Die Uber-Flieger

Nachwachsende Herzklappen, revolutionäre Solarzellen: Wir haben zum vierten Mal unsere besten "Innovatoren unter 35" ausgewählt. Das Start-up Lilium gehört mit seinem Lufttaxi dazu.

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Von
  • Joseph Scheppach

Dieser Text-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft ist ab 22.6.2017 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Auf YouTube ist der Flieger bereits ein Star. Schon 1,5 Millionen Nutzer haben verfolgt, wie von einem Flugfeld bei Mindelheim in Bayern der erste elektrische senkrecht startende Jet der Welt abhebt – und komplexe Manöver fliegt, sauber und leise. Markiert der Jungfernflug den Beginn einer neuen Zeit der Luftfahrt?

Vielleicht. Gebaut hat das eiförmige Fluggerät das Münchner Start-up Lilium Aviation. Mit ihm könnten Kleinflugzeuge, die über Staus hinwegschweben, Wirklichkeit werden. „Solche Elektro-VTOL (Vertical Take-Off and Landing) werden den Verkehr revolutionieren“, ist Daniel Wiegand, CEO und einer der Gründer von Lilium, überzeugt. Der 31-Jährige gewann schon zu Schulzeiten mit einem aerodynamischen Flügel einen Preis bei „Jugend forscht“, hat Maschinenbau und Flugantriebstechnik an der TU München studiert und flog schon mit 14 Jahren Segelflugzeuge. Nun will er den Luftraum für jedermann öffnen – mit Fliegern, die wie Taxis funktionieren. „In Zukunft wird man per App einen E-Jet zur nächsten Abholstation ordern und dann einsteigen.“

Auf die Idee einer Uber-Variante für die Lüfte kam er bei einem Auslandssemester in Glasgow. Wiegand stieß auf ein YouTube-Video mit einem amerikanischen Senkrechtstarter namens V-22 Osprey, einem Militärflugzeug. Auf kleinstem Raum senkrecht starten und landen, das wollte Wiegand auch für den Individualverkehr möglich machen. Nur umweltfreundlicher und leiser müsste der Flieger sein. Für diese Idee konnte der Tübinger drei Kommilitonen begeistern: den Maschinenbau-Doktoranden Sebastian Born, den Aerodynamiker Patrick Nathen und den Mechatroniker Matthias Meiner. Die vier Studenten berechneten im WG-Zimmer physikalische Rahmenbedingungen für ein Personal Air Vehicle (PAV). Im Februar 2015 gründeten sie Lilium, für dessen Namen der Flugzeugpionier Otto Lilienthal als Inspiration diente.

Auch Kapitalgeber ließen sich begeistern. Die Gründer erhielten Geld aus einem Topf des EU-Start-up-Förderprogramms Climate-KIC Accelerators, vom Business Incubation Centre Bavaria und dem Fonds UnternehmerTUM der TU München. Zu den Investoren gehören mittlerweile auch der bekannte Risikokapitalgeber Frank Thelen sowie Christian Reber, der seine App Wunderlist an Microsoft verkauft hat, und Atomico, die Investmentfirma von Skype-Gründer Niklas Zennström. Sie steckte rund zehn Millionen Euro in das Start-up.

45 Mitarbeiter ist das Team um Wiegand inzwischen stark. In den Werkstätten des 1500 Quadratmeter großen Firmensitzes surren zwei mannshohe 3D-Drucker, die Einzelteile eines Flugzeugmodells fertigen. Auf einer Werkbank liegen Tragflächen, die Mitarbeiter mit Triebwerken bestücken. In einem anderen Raum werden die Sitze für die Passagiere schon mal Probe gesessen, „damit später die Beinfreiheit stimmt“, so Wiegand. So entstand ein maßstabsgetreuer, vier Meter langer E-Jet in der sogenannten Canard-Bauweise. Er besitzt zwei Höhenleitwerke vorn und zwei Tragflächen mit sieben Metern Spannweite dahinter. Platz haben zwei Personen. Das YouTube-Video zeigte den Testflug. „Er war noch unbemannt, denn wir wollen zunächst nur Daten über das Flugverhalten sammeln“, erklärt Wiegand. „Zwar könnte der Jet auch autonom fliegen, aber das ist nicht erlaubt. Deshalb steuerte ihn ein Pilot per Fernbedienung vom Boden aus.“

Alles, was den Jet für den Elektro-Senkrechtstart zu schwer macht, wurde eingespart. Das 400-Kilogramm-Flugzeug besteht zum Großteil aus Kohlefasern. Es kann 200 Kilogramm Nutzlast tragen, soll in bis zu 3000 Metern Höhe operieren und eine Reichweite von bis zu 300 Kilometern besitzen. „Die Vorteile liegen auf der Hand“, sagt Wiegand. „Wir bringen den Transitverkehr in Höhen, wo er nicht stört – und das mit einem umweltfreundlichen, CO2-neutralen E-Jet, der in Sachen Lärmemission völlig neue Maßstäbe setzt.“ Er sei bei Start und Landung nicht viel lauter als ein Lkw und könne von einem 15 mal 15 Meter großen Feld abheben.

(ksc)