Black Power

Ein Start-up hat Stromspeicher entwickelt, die viermal so viel leisten wie herkömmliche Superkondensatoren. Der Schlüssel: das gehypte Graphen. Nun startet die Produktion in Deutschland.

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Dieser Text-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft ist ab 24.5.2017 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Inmitten der ganzen Honoratioren wirken Taavi Madiberk und Oliver Ahlberg fast wie Schuljungs, die ihre Eltern auf eine Feier begleiten dürfen. Dabei spielen die beiden estnischen Gründer des Start-ups Skeleton Technologies hier die Hauptrolle. In Großröhrsdorf, etwa 30 Kilometer nordöstlich von Dresden, haben sie für 6,2 Millionen Euro eine Fabrik für Ultrakondensatoren aufgebaut, die mit Hoffnung geradezu überschüttet wird. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich war 2013 selbst nach Tallinn gereist, um für den Standort zu werben. „Damit sind viele neue Arbeitsplätze in einer Branche mit großem Potenzial verbunden“, sagte er zur Eröffnung der Fabrik Ende März. CEO Madiberk weiß diese Hoffnungen zu bedienen: „In sieben Jahren werden wir führend auf einem Milliardenmarkt sein“, sagt er. Derzeit sei die Nachfrage zehnmal so hoch wie das Angebot.

Im Verhältnis zu ihrem Gewicht können Kondensatoren zwar nicht so viel Energie speichern wie Batterien („Energiedichte“), diese aber sehr viel schneller aufnehmen und abgeben („Leistungsdichte“). Ultrakondensatoren oder „Ultracaps“ wiederum sind Varianten mit relativ hoher Energiedichte. Hier will Skeleton neue Maßstäbe gesetzt haben: Mit knapp 10 Wattstunden pro Kilogramm erreichen ihre Produkte etwa die doppelte Energiedichte herkömmlicher Doppelschichtkondensatoren.

Damit liegen sie immer noch weit hinter den bis zu 200 Wattstunden aktueller Lithium-Ionen-Akkus. Nach Meinung von Dirk Uwe Sauer, Energiespeicherexperte an der RWTH Aachen, werden Kondensatoren diese Lücke auch nie schließen – selbst wenn Skeleton es schaffen sollte, die Energiedichte wie versprochen zu verdoppeln. Dafür liefern die Skeleton-Ultracaps nach Firmenangaben mit 45 Kilowatt pro Kilogramm viermal so viel Leistung wie konventionelle Ultracaps (Lithium-Ionen-Batterien: rund 1 Kilowatt pro Kilogramm). Zudem sollen sie mindestens zehn Jahre oder eine Million Ladezyklen halten und auch bei minus 40 Grad noch funktionieren. „Insgesamt hören sich die elektrischen Performancedaten sehr gut an“, kommentiert Sauer. Nachgemessen habe er sie bisher aber nicht.

Das Geheimnis dahinter heißt Graphen. Diese einlagige Kohlenstoffschicht wurde erst 2004 entdeckt und gilt seitdem als Wundermaterial für alles Mögliche – vom Wasserfilter bis zur Hirnelektrode (siehe TR 5/2017, S. 90). Das Besondere an ihm ist seine große innere Oberfläche. Das macht es zu einem idealen Elektrodenmaterial für Ultrakondensatoren (siehe Kasten S. 46).

Trotzdem ließen praktische Anwendungen lange auf sich warten. Die Herstellung galt als zu teuer. Doch die Skeleton-Gründer wollten sich nicht damit abfinden. So jugendlich Madiberk und Ahlberg auch wirken – sie haben bereits einen langen Atem bewiesen. Sie lernten sich an der Universität Tartu in Estland kennen. Beide studierten Jura, gründeten eine Web-Entwicklungsagentur und wenig später ein Onlineportal, welches sie erfolgreich verkauften. Danach behauptete sich Madiberk in mehreren Führungspositionen diverser Branchen, unter anderem als Chef der Estonian Railways.

2009 gründen sie Skeleton Technologies. Über soziale Netzwerke finden sie Geschäftspartner und Geldgeber. Parallel dazu eignen sie sich im Internet grundlegendes Know-how über Graphen und Energiespeicher an, um ein Team geeigneter Top-Wissenschaftler zusammenstellen zu können. 2012 entstehen die ersten kommerziellen Produkte. Im Februar 2017 unterschreibt die Europäische Investitionsbank eine Finanzierung über 15 Millionen Euro. Mit diesem Geld baut Skeleton Technologies jetzt unter anderem die Produktion in Deutschland auf – in der Halle einer Pleite gegangenen Solarfirma.

Warum gerade hier? Wäre es nicht einfacher gewesen, das bestehende Werk in Estland zu erweitern? „Hier sind die Kunden“, antwortet Ahlberg. „Die wollen etwas gern anfassen, bevor sie es kaufen.“

Die neue Fabrik soll die Produktionskapazität auf bis zu vier Millionen Zellen im Jahr erhöhen. Derzeit beschäftigt sie 20 Mitarbeiter, später sollen es 50 werden. Das Graphen selbst wird allerdings weiterhin mit einem patentierten Verfahren in Estland hergestellt. Dabei handelt es sich allerdings nicht um flache, zweidimensionale Kohlenstoffgitter, sondern um „Curved Graphene“ beziehungsweise „Carbid-derived Carbon“. Es ist einfacher herzustellen und verklumpt nicht so leicht wie reines Graphen, ist aber immer noch effizienter als die sonst benutzte Aktivkohle. „Unsere Konkurrenz verwendet organische Vorläufermaterialien – größtenteils Kohlenstoff aus Kokosnuss“, heißt es auf der Webseite. „Skeleton ist die einzige Firma, die einen anorganischen Vorläufer verwendet: Metallkarbide.“ Dadurch sei das Material chemisch sehr rein und entsprechend zuverlässiger. Zudem habe es einen niedrigeren internen Widerstand und damit bis zu „fünfmal weniger Energieverluste in Form von Hitze“. Weitere Details zur Herstellung lässt sich Ahlberg nicht entlocken.

(grh)