"Erste Gentherapie" für die USA

Die US-Gesundheitsbehörde FDA hat eine Therapie zugelassen, die das Immunsystem von Patienten dazu bringt, Krebszellen anzugreifen. Damit könnte ein neues Zeitalter der medizinischen Innovation beginnen.

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Von
  • Emily Mullin
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Mit der Zulassung einer revolutionären Krebstherapie, die auf genetisch veränderten Immunzellen basiert, hat die US-Arzneimittelbehörde FDA ein neues Zeitalter im Kampf gegen Krebs eingeläutet.

Laut der FDA ist die Therapie, unter dem Namen Kymriah vermarktet von Novartis, die "erste Gen-Therapie", die in den USA verfügbar ist. Ihr Ziel ist eine häufig tödliche Art von Blut- und Knochenmarkkrebs bei Kindern und jungen Erwachsenen. In Studien hat der als CAR-T bezeichnete Ansatz bemerkenswerte Ergebnisse gebracht. Die Einmal-Behandlung wird 475.000 Dollar kosten, wobei Novartis auf die Bezahlung verzichten will, wenn ein Patient nicht innerhalb eines Monats auf die Therapie reagiert.

"Mit der Fähigkeit, eigene Zellen von Patienten so umzuprogrammieren, dass sie einen tödlichen Krebs attackieren, betreten wir neues Terrain in der medizinischen Innovation", sagte FDA-Kommissar Scott Gottlieb in einer Stellungnahme.

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Für die Therapie werden eigene T-Immunzellen des jeweiligen Patienten verwendet. Die Zellen werden entnommen und dann tiefgefroren in das Produktionszentrum von Novartis in New Jersey gebracht. Dort wird ihnen ein neues Gen eingesetzt, das für ein als chimärer Antigenrezeptor (chimeric antigen receptor – CAR) bezeichnetes Protein codiert. Dieses Protein bringt die T-Zellen dazu, Leukämiezellen mit einem bestimmten Antigen auf ihrer Oberfläche anzugreifen. Zuletzt bekommt der Patient die veränderten Zellen wieder injiziert.

In einer klinischen Studie mit 63 Kindern und jungen Erwachsenen mit akuter lymphoblastischer Leukämie war der Krebs bei 83 Prozent der Patienten innerhalb von drei Wochen nach der CAR-T-Therapie in Remission. Nach sechs Monaten lebten 89 Prozent der behandelten Patienten noch und nach zwölf Monaten 79 Prozent.

Bei jährlich geschätzt 3.100 Patienten im Alter von unter 20 Jahren wird in den USA akute lymphoblastische Leukämie diagnostiziert, was sie laut dem National Cancer Institute zur häufigsten Krebsart bei Kindern macht. Behandeln lässt sie sich derzeit mit Chemotherapie oder Stammzellen, aber jährlich erleiden rund 600 junge Patienten einen Rückfall, und viele bleiben unheilbar.

David Mitchell, Gründer einer Gruppe namens Patients for Affordable Drugs, bezeichnet den Preis von 475.000 Dollar für Kymriah als "exzessiv". Nach seiner Darstellung hat die US-Regierung 200 Millionen Dollar für frühe Forschung an der CAR-T-Therapie ausgegeben, bevor Novartis die Rechte daran kaufte. Vor kurzem hat sich die Gruppe mit Novartis getroffen, um für einen "fairen" Preis für die Therapie zu werben. Der Preis war zuvor auf 600.000 bis 725.000 Dollar geschätzt worden.

Die historische Zulassung ist ein gutes Zeichen für Konkurrenten wie Kite Pharma und Juno Therapeutics, die ebenfalls an CAR-T-Therapien arbeiten. Kite Pharma wartet derzeit auf die FDA-Freigabe für eine Therapie gegen eine Blutkrebsart bei Erwachsenen und wurde Ende August für 11,9 Milliarden Dollar von Gilead übernommen.

Die Novartis-Therapie hat in Studien zwar herausragende Ergebnisse gebracht, doch es stellt sich die Frage, wie das Unternehmen in schnell genug personalisierte Therapien produzieren und an Patienten im ganzen Land verteilen kann. Laut Novartis vergehen von der Entnahme der T-Zellen beim Patienten bis zu ihrer erneuten Injektion im Durchschnitt 22 Tage. Innerhalb eines Monats solle Kymriah zunächst in 20 US-Krankenhäusern verfügbar sein, 12 weitere sollen später hinzukommen.

Bekannt ist, dass CAR-T-Therapien bei manchen Patienten potenziell tödliche Nebenwirkungen wie neurologische Probleme und eine Reaktion namens Zytokinfreisetzungssyndrom haben können. Anfang dieses Jahres hat Juno Therapeutics eine CAR-T-Studie beendet, nachdem Patienten durch Hirnödeme gestorben waren. Nach Angaben von Novartis sind bislang keine mit seiner CAR-T-Therapie behandelten Patienten durch diese Komplikation gestorben.

Die FDA definiert Gentherapie als Medizin, die zur Behandlung einer Krankheit "genetisches Material in die DNA einer Person einbringt, um fehlerhaftes oder fehlendes genetisches Material zu ersetzen". In den USA ist die Novartis-Therapie die erste verfügbare Therapie dieser Art. In Europa sind bereits zwei Gentherapien für seltene Erbkrankheiten zugelassen.

(sma)