Enteignung und alternative Fakten: Hitzige Debatte zur Urheberrechtsreform

Verleger sehen sich durch die geplante Urheberrechtsnovelle für die Wissenschaft "teilenteignet", Forscher können die Empörung nicht verstehen und fordern mehr Nutzerfreiheiten. Beide Seiten prallten bei einer Anhörung aufeinander.

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Inhaltsverzeichnis

Über Kampagnen in und von Zeitungs- und Fachverlagen kocht die Debatte über den Gesetzentwurf, mit dem die Bundesregierung das Urheberrecht "an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft" anpassen will, seit Kurzem hoch. Nun kam es bei einer Anhörung zu der Initiative im Bundestag am Montag zu einem Schlagabtausch zwischen Vertretern der Welt des gedruckten Worts und Wissenschaftlern. Erstere beklagten massive Auswirkungen auf ihr Geschäftsmodell, letzteren ging das Vorhaben nicht weit genug.

"Wir befürchten große Nachteile", betonte Barbara Budrich, die in Leverkusen einen kleinen, nach ihr benannten Wissenschaftsverlag mit 14 Mitarbeitern leitet. Der Entwurf erschien ihr wie eine "gesetzliche Teilenteignung". Gerade Lehrbücher, aus denen Ausbilder und Forscher künftig genauso wie bei anderen Werken 15 Prozent kopieren oder in elektronische Semesterapparate einstellen dürfen sollen, gehörten zu den "ressourcenintensivsten Produkten" jenseits von Zeitschriften. Der Markt dafür sei "in den vergangenen zehn Jahren schon um etwa 27 Prozent geschrumpft". Die nun vorgesehene "pauschale Vergütung" im Gegenzug für das Nutzungsrecht könne da "nicht fair" sein.

Studenten gingen heutzutage "sehr modular" vor und gäben sich vielfach mit Auszügen auf Lehrbüchern zufrieden, führte Budrich aus. So gebe es bei der geplanten 15-Prozent-Klausel, die laut dem ursprünglichen Ansatz des Bundesjustizministeriums bei 25 Prozent hätte liegen sollen, kaum noch Kaufanreize für sie. Die Verlegerin empfahl, die genutzten Auszüge zumindest seitengenau über die lizenzpflichtige Plattform Semesterapparat.de abzurechnen. Rund 50 Verlage hätten darauf in einem Testlauf über 50.000 Publikationen zur Verfügung gestellt.

Schweres rhetorisches Geschütz fuhr Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, auf und löste dabei Stirnrunzeln bei vielen Abgeordneten aus. Er warf den Volksvertretern vor, dass von ihnen offenbar "niemand jemals aus eigener Kraft einen Arbeitsplatz geschaffen" oder ein "existenzielles Gespräch" mit Mitarbeitern geführt habe. Sonst wäre den Parlamentariern sicher klar, dass Investitionen in Kreativität zurückverdient werden müssten. Für Sprang ist der Entwurf "verfassungs- und europarechtswidrig". Die Wissenschaftsfreiheit werde grob verletzt, eine "echte demokratische Beteiligung" habe bisher nicht stattgefunden.

Besonders geschädigt würden laut dem Rechtsanwalt "hochintensive Produkte" wie ein Anatomie-Handbuch von Thieme, das über 3000 Zeichnungen enthalte. Früher hätten Universitätsabteilungen diese jeweils für viel Geld anfertigen lassen müssen. Wenn davon 15 Prozent genutzt werden dürften, "kann man ganze Körperbereiche abdecken". Sprang forderte, dass Verlagsangebote für Lizenzen Vorrang haben müssten, sonst lande der jetzige Schnellschuss rasch vorm Bundesverfassungsgericht. Der Widerstand gegen solche sinnvollen Lösungen komme auch nicht von den Studenten; diese seien "instrumentalisiert" und aufgehetzt worden.

Die aktuelle Diskussion sei "mit Fehlinformationen gespickt" und beziehe sich nur auf einen Teilbereich, hielt die Berliner Juniorprofessorin für Bürgerliches Recht, Katharina de la Durantaye, dagegen. Insbesondere für Zeitungsverlage ändere sich mit dem Vorhaben "nicht so viel". Beim Kopienversand für nicht-kommerzielle Zwecke durch Bibliotheken dürften Artikel schon jetzt in Gänze erfasst werden. Eingriffe in Pressearchive würden nicht gestattet, die Nationalbibliothek dürfe nur eine Alternative dazu schaffen, wenn derlei privaten Dokumentationen nicht bestünden. Dass Lizenzangebote von Verlagen keinen Vorrang haben sollten, sei angemessen, da der einzelne Nutzer solche gar nicht beurteilen könnte und so horrende Preise gefördert würden.

Die Forscherin hatte sich in einem eigenen Vorschlag für eine umfassendere "Wissenschaftsschranke" ähnlich wie andere Experten für eine "vergütungspflichtige Generalklausel" stark gemacht, die auch noch nicht gesetzlich genannte Fallkonstellationen mit größeren Nutzungsfreiheiten etwa für die Plagiatskontrolle von Prüfungsarbeiten einbezogen hätte. Sie schlug vor, die jetzt von der Regierung beschriebenen Einzeltatbestände zumindest noch etwas zu lockern, indem der Gesetzgeber Nutzungen zulasse, die mit den bisher genannten Zwecken vergleichbar seien.

Die Aufregung nicht nachvollziehen konnte auch Rainer Kuhlen vom Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft". Er warf der Verlegerseite vor, Appelle "ohne Rücksicht auf die Fakten und den Wortlaut des Textes" an die Politik zu richten. Die betroffenen Werke seien weitgehend schon durch die öffentliche Hand finanziert, der "sehr zurückhaltende Entwurf" enthalte "an vielen Stellen noch nicht das", was Lehrer, Forscher und Studierende bräuchten. Regeln etwa für die Online-Ausleihe würden auf die lange Bank geschoben.

Der Entwurf erfülle allenfalls die "Mindestanforderung", ergänzte der Innsbrucker Urheberrechtsexperte Leonhard Dobusch. Geschaffen würden "zumindest halbwegs zeitgemäße Bedingungen" etwa für Schulen. Andere Staaten wie Norwegen gingen bei den digitalen Ausleihmöglichkeiten schon viel weiter und stellten teils Volltexte zur Verfügung. Auch laut Christoph Bruch von der Helmholtz-Gemeinschaft, der im Namen der Allianz der Wissenschaftsorganisationen sprach, würde die Initiative die bisherigen verteilten Regeln verständlicher gestalten und so die Rechtssicherheit erhöhen. Ausnahmen für Lehrbücher oder individuelle Nutzungsabrechnungen lehnte er ab, da diese die Lage verschlechterten und nicht praxisgerecht seien. (axk)