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Was war. Was wird. Im Leben von Metamorphosen umgeben.

Auf dem hohen Ross, ob philosophisch oder moralisch, sitzt man manchmal doch ganz gut, meint Hal Faber. Und das nicht nur, wenn Metamorphosen anstehen.

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Was war. Was wird. Im Leben von Metamorphosen umgeben.

Ivor Bond, Lizenz Creative Commons CC0 - Aufnahme der Kelpies bei Falkirk, Schottland

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Zerknirscht muss ich mich zuallererst bei den Lesern dieser kleinen Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene entschuldigen. Etwas zu voreilig habe ich im letzten WWWW berichtet, dass die Klage von Digitalcourage gegen den Staatstrojaner aus dem Stand weg von 34.000 Bürgern unterzeichnet worden ist. Stimmt nicht, das war eine Wunsch-News. Der aktuelle Stand: 4.000 Menschen haben unterzeichnet und etwas über 30.000 Euro gespendet, damit die Klage, die etwa 45.000 Euro kostet, über die Bühne gehen kann. Hier gibt es durchaus Verbesserungsbedarf, liebe Männer und Frauen.

*** Ausgerechnet eine für Frauenrechte Zuständige sorgte in der norddeutschen Tiefebene für Aufregung, als sie nach dem Ende der Sommerferien im schönen Niedersachsen die Klasse wechselte. Nur waren es nicht die Schulferien, sondern die Parlamentsferien und es ging von den Grünen zur CDU. Ein Schritt, der durchaus seine Logik hat, wenn man sieht, wie ein grüner Ministerpräsident vom sauberen Diesel schwadroniert wie US-Präsident Trump von der sauberen Kohle. Darum gilt doppelt und dreifach, was zum elenden Diesel-Gipfel kommentiert wurde: "Politiker sind durch ihren Amtseid dem Gemeinwohl verpflichtet. Es überschneidet sich in gewissen Teilen durchaus mit dem Wohl der deutschen Autoindustrie. Aber es ist bei weitem nicht deckungsgleich."

*** Doch zurück zum schönen Volkswagen-Land Niedersachsen, in dem eine Politikerin zeigte, wie sie ihr Wohlergehen präferiert: Zuvor hatte die Hinterbänklerin Elke Twesten bei den Grünen sich mit ihren Parteikolleginnen ausgiebig über feministische Themen gezofft und dies zunächst als Motiv für ihren Parteiwechsel genannt. Prompt gab es Vermutungen, dass das jämmerliche Denunziationsportal der grünen Agentin Mitschuld am Wechsel hat, doch die Wahrheit ist viel banaler. Das Ende der politischen Karriere war sichtbar. Nicht mehr für die anstehende Wahl aufgestellt zu sein, das verkraftete die Politikerin nicht: "Ich hab mich also gefragt, soll ich aufhören?" Die einfache Antwort wäre "Ja!" gewesen. So zeigt sich wieder einmal unverdrossen, was PolitikerInnen und BürgerInnen voneinander trennt. So ein Wechsel von den Grünen zur CDU (oder von der AfD zur SPD) ist ja auch nur ein Software-Update, ein Sprung zwischen Suse und Ubuntu oder so.

*** Nun ist es ja nicht umsonst, dass das Grundgesetz die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nur ihrem Gewissen verpflichtet – was so natürlich auch für Abgeordnete von Landtagen seine Richtigkeit hat. Abgeordnete, um das mal von vom hohen philosophischem Ross der Grundgesetz-Formulierung herunterzuholen, entscheiden also nach bestem Wissen und Gewissen. Was auch sonst sollte ihre Leitschnur sein? So sollten sich also alle, die angesichts der Vorkommnisse in Niedersachen (oder in Thüringen, by the way) jetzt imperative Mandate und Abgeordnete einzig nach Parteiräson fordern, etwas zurückhalten. Bleibt trotzdem die Frage nach dem Wählerwillen – der sich in der Wahl einer Landesliste (im Unterschied zu Direktmandaten) meist kaum an einzelnen Personen dieser Landesliste festmacht, sondern eben an Parteien. Insofern mag die Frage nach der Moral dann doch gestellt werden, wenn Abgeordnete ein Mandat behalten, die Partei, für die sie dieses Mandat erhalten haben, aber verlassen. Ganz ohne imperative Mandate oder Fraktionszwang, ganz ohne Intrigen und Vorteilsnahmen, neue Jobs und neue Ämter, wäre eine Rückgabe des Mandats dann doch eine moralische Verpflichtung. Weder philosphisch noch moralisch ist das ein allzu hohes Ross.

*** In dieser Woche wurde der Test der automatisierten Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz gestartet, mit vielen Reaktionen. Dem Cheftester der Bundespolizei gefallen sie nicht unbedingt, wie sein Statement im Newsletter an seine Tester zeigt: "Kritische Wortmeldungen sind legitim und Ausdruck unserer freiheitlichen Demokratie. Bedauerlicherweise wird dabei auch pauschale Kritik kundgetan, die aus Sicht der Bundespolizei oft substanzlos ist oder am eigentlichen Thema völlig vorbeigeht. Ich hoffe, Sie lassen sich von diesen Beiträgen nicht verunsichern. Es handelt sich zunächst nur um den Test eines technischen Verfahrens, dessen Ergebnis völlig offen ist. Auch ich bin gespannt auf das Ergebnis und freue mich auf die kommenden sechs Monate." Herr Striethörster mag beruhigt sein, auch wir warten auf Ergebnisse und lesen ganz ergebnisoffen, wie einfach Erkennungssoftware in die Irre geführt werden kann. In dieser Woche wurde auch das Hackercamp SHA2017 mit einer Keynote von Phil Zimmermann gestartet. Der antwortete auf die Frage nach dem Austricksen der Gesichtserkennung etwas Kluges, das Wiederholung verdient: "Klar kann man sich das Gesicht bemalen oder lustige Brillen nutzen oder Infrarot-LEDs, die die Kameras anblitzen. Doch eine Antwort muss von der Zivilgesellschaft kommen und für alle Bürger gelten, nicht nur für Hacker. Das ist eine politische, keine technische Frage." Es gibt auch, Pullmoll sei Dank, eine poetischeAntwort mit deutschem Liedgut auf den das Sicherheitsempfinden steigernden Sicherheitsbahnhof:

Auf die Bäume ihr Affen, der Wald wird gefegt,
der Wald wird gefegt, der Wald gefegt.
Auf die Bäume ihr Affen, der Wald wird gefegt,
und nicht lange überlegt."

*** Mit mehr als 300 Vorträgen ist das Hackercamp, von dem die madmaxigen Bilder stammen, eine sportliche Sache. Um alles vor Ort erleben zu können, müsste man sich Klonen, empfahl der Veranstalter zum Auftakt – aber wenn man sich klonen würde, würde es auch mehr Veranstaltungen geben. Die lässigen Hacker ignorieren die Klon-Empfehlung und setzen darauf, irgendwann die Videos der Talks zu gucken, in der Hoffnung, dass es verfügbar sein wird und nicht verschwindet, wie es mit den Mitschnitten auf der OHM 2013 passiert ist. Klonen ist, philosophisch betrachtet, eine Teilmenge der Teleportation: Wenn ich mich vom Mars zur Erde teleportiere, habe ich als Mensch die Entscheidung zu treffen, was mit meinem Marskörper passieren soll. Das ist ein Problem, das Gucky, der Mausbiber von Perry Rhodan nicht hat. Vielleicht kann es mit der Teleportation in ein Paralleluniversum gelöst werden, etwa dem mit diesem G20-Gipfel, in dem die Polizei mit Steinen und Flaschen angegriffen wurde. Oder in dem Paralleluniversum mit einem Bundeskriminalamt, das immer noch keine Auskunft darüber erteilen kann, warum Journalisten die Akkreditierung entzogen wurde. Sind die Informationen soooo schwierig zu finden? Sind die Informationen über Journalisten gar in diesen "ermittlungsunterstützenden Hinweisen" (EHW) der kostenträchtigen Fallbearbeitung B-Case zu finden, die im Tätigkeitsbericht unserer Bundesdatenschützerin im Juni als "stigmatisierende Einträge" kritisiert wurden? Datenschutzrechtlich soll das höchst bedenklich sein und einen kleinen Hinweis auf Demonstrationsteilnahmen gibt es auch: "Ein Großteil aller polizeilichen Daten betrifft Personen, die nur wegen eines Verdachts gespeichert sind. Das mit dem EHW vergebene Etikett erhalten also auch solche Personen, deren Daten beispielsweise bei einer Demonstration erfasst wurden, gegen die ein Strafverfahren aber später wegen mangelnder Beweise eingestellt wurde oder die sogar freigesprochen wurden." Nun, wir leben in der besten aller Demokratien.

Was wird.

Als er in seiner Art der Demokratie lebte, war alles etwas einfacher. Damit nicht zufrieden, entwickelte er in höchst poetischer Sprache die Idee zu Facebook, die Mark Zuckerberg später umsetzte. Zuckerberg spricht und schreibt nach eigener Aussage flüssiges Latein (und Griechisch) und dürfte deshalb diese Steilvorlage "Wie werde ich Milliardär?" kennen: "Zwischen der Erd' und dem Meer und den himmlischen Höh'n in der Mitte
Lieget ein Ort, abgrenzend der Welt dreischichtige Kugel,
Wo man, was irgend erscheint, wie fern auch der Raum es gesondert,
Schaut, und jeglicher Schall die gehöhleten Ohren durchdringet.
Fama erkor sich den Ort und bewohnt den erhabensten Gipfel.
Rings unzählbare Gäng' und der Öffnungen Tausende ringsher
Gab sie dem Haus, und es sperrte nicht Tor noch Türe die Schwellen.
Tag und Nacht ist es offen; und ganz aus klingendem Erze,
Tönet es ganz und erwidert den Laut, das Gehörte verdoppelnd.
Nirgend ist Ruh' inwendig und nirgendwo schweigende Stille;
Doch auch nirgend Geschrei; nur flüsternder Stimmen Gemurmel:
Wie von des Meers Aufbrandung, wenn fernher einer es höret,
Schallt das Geräusch; wie dumpf, wann Jupiter krachende Schläge
Sandt' aus schwarzem Gewölk, abziehende Donner verhallen.
Höf' und Säle durchwühlt's; leichtflatternde gehen und kommen;
Und mit wahren Gerüchten ersonnene wild durcheinander
Ziehn bei Tausenden um und rollen verworrene Worte.
Einige füllen davon mit Geschwätz die müßigen Ohren;
Andere tragen Erzähltes umher; und das Maß der Erdichtung
Wächst; und es fügt zum Gehörten das Seinige jeder Verkünder.
Dort ist gläubiger Wahn und dort zutappender Irrtum,
Eitele Fröhlichkeit dort, bei dumpf anstarrenden Schrecken,
Aufruhr, jählich empört, und unverbürgte Gezischel.
Aber sie selbst, wo im Himmel, ins Meer, in den Landen was Neues
Aufblickt, schaut es sogleich und durchspäht den unendlichen Weltraum."

So lyrisch wie Ovid vor mehr als 2000 Jahren hat niemand Facebook beschrieben, jenes Gebilde, in dem wir alle nur Produkte sind, was aber niemand wirklich in letzter Konsequenz verstehen will: "Ich bin mir nicht sicher, ob es jemals eine so komplette Diskrepanz zwischen dem gibt, was eine Firma von sich behauptet – verbinden, Gemeinschaften erzeugen – und der kommerziellen Realität." In Zukunft will die Firma nun "mehr Diversität" in den von weißen Männern dominierten Laden bringen, was schon einmal gut klingt. Doch Skepsis ist angebracht, ob der Garten der Wandlungen so schön gelingt wie nun die Veranstaltungen zum Bimillennium von Ovid. (jk)