Browser-Kopierschutzstandard: W3C gibt grünes Licht für mehr DRM im Web

Das World Wide Web Consortium (W3C) hat angekündigt, die umstrittene Kopierschutztechnik Encrypted Media Extensions bald offiziell als Standard zu veröffentlichen. Bürgerrechtler betrauern den Untergang des Hypermediums in seiner bisherigen Form.

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Browser-Kopierschutzstandard: W3C gibt grünes Licht für mehr DRM im Web
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Das World Wide Web Consortium (W3C) hat angekündigt, die umstrittene Kopierschutztechnik Encrypted Media Extensions bald offiziell als Standard zu veröffentlichten. Bürgerrechtler betrauern den Untergang des Hypermediums in seiner bisherigen Form.

Digitales Rechtekontrollmanagement (DRM) soll im Web offiziell fest verankert werden, um Copyright-Ansprüche flächendeckend besser durchsetzen zu können. Das World Wide Web Consortium (W3C) hat Ende der Woche mitgeteilt, dass eine Standardempfehlung für die seit Jahren umkämpfte Technik "Encrypted Media Extensions" (EME) "in wenigen Wochen" ausgesprochen und publiziert werden soll. Dabei geht es um eine Schnittstelle, über die Inhalte geschützt in Web-Browsern abgespielt werden können. EME hat zwar bereits in HTML5 sowie zahlreichen Web-Navigationswerkzeugen Einzug gehalten. Mit dem vorgeschlagenen Schritt soll die Erweiterung nun aber auch formal als Norm geadelt werden.

Einen entsprechenden Standardisierungsvorschlag hatte das W3C im März seinen Mitgliedern unterbreitet und eine Konsultation dazu gestartet. In deren Rahmen brachten die Beteiligten zahlreiche Bedenken gegen eine EME-Norm vor, die das Gremium auf seiner Mailingliste zusammengefasst hat. Die Kritiker monierten demnach insbesondere einen "unzureichenden Schutz von Nutzern", Schwierigkeiten, die Spezifikation in Projekten auf Basis freier Software umzusetzen, sowie eine fehlende Zusicherung, dass der technische Kopierschutz ausgehebelt werden dürfe, um bestehende, teils gesetzlich verankerte Nutzerrechte wie auf Privatkopien durchzusetzen.

Die Einwände bezogen sich zudem auf den Mangel einer Ausnahmeklausel für Sicherheitsforscher sowie von Implementierungsmöglichkeiten für die erforderliche Entschlüsselungstechnik CDM (Content Decryption Module), die zusätzlich lizenziert werden muss. Kritiker befürchten, dass so gerade Start-ups, der freie Wettbewerb und das offene Web insgesamt behindert werden könnten. Zur Sprache kamen zudem zusätzliche Schwierigkeiten, Inhalte in DRM-Containern in Formate umzuwandeln, die für Menschen mit Behinderungen besser geeignet sind. Gegner führten ferner zunehmende Probleme ins Feld, geschützte Werke wie Videos archivieren und für die Nachwelt erhalten zu können.

Der W3C-Direktor Tim Berners-Lee geht in der Rundmail auf alle vorgebrachten Punkte ein, hält sie aber entweder für "bereits adressiert" oder derzeit nicht angebracht. Letztlich weist der "Vater des Webs" so die meisten Einwände zurück, bei anderen hält er es für gerechtfertigt, sie gegebenenfalls in später möglichen Evaluierungen und den Arbeiten an technischen Details des Standards erneut auf die Agenda zu heben.

Alles zusammengenommen spricht sich der Physiker dafür aus, die Spezifikation anzuerkennen. "Die hunderte Millionen von Nutzern, die Videos online sehen wollen, von denen einige von ihren Schöpfern mit Anforderungen zum Urheberrechtsschutz versehen worden sind, sollten dies sicher und in einem Web-freundlichen Weg tun können", verteidigt Berner-Lee seine Entscheidung. EME habe den Vorteil, dass sämtliche Interaktionen im Browser stattfänden und auf Plugins wie Flash oder oder Silverlight verzichtet werden könne. Die Schnittstelle biete ein besseres Nutzererlebnis und garantiere "mehr Interoperabilität, Datenschutz, Sicherheit und Zugänglichkeit" rund um verschlüsselte Online-Videos. Prinzipiell hatte sich der W3C-Chef schon 2013 nach anfänglichen prinzipiellen Bedenken hinter die DRM-Technik gestellt.

Die US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) rügt das Signal aus der Spitze des Zusammenschlusses scharf. Sie wirft dem W3C vor, die Interessen einer Handvoll großer Mitglieder wie Apple, Google, Microsoft, der MPAA (Motion Picture Association of America) oder Netflix über die der Allgemeinheit gestellt zu haben. Selbst Appelle für kleinste Zugeständnisse an die Rechte von Nutzern oder Sicherheitsexperten seien ungehört verhallt. Dies werde viele freie Projekte und Innovationen behindern und einer Armee von Anwälten Arbeit verschaffen.

"Wir trauern heute um das Web, weil das W3C den großen Ausverkauf gestartet hat", ergänzte die Free Software Foundation (FSF). Sie erinnerte daran, dass es noch eine letzte, zweiwöchige Einspruchfrist für die W3C-Mitglieder gebe und am Sonntag wieder der Internationale Aktionstag gegen DRM stattfinde. Es müsse auf jeden Fall verhindert werden, dass sich die digitale Restriktionstechnik mit dem Segen des Standardgremiums noch weiter im Web ausbreite. (uk)