Software unterstützt und kontrolliert Gedächtnis

Digitale Helfer können dem Gedächtnis des Menschen tatsächlich auf die Sprünge helfen. Aber die Technik bietet auch Missbrauchsmöglichkeiten, warnen Forscher.

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Software unterstützt und kontrolliert Gedächtnis
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Albrecht Schmidt von der Universität Stuttgart hat ein Programm entwickelt, das sein Gedächtnis sanft unterstützt. Die Software protokolliert lückenlos seine tägliche Arbeit am Laptop und präsentiert ihm am nächsten Morgen eine fünfminütige Diashow von Screenshots des Vortags – zwei Bilder jeder Minute, im extremen Zeitraffer zusammengeschnitten. Als Außenstehender bleibt man ratlos: Die Bilder laufen viel zu schnell. "Aber ich kann sehen, wie ich gearbeitet habe, was ich gemacht habe, wie schnell – und vor allem: Was ich gelernt habe", sagt Schmidt.

Im EU-finanzierte Projekt Recall haben Schmidt und seine Kollegen untersucht, ob und wie sich Lifelogging-Techniken als Gedächtnisstütze nutzen lassen, berichtet Technology Review in seiner Juli-Ausgabe (seit Donnerstag am Kiosk oder online bestellbar). Das Ergebnis: Bereitet man die Datenflut aus einem Lifelogging richtig auf und präsentiert dem User eine kurze Zusammenfassung seines Tages, kann er sich an mehr Begebenheiten erinnern. "Schnell wurde klar, dass die Technologie auch gesunden Menschen helfen kann", erklärt Schmidt, der ebenfalls an Recall beteiligt war. Aber die Technik ist durchaus zweischneidig, denn mit dem Verstärken bestimmter Erinnerungen werden andere Erinnerungen abgeschwächt.

"Wie gut man sich an ein Objekt erinnert, wird beeinflusst von der Zahl der ähnlichen Objekte, denen man begegnet", sagt Geoff Ward, Psychologe an der University of Essex. Er hat Studierende auf eine Campustour geschickt. An acht verschiedenen Stationen warteten jeweils sechs verschiedene Dinge. Die Studenten sollten sich möglichst viele dieser Dinge merken. Eine Gruppe aber behandelte er etwas anders: Nach der Tour und vor dem Test zeigte er ihnen Fotos von einigen ausgewählten Dingen, die an drei der acht Orte auf sie gewartet hatten. Wenig überraschend war, dass sich diese Gruppe zu 80 Prozent an jene Dinge erinnern konnte, die ihnen zusätzlich auf den Bildern gezeigt worden waren – und damit deutlich besser als die Kontrollgruppe. Sie hatte sich nur an 60 Prozent aller gesehenen Dinge erinnert. Erstaunlich jedoch war das zweite Ergebnis: An Dinge, von denen die Fotogruppe nachträglich kein Bild gesehen hatte, erinnerte sie sich nur zu 45 Prozent – und damit schlechter als die Kontrollgruppe. Die Fotos hatten sie also Dinge vergessen lassen, die ohne Fotos im Gedächtnis geblieben wären.

Wenn also ein Algorithmus den Tag in Bildern zusammenfasst wie im Projekt Recall, verändert er die Wahrnehmung – und am Ende unser Handeln. Ward sieht darin aber auch eine Chance. Wir könnten die Methode nutzen, um das perfekte, von negativen Erinnerungen gereinigte Gedächtnis zu schaffen. "Wer den Algorithmus macht, der kann uns Erinnerungen einpflanzen", sagt Albrecht Schmidt.

Aber ist das nicht Gehirnwäsche? "Nein, das ist das Leben", sagt Ward: So funktioniert unser Gehirn. Auch das Verhalten von Menschen könnte man dank dieses Mechanismus ändern: Wer öfter ins Fitnessstudio gehen möchte, aber mit seinem inneren Schweinehund kämpft, könnte sich die Erinnerung daran verstärken lassen, wie gut es ihm hinterher ging. "Die Technik dafür ist reif", sagt Ward, "das muss uns bewusst sein". (Eva Wolfangel) / (bsc)