Luftfahrt: Zwischen Himmel und Meer

Reisende sollen bald in Flugzeugen nur wenige Meter über dem Meer ihrem Ziel entgegenrasen. Das Konzept klingt aberwitzig, ist aber vor allem: spritsparend.

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Von
  • Joseph Scheppach

Im Hafen von Kaspijsk in Dagestan dümpelt eine Konstruktion, die auf Google Earth aussieht wie ein Flugzeug. Doch in den 1980er-Jahren raste das 73 Meter lange Monster, in tosende Wasserwolken gehüllt, im Tiefstflug kilometerweit über das Kaspische Meer. "Lun Ekranoplan", wie die Russen das Gefährt nannten, ist ein Zwitter aus Boot und Flugzeug. Solche Vehikel jagen rund zwei Meter über der Wasseroberfläche dahin, sind im Schnitt zehnmal so schnell wie ein Schiff gleicher Größe und bis zu 40 Prozent sparsamer als ein Flugzeug gleicher Geschwindigkeit.

TR 7/2017

Solche Hybride erleben eine erstaunliche Renaissance. "Ingenieurteams in aller Welt arbeiten derzeit an dieser Technologie", sagt Hanno Fischer aus Wittlich. Der 92-Jährige hat bereits in den 60er-Jahren solche sogenannten Bodeneffekt-Fahrzeuge entwickelt und ist immer noch in seiner Firma Fischer Flugmechanik aktiv. Die Technik macht sich eine physikalische Besonderheit zunutze, die jeder Pilot von der Landephase kennt: den sogenannten Bodeneffekt.

Wenn ein Flügel schnell und dicht über eine Ebene gleitet, bildet sich zwischen Tragfläche und Boden beziehungsweise Wasseroberfläche ein Kissen aus gestauter Luft. "Der Überdruck unter dem Flügel wird größer", erklärt Fischer. "Der Auftrieb nimmt zu, und die Luftwirbel an den Flügelspitzen werden kleiner." Dies führt zu einer Verringerung des Luftwiderstands um rund 50 Prozent." Der Motor muss also weniger Kraft aufwenden, um das Gerät in der Luft zu halten.

Doch die Technik – englisch Wing-in-ground (WIG) genannt – hat einen Haken: Beim Start aus dem Wasser müssen die Bodeneffekt-Fahrzeuge einen höheren Widerstand überwinden als ein konventionelles Flugzeug auf der Piste. "Der Leistungsbedarf beim Start ist zwei- bis dreimal höher als beim Flug", sagt Ingenieur Andreas Gronarz vom Europäischen Entwicklungszentrum für Binnen- und Küstenschifffahrt in Duisburg. Dafür benötigen sie starke Motoren. "Das bedeutet: Nach dem Start werden die Motoren kaum noch gefordert; sie laufen unwirtschaftlich und verbrauchen viel."

Das wurde dem 1986 in Dienst gestellten Lun Ekranoplan zum Verhängnis. Er benötigte wegen seiner enormen Größe eine immense Schubkraft und erwies sich deshalb für die zivile Anwendung als unrentabel. In den 90er-Jahren wurde er eingemottet und ist mittlerweile nur noch ein Industriedenkmal.

Doch Fischer gelang es, den Wasserwiderstand zu verringern. Das patentierte System leitet rund sieben Prozent des Propellerstrahls durch einen Luftkanal nach unten zwischen die Rümpfe. "Dieses Luftkissen trägt etwa 80 Prozent des Gesamtgewichts, sodass durch die geringere Belastung des Schwimmwerks auch der Wasserwiderstand deutlich reduziert wird", erklärt der Ingenieur. Hinzu kommen S-förmige Flügel. Durch sie wird bei einer Geschwindigkeit von rund 80 Stundenkilometern der aerodynamische Auftrieb so groß, dass der Tiefstflieger vollständig aus dem Wasser abhebt. Im Fachjargon heißt diese Fortbewegung "flaren" – fliegen und fahren zugleich.

Dass dabei von wirklichem Fliegen nicht die Rede sein kann, bringt einen weiteren Vorteil mit sich: Nach den Statuten der International Maritime Organization gelten Bodeneffekt-Fahrzeuge als Boote und unterliegen nicht den strengen Auflagen für die Luftfahrt, was Bau und Betrieb deutlich erleichtert. "So können wir zum Beispiel normalen Kunststoff verwenden statt des dreimal so teuren, den die Luftfahrtbehörde vorschreibt", sagt Fischer.

Selbst Hindernisse auf dem Wasser sind nicht mehr das Problem. Je tiefer man flart, umso weniger Sprit braucht das Fluggerät – aber desto gefährlicher werden hohe Wellen und Treibgut. Mit modernem Bodenradar, GPS und vor allem intelligenten Autopiloten lässt sich diesen Hindernissen jedoch ausweichen. Interessanter Nebeneffekt: Weil die Flugboote keine Wellenberührung haben, kann keine Seekrankheit auftreten.

"Meine Fluggeräte meistern bis zu zwei Meter hohe Wellen und können über Hindernisse springen", sagt Fischer. Mit einem seiner älteren Prototypen ist er bei einem Probeflug über den Bodensee sogar über ein Polizeiboot gehüpft. "Inzwischen ist die Technologie ausgereift und ein Markt vorhanden", bestätigt Ingenieur Gronarz, der Bodeneffekt-Fahrzeugen eine "große Zukunft" prophezeit. Mit dem Airfish 8 hat Fischer erste Modelle bereits auf dem Markt: Im Rahmen eines Joint Ventures mit der in Singapur und Australien ansässigen Firma Flightship Ground Effect verkehrt eines dieser Schnelltaxis in Malaysia, das andere in Australien. Die Mischung aus Katamaran, Luftkissenboot und Propellerflugzeug kostet eine Million Euro, hat eine Spannweite von 15 Metern und kann acht Passagiere bis zu 500 Kilometer weit transportieren. Ein 500 PS starker V8-Motor sorgt für eine Spitzengeschwindigkeit von knapp 200 Kilometern pro Stunde.

Bodeneffekt-Fahrzeuge (6 Bilder)

Der Airfish 8 ist eine Mischung aus Katamaran, Luftkissenboot und Propellerflugzeug. (Bild: Wigetworks)

In ganz andere Dimensionen stoßen zwei weitere Konstruktionen von Fischer vor, in Lizenz gebaut vom koreanischen Unternehmen Wingship Technology. Das 29 Meter lange Hoverwing 50 verkehrte bereits 2014 im Probebetrieb zwischen den Häfen von Gunsan und Jeju in Südkorea, hat aber noch immer keine Lizenz erhalten. Zwei 1400-PS-Turbopropmaschinen beschleunigen 50 Passagiere auf 180 Kilometer pro Stunde. In Montage in Bremerhaven befindet sich die kleine Schwester, das 650 PS starke Hoverwing 20. Es soll 23 Passagiere in Indonesien befördern. Wann es so weit sein wird, ist noch unklar.

Bereits 2018 will RDC Aqualines aus Nowgorod – nach einem Probelauf im vergangenen Jahr – eine Verbindung zwischen Tallinn und Helsinki aufbauen. Statt mehr als zwei Stunden soll die Überfahrt mit dem 16 Meter langen Zwölfsitzer gerade noch dreißig Minuten dauern. Anders als beim Hoverwing-Prinzip, bei dem der Propeller ein stetes Luftkissen erzeugt, hilft hier eine ausfahrbare Kufe beim Start. Sie hebt den Rumpf wie bei einem Tragflächenboot aus dem Wasser, bis sich ein tragfähiges Luftpolster gebildet hat. Dann wird sie wieder eingefahren. Laut Fischer sei das Verfahren zwar schneller, aber nicht unbedingt wirtschaftlicher. Auf Anfragen zu näheren Details reagierte das Unternehmen nicht.

Vor allem militärische Anwendungen hat Professor Xu Zhengyu von der Tongji University in Shanghai im Sinn. Er entwickelt einen Tiefstflieger, der bis zu vier Tonnen Ladung mit 300 Kilometern pro Stunde transportieren soll. Künftig hofft er auf Flugboote, die gar 200 bis 400 Tonnen laden können. So kehrt die Bodenfliegerei zu ihren Ursprüngen zurück: dem militärischen Gigantismus. (bsc)