viele Bürger relevante Auswirkungen haben kann. Dazu müssen sie aber Kompromisse schließen und sich nicht nur als Außenseiter gerieren. Wer Politik gestalten will, muss auch bereit sein, Politik zu machen. (mho)