Predictive Policing: "Falsches" Facebook-Posting führt in Israel oft zu Haft

Palästinensische Aktivisten haben rund 800 Fälle dokumentiert, in denen junge Leute in Israel wegen Facebook-Äußerungen festgenommen wurden. Auf der Konferenz von Netzpolitik.org ertönte der Ruf nach einer "Gemeinwohlförderung" von Algorithmen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 245 Kommentare lesen
Predictive Policing: "Falsches" Facebook-Posting führt in Israel oft zu Haft
Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Marwa Fatafta vom Arab Center for Social Media Advancement 7amleh hat am Freitag auf der vierten Konferenz von Netzpolitik.org in Berlin ein düsteres Bild von "Predictive Policing" in Israel gezeichnet. Seit Oktober 2015 habe die palästinensische Organisation rund 800 Fälle dokumentiert, in denen junge Leute wegen Facebook-Postings verhaftet worden seien, erklärte die Aktivistin. Die Betroffenen verschwänden oft einfach einige Monate im Gefängnis, ohne dass ihnen ein ordentlicher Prozess gemacht werde.

Der Vorwurf gehe in Richtung Anstiftung zu Gewalt oder Terroranschlägen, erläuterte Fatafta. Beweise dafür würden oft als Staatsgeheimnis ausgegeben, allein Bildschirmfotos angeblich belastender Äußerungen in sozialen Medien vorgelegt. Rassistische oder provokative Kommentare von Israelis gegen Araber würden dagegen kaum geahndet und nicht in vergleichbarem Ausmaß gelöscht.

Marwa Fatafta vom Arab Center for Social Media Advancement 7amleh

Laut der Beobachterin steckt dahinter eine spezielle Software zur "vorausschauenden Polizeiarbeit" der israelischen Ermittler, die mit militärischen Geheimdienstinformationen gefüttert werde. Damit würden Profile potenzieller Angreifer zusammengestellt anhand gewisser Datenpunkte wie Alter, Ort und psychologische Faktoren, eine Suche nach Schlüsselworten wie "Jerusalem" oder "al-Aqsa" komme dazu. Offenbar gebe es auch eine spezielle Vereinbarung mit Facebook, einschlägige Äußerungen besonders intensiv zu überwachen, auch wenn der kalifornische Konzern diese Vermutung zurückgewiesen habe.

Was öffentlich als Mittel zur Terrorabwehr verkauft werde und etwa schon das Interesse europäischer Anti-Terror-Koordinatoren geweckt habe, steht für die auch für Transparency International arbeitende Palästinenserin auf äußerst tönernen Füßen. Statistische Erfolgsnachweise für proaktive Verhaftungen gebe es nicht. In der Praxis werde es zudem etwa schon als Hinweis auf einen möglichen Vergeltungsakt ausgelegt, wenn ein Palästinenser ein Foto von einem toten Verwandten poste. Eine Autorin sei wegen eines harmlosen Gedichts unter Hausarrest gestellt worden, eine 14-Jährige aus Ost-Jerusalem ins Visier der israelischen Polizei geraten, weil sie eine Bitte um Vergebung über Facebook verbreitet habe.

Besonders gefährliche Grundrechtseingriffe ergeben sich der Aktivistin zufolge aus der in Israel einzigartigen Kombination aus mächtigen technischen Systemen und Überwachungstechnologien mit der staatlichen Befugnis, Leute vom Fleck weg verhaften zu dürfen. Palästinenser gälten dabei nach offizieller Lesart als von vornherein verdächtig.