Sicherheitsindustrieller Komplex: Bürgerrechtler warnen vor "militarisiertem Panopticon" in der EU

Beobachter von Statewatch haben Hunderte von der EU finanzierte Forschungsprojekte untersucht. Für sie ergibt sich daraus der Versuch, ein ausgefeiltes, schier universell einsetzbares "Hightech-Überwachungssystem" zu entwickeln.

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Sicherheitsindustrieller Komplex: Bürgerrechtler warnen vor "militarisiertem Panopticon" in der EU
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Der sicherheitspolitische Komplex in der EU zwischen Rüstungsfirmen, Herstellern von Überwachungssystemen, industrienahen Forschungseinrichtungen und der öffentliche Hand gewinnt an Bedeutung. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher der britischen Bürgerrechtsorganisation Statewatch in ihrem jetzt veröffentlichten Bericht über die Marktkräfte, die den privat-staatlichen Verbund fördern. Während in der EU in den vergangenen Jahren aufgrund der Finanzkrise in vielen Jahren gespart worden sei, heißt es in der Studie, erfreue sich Europas Sicherheitspolitik nicht nur der andauernden Unterstützung der Mitgliedsstaaten, sondern profitiere auch von "wachsenden Etats und Ressourcen".

Die Statewatch-Analysten haben gemeinsam mit dem "Transnational Institute" für den Bericht Hunderte EU-finanzierte Forschungsprogramme untersucht. Für sie manifestiert sich darin der Versuch, einen "integrierten, EU-weit interoperablen Hightech-Überwachungsapparat" zu entwickeln. Dieser solle die Antwort auf eine Vielzahl von Bedrohungen darstellen, obwohl diese eigentlich an der Wurzel bekämpft werden müssten. Die Projektpalette reiche dabei von Drohnen etwa für die Grenzsicherung und biometrischen Identifizierungssystemen über die automatische Erkennung und Analyse "Terror-bezogener Inhalte" im Internet bis zu ganz neuartigen, verdeckt agierenden Überwachungsgeräten.

Das EU-Programm zur Sicherheitsforschung verwische dabei die Grenze zwischen zivilen und militärischen Technologien, schreiben die Autoren. Dabei mache das Rahmenprogramm Horizont 2020 eigentlich die Vorgabe, dass der Fokus ausdrücklich und allein auf zivile Anwendungen gelegt werden dürfe.

Einige der Langzeitziele, die in den geförderten Projekten sowie in allgemeinen Richtlinien und Sicherheitsgesetzen zutage träten, sei die Förderung transnationaler Netzwerke zur Strafverfolgung, die Anlage europaweiter Datenbanken und der verstärkte Austausch personenbezogener Informationen, zunehmende Investitionen etwa in die Videoüberwachung, Predictive Policing sowie die "Militarisierung der EU-Grenzen" und der technische Katastrophenschutz. Insgesamt entstehe so ein "militarisiertes Panopticon", dem sich die Bürger kaum mehr entziehen könnten.

Beispielhaft führen die Verfasser das EU-Programm "Sichere Gesellschaften" an, das allein mit 1,7 Milliarden Euro unterfüttert sei. Darüber habe sich seit 2007 eine Industrie für die innere Sicherheit gebildet mit dem Vorsatz, Europa in eine Art technisch geschützte Festung zu verwandeln. Terrorismus solle damit genauso bekämpft werden wie organisierte Kriminalität oder "irreguläre Migration".

Die größten Nutznießer der bisher geflossenen Mittel sind laut dem Bericht Konzerne wie Thales, Selex, Airbus, Atos oder Indra, die zwischen 33 und 12 Millionen Euro erhalten hätten. Forschungseinrichtungen wie das Fraunhofer-Institut, TNO oder das österreichische Institute of Technology seien auf Fördermittel zwischen 65,7 und 16 Millionen Euro gekommen. Parallel seien viele dieser Organisationen in Berater- und Lobbyforen wie der European Organisation for Security (EOS) aktiv und formten darüber wiederum die Ausrichtung von Forschungsvorgaben.

Ein weiteres besonderes Augenmerk haben die Analysten auf den 3,8 Milliarden Euro schweren Fonds für innere Sicherheit der EU gelegt, über den die Mitgliedsstaaten Finanzmittel für neue Überwachungsinstrumente von IMSI-Catchern bis hin zu Staatstrojanern erhalten könnten. Es sei vorgesehen, dass dieser künftig für Technologien bezahlen werde, die durch die Sicherheitsforschungsprogramme entwickelt würden. So könnte ein geschlossener Kreislauf für Angebot und Nachfrage zwischen Firmen und Behörden entstehen.

Insgesamt habe die EU in der Forschungsperiode zwischen 2014 und 2020 die Mittel für Sicherheitswerkzeuge und -technologien von vier auf fast acht Milliarden Euro gegenüber den vorherigen acht Jahren fast verdoppelt. Es sei daher überfällig, den Einsatz dieser Gelder und ihre Wirkungen ernsthaft zu überprüfen und die Marktkräfte in Richtung Überwachung mit der nächsten Runde nicht einfach weiter anzufeuern. Es bestehe schließlich das Risiko, dass Tendenzen gegen den freiheitlichen Rechtsstaat in einigen EU-Ländern weiter zunähmen und der Schutz der Menschenrechte im Namen der Terrorismusbekämpfung und der "Sicherheit" ausgehebelt werden könnte.

Der Statewatch-Forscher Chris Jones warnt so vor einer "ungesunden Beziehung zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor", in der aufgrund aufgeblasener Gefahren und dem Profitstreben von Unternehmen die Demokratie auf der Strecke bleibe. Nick Buxton vom Transnational Institute ergänzte, dass Vertrauen und Einigkeit in Europa nicht auf einer Sicht heraus aufgebaut werden könnten, in der immer mehr Menschen als Verdächtige behandelt würden. Echte Sicherheit basiere nicht auf "Big-Brother-Technologien", sondern auf Investitionen in Arbeitsplätze, gute Lebensbedingungen und Umweltschutz. Die Bürgerrechtler hatten schon in vergangenen Jahren beschrieben, wie die EU den sicherheitsindustriellen Komplex nährt und den .

(jk)