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Was war. Was wird. Wo unser Land doch immer digitaler wird

Snowden, Manning und nun auch Winner? Der digitalste Bauer wird wissen, dass die Snowden-Enthüllungen gerade ihren vierten Jahrestag feierten, aber wer ist nun Whistleblower, wer Leaker?

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chelsea manning
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Hach, was ist heute ein herrlicher Samstag, und er ist der "Tag der Bundeswehr" noch dazu. Da sitzt man gerne im Flecktarn vor dem Rechner und tippselt an der kleinen Wochenschau für Mitternacht, vier Jahre nach Snowdens Gang an die Öffentlichkeit. Diesmal eben in stiller Bewunderung für die Bürger in Uniform, die sich offenbar ganz gesittet benommen haben und nur hier und da etwas Wehrmachtskrempel sammelten. Hätten da nicht Sachen der US Army gereicht, etwa von der bisher größten logistischen Aktion der Neuzeit, liebevoll beschrieben von Popular Mechanics? Heutzutage brettert man einfach den Strand hoch und das war's.

Auszug aus dem neuen Snowden-Buch der "Berliner Gazette"

Wirklich kompliziert ist nur die Fliegerei, da braucht es zur Verlegung der Flieger von Incirlik weg zwei Monate, genauso lang, wie Theresa May und ihr Abgeordnetenhaus brauchte, um eine Wahl bis zum großen Desaster durchzuziehen. Das ist eine dieser newsmäßig neuerdings so beliebten Korrelationen, aber keine Kausalität, denn bei der Bundeswehr ist die SAP-Anbindung der schwierige Teil, was bei Wahlen glücklicherweise entfällt. Dafür kann bei ihnen schon mal ein Youthquake, ein Jungbeben passieren, wie es geschah zu jener Zeit, als Jeremy Corbyn lebte und unter das Volk trat. Ob das Weiterwursteln von Theresa May mit Hilfe der Ulster-Partei mit dem Karfreitagsabkommen von 1998 kompatibel ist, steht freilich in den Sternen.

Die Sterne, zumindest in der vom deutschen Informatiker Markus Kuhn entdeckten Microdots der EURion-Konstellation waren ihr Schicksal: Reality Leigh Winner, eine Linguistin und ehemalige Soldatin stolperte beim Ausdrucken eines NSA-Dokumentes über die Erkenntnisse, die Kuhn mit einem Xerox-Kopierer gewann. Xerox war die erste Firma, die mit diesen Microdots experimentierte und Drucker/Kopierer-Nutzer explizit auf das Vorhandensein des Machine Identification Codes hinwies. Der Fall von Reality Winner sorgte für viele Diskussionen im Heise-Forum, nachdem Wikileaks ein Kopfgeld auf einen Journalisten aussetzte. Die Schuldzuweisung ereilt Matthew Cole von Intercept nicht von ungefähr. Folgt man hier einfach der Beschreibung seines Verhaltens im Jahre 2008, das John Kiriakou in seinem Buch Doing time like a Spy wiedergibt? "Entweder hat das FBI Coles Emails gelesen oder Cole kooperierte mit dem FBI, das mich anklagen wollte. Entweder spionierte das FBI einen Journalisten aus oder Cole hatte gesungen." Eine Antwort steht noch aus, weil völlig unklar ist, welcher der vier an der Story beteiltigten Intercept-Journalisten so unvorsichtig war, mit einer Quelle über eine andere Quelle zu reden. Das allein reichte schon zur Enttarnung.

Auch die Frage, ob Reality Leigh Winner nur eine Leakerin ist oder sich als Whistleblowerin versteht, ist noch ungeklärt, ganz anders als im Fall von Chelsea Manning. Das Weiße Haus niederbrennen, das ist eine voreingenommene Aussage der Ankläger über Winner. Und Manning? In dieser Woche hat die junge Frau ihr erstes Interview gegeben, mit bemerkenswerten Statements. Gleich zu Beginn ein Dankeschön an Ex-Präsident Obama, danach der hartnäckige Verweis darauf, dass sie selbst allein Verantwortung trage und von niemanden, schon gar nicht von Assange angestiftet worden sei. Dafür möchte man sie umarmen: Hugs for Chelsea!

Eine klare Haltung bewies auch der von Trump gefeuerte ehemalige FBI-Direktor James Comey bei seiner Aussage vor dem Geheimdienstausschuss des US-Senats. Bekanntlich will Trump gegen Comey unter Eid aussagen. Das könnte interessant werden. Im Trubel dieser Statements ist leider die Aussage des republikanischen Politikers Dan Coats untergegangen, der dem Geheimdienstausschuss darlegte: "it remains infeasible to generate an exact, accurate, meaningful and responsive methodology that can count how often a U.S. person's communications may be collected". US-Amerikaner werden überwacht wie der Rest der Welt, doch die NSA hat keine Ahnung, wie viele es sein könnten, weil sie keine sinnvolle Methode gefunden hat, das Ausmaß der Überwachung mit dem großen Datenschnorchel zu berechnen. So sieht ein Offenbarungseid aus. Bekanntlich warten wir ja auf den Abschlussbericht des NSA-Untersuchungsausschusses, der sich derzeit in der "Ressortabstimmung" befindet, aber noch im schönen Juni erscheinen soll. Schon möglich, dass sich dort ein ähnlicher Passus findet, wenn das Ausmaß der Verdatung bei der Operation Eikonal abgeschätzt werden soll. Inland, Ausland, Schmausland, das ist im Zeitalter von Big Data einfach nicht mehr exakt feststellbar.

Was wird.

Weit, weit über die norddeutsche Tiefebene hinaus schweift der Blick, bis in die mächtige Metropolregion Rhein-Neckar. Dort findet diesmal der IT-Gipfel von Bundesregierung und Industrieverbänden statt. Kurz vor der Sommerpause der Politik will man wieder einmal zeigen, wie weit und wie überaus führend Deutschland bei dieser Digitalisierung mit seinem enormen Aktionsprogramm ist. Da heute bekanntlich alles digital sein muss und dafür gar seltsame Superlative wie der digitalste Bauer gebildet werden, hat man auch den IT-Gipfel umbenannt und spricht jetzt vom Digital-Gipfel. Auf ihm hält Bundeswirtschaftskurzministerin Brigitte Zypries eine ihrer letzten großen Reden und besucht das Großkraftwerk Mannheim, wo der digitalste Strom überhaupt natürlich aus Kohle entsteht – oder so.

Mit dabei ist natürlich auch unsere Bundeskanzlerin, die vor ihrer üblichen Keynote bei einem Rundgang erkundet, wie es denn so ist, in diesem unseren "immer digitaler werdenden Land" zu leben. Da schau her. Weil diese kleine Wochenschau mit SAP angefangen hat, soll sie auch mit SAP enden, denn zum Digital-Gipfel zeigt der Konzern zusammen mit Roche Diabetes Care (besser bekannt unter Accu-Check) den Einstieg in das "Predictive Doctoring" von Gesunden per Smartphone und App. Wie heißt es in der Digitalgipfelbeschreibung so unschön: "Roche und SAP haben gemeinsam ein Computerprogramm entwickelt, das dem Arzt einen Überblick über alle relevanten Echtzeit-Daten eines Patienten verschafft. Der Arzt kann so individuell dem Patienten Tipps und Empfehlungen geben, die ihm helfen, trotz erblicher Veranlagung nicht an Diabetes zu erkranken." Für die Menschen mit Diabetes gibt es was anderes, ein Purpose Statement zum angstfreien Leben.

Dann aber, wenn nach dem Sonstwas-Gipfel alles in die Sommerpause verschwindet und der Kaiman Sammy im Baggersee sein furchtbares Haupt erhebt, wird es Zeit für die Sommerrätsel. Sie stehen diesmal im Zeichen des Summer of Love der Hacker und Hippies, deshalb sei das taz-Interview mit Howard Rheingold nachgetragen, das letzte Woche noch offline war. Meditation und LSD führten also zum PC. Oder auch nicht. Für Rätsel-Vorschläge bin ich wie immer dankbar. Und als kleiner Vorgeschmack aus einem ganz bezaubernden Gedicht:

I like to think

(it has to be!)

of a cybernetic ecology

where we are free of our labors

and joined back to nature,

returned to our mammal

brothers and sisters,

and all watched over

by machines of loving grace.


(kbe)