Zahlen, bitte! Mit 800 Pfund zum ersten Retortenbaby

Am 25. Juli 1978 wurde das Mädchen Louise Joy Brown geboren. Es war das erste in vitro gezeugte Kind der Welt. 800 britische Pfund und jahrelange Forschungsarbeit in der künstlichen Befruchtung hatten das möglich gemacht.

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Zahlen, bitte! Mit 800 Pfund zum ersten Retortenbaby
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Inhaltsverzeichnis

Heute wird die Britin Louise Joy Brown 39 Jahre alt. Sie ist Angestellte einer Spedition, hat einen Mann und zwei Kinder. So gewöhnlich das klingen mag, so hat Brown in der Medizingeschichte doch einen besonderen Platz. Sie ist der erste Mensch, der durch eine in vitro-Fertilisation (IVF) auf die Welt gekommen ist. Ihre Eltern hatten über neun Jahre hinweg vergeblich versucht, ein Kind zu bekommen. Ein Gewinn des Vaters John Brown beim Fußball-Toto brachte für ihn und seine Frau Lesley aber schließlich die Wende. Die gewonnene Summe von 800 britischen Pfund (heute knapp 900 Euro) investierte das Paar 1977 in die komplizierte Behandlung einer künstlichen Befruchtung, die bis dato im Labor noch nie funktioniert hatte.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Der Physiologe Robert Edwards und der Gynäkologe Patrick Steptoe forschten damals bereits zehn Jahre daran, Eizellen mit Sperma im Reagenzglas zu befruchten und das befruchtete Ei in die Gebärmutter der Spenderin einzusetzen. Versuche erfolgten mit Ei- und Spermazellen von Mäusen, Hasen, Rindern und Affen. Bei ersten Versuchen, das befruchtete Ei in eine menschliche Gebärmutter einzusetzen, verhinderten zunächst verabreichte Hormone das Wachsen des Embryos. Andere Hormone wiederum lösten Fehlgeburten aus. Mehr als 40 Embryos mussten transferiert werden, bis die Forscher eine Schwangerschaft vermelden konnten. Diese musste jedoch abgebrochen werden. Die von Lesley Brown war schließlich die zweite Schwangerschaft, die glückte, und so wurde am 25. Juli 1978 Louise als gesundes Baby geboren.

Edwards und Steptoe gründeten 1980 mit der Bourn Hall-Klinik die weltweit erste Klinik für IVF. Steptoe war dort bis zu seinem Tod 1988 Direktor, Edwards war der Leiter der Forschungsabteilung. Die Bourne Hall-Klinik diente als Ausbildungsstelle für zahlreiche Gynäkologen und Zellbiologen weltweit. Die Methoden der IVF wurden beständig verbessert. Bis 1986 sind dort 1000 weitere Kinder durch künstliche Befruchtung entstanden. Schätzungen zufolge sollen bis 2010 weltweit vier Millionen Kinder durch IVF auf die Welt gekommen sein. Edwards jahrelange Forschungsarbeit wurde 2010 mit dem Nobelpreis für Medizin gewürdigt.

Neben der Begeisterung über den erfolgreichen medizinischen Eingriff gab es auch kritische Stimmen etwa von Medien und der Kirche, die es als "Werk des Teufels" bezeichnete. Auch ihrer Forschungsarbeit hatten die zwei Wissenschaftler nicht immer Unterstützung erfahren. So lehnte 1971 etwa die staatliche Forschungssorganisation Medical Research Council (MRC) eine Förderung der in vitro-Befruchtung ab. Stepstone wurde in Mediziner-Kreisen große Skepsis angesichts seiner Laparoskopie entgegengebracht. Diese Bauchspiegelung war damals noch neu und nicht unstrittig. Steptoe setzte sie ein, um die Eierstöcke zu untersuchen und daraus die Eizellen zu entfernen. Und auch Edwards war beständig mit Kritikern der Methode beschäftigt und wurde nicht müde, seine Arbeit zu verteidigen.

Ein Familienfoto der besonderen Art: Der IVF-Erfinder Robert Edwards mit Lesley Brown (v.l.), ihrer Tochter Louise Brown und ihrem Sohn Cameron im Jahr 2010.

(Bild: dpa, Chris Radburn/PA)

Louise Brown steht heute nicht mehr sehr häufig im Rampenlicht. Sie weiß um die Bedeutung ihrer Geburt für viele Paare, die auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen können. Ihre persönliche Haltung zur Reproduktionsmedizin äußert sie nicht öffentlich. Sie selbst konnte mit ihrem Mann ihre zwei Kinder auf ganz natürlichem Wege bekommen.

Heute ist man in der Reproduktionsmedizin ein ganzes Stück weiter – nicht nur in Großbritannien. So sehen Forscher den Mutterleib zwar weiterhin als wichtig, jedoch für immer kürzere Zeit als notwendig an. Wissenschaftler des Children’s Hospital in Philadelphia hatten im April dieses Jahres beispielweise gezeigt, dass zu früh geborene Lämmer in einer Art künstlicher Gebärmutter mit artifiziellem Fruchtwasser rund einen Monat verbringen konnten. Das könnte auch solchen Säuglingen helfen, die bereits um die 23. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen.

Gewissermaßen noch vor der Schwangerschaft setzt die Forschung der sogenannten in-vitro-Gametogenese an. Damit könnte jeder Zelltyp zu Ei- oder Spermazellen umprogrammiert werden. Japanische Forscher haben die Technologie bei Mäusen schon demonstriert. Katsuhiko Hayashi von der japanischen Kyushu University in Fukuoka konnte aus Körperzellen von Mäusen Eizellen herstellen, die am Ende gesunden Nachwuchs hervorbrachten. Und wie die Autoren des Meinungsbeitrags in Science Translational Medicine schreiben, dürfte sie bald auch bei Menschen verwendet werden.

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Die menschliche Fortpflanzung wird mit Forschungen wie diesen weiter von den biologischen Grenzen entkoppelt. Diese – für manche beängstigende – Fortschritte könnten es Frauen erlauben, auch dann schwanger zu werden, wenn sie – ob wegen ihres Alters oder wegen Krankheiten wie Krebs – von Natur aus keine geeigneten Eizellen haben.

Lesen Sie zum Thema neue Technologien bei der menschlichen Fortpflanzung auch den TR-Artikel "Die Revolution in der Reproduktion".

(jle)