Massenbewegung

Chinas Umwelt- und Verkehrsprobleme zwingen das Land, die Mobilität neu zu erfinden. Trotz spektakulärer Pleiten und Betrugsfälle – seine Lösungen werden auch hierzulande den Weg weisen.

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Von
  • Michael Radunski

Dieser Text-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft ist ab 14.9.2017 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Die Aufregung war groß, als auf der Internationalen Hightechmesse in Peking die angebliche Lösung für die Verkehrsprobleme der Zukunft vorgestellt wurde: der Transit Elevated Bus, kurz TEB. Die Idee dahinter ist verlockend einfach: Während auf den Straßen Tausende Autos im Stau feststecken, gleitet der riesige Bus wie auf Stelzen darüber hinweg und bringt bis zu 1400 Passagiere bei jeder Verkehrslage pünktlich ans Ziel. Damit nicht genug: Durch seinen elektrischen Antrieb werde er zudem helfen, Chinas riesiges Smogproblem zu lösen. Der chinesische Ingenieur Song Youzhou und der Geschäftsmann Bai Zhiming zogen im Mai 2016 mit ihrem Projekt nicht nur die Messebesucher in ihren Bann. Medien in aller Welt griffen die Geschichte auf, schien sie doch ein spektakulärer Beweis dafür zu sein, wie unkonventionell und wagemutig das riesige Reich tickt.

Schon 2010 hatte Song Youzhou seine Idee veröffentlicht, konnte damals jedoch nicht genügend Geldgeber überzeugen. Nun griff ihm Bai Zhiming mit seiner Firma Huaying Kailai Asset Management unter die Arme. Während in einer großen Zeremonie der Prototyp des TEB präsentiert wurde, trieb er in Verhandlungen die Einstiegskosten in die Höhe: Mindestens eine Million Yuan (rund 130000 Euro) mussten interessierte Investoren berappen, um Teil der TEB-Zukunft zu werden. Innerhalb weniger Monate sammelte er 4,9 Milliarden Yuan (rund 630 Millionen Euro) ein. Auch der deutsche Verkehrsexperte Ferdinand Dudenhöffer war angetan und bezeichnete in einem Interview mit den Fernsehsender N24 das Konzept als „ideale Lösung auch für deutsche Ballungszentren wie das Ruhrgebiet, München oder Berlin“. Dudenhöffer empfahl, „so schnell wie möglich auch hier damit anzufangen“.

14 Monate später war klar: Der TEB ist ein Bluff gewesen. Bai Zhiming und seine 31 Mitarbeiter sitzen inzwischen wegen Betrugsverdacht im Gefängnis. Der TEB-Prototyp rostet auf einem ruhigen Parkplatz in der Stadt Qinhuangdao vor sich hin, und die eigens aufgebaute Teststrecke ist abgerissen. Chinesischen Medien zufolge war der Bus lediglich das Vehikel für einen umfassenden Anlagebetrug.

Wer sich ein wenig mit der Idee beschäftigt hat, dürfte davon nicht allzu überrascht gewesen sein. Schon einmal war das Konzept gescheitert: 1969 gab es in den USA einen ähnlichen Entwurf für die Verbindung von Boston nach Washington. Der sogenannte Landliner wurde nie gebaut. Inzwischen ist die Technik natürlich weiterentwickelt, aber sie war ohnehin nie das eigentliche Problem des TEB. Er scheitert an viel einfacheren Fragen: Der Bus kann zwar problemlos über Autos hinwegfahren, aber was, wenn ein großer Lkw vor ihm im Stau steht? Wären Spurwechsel für die Autos unter dem Bus nicht viel zu gefährlich? Und wie sollte der Bau von Schienen und Stationen in den verworrenen Straßengeflechten Chinas realisiert werden? Schon früh wiesen Experten auf diese Hindernisse hin. Aber der Traum, reich zu werden und dabei auch noch die verhassten Staus und den Dreck in der Luft zu beseitigen, war stärker.

Es sollte nicht die einzige fragwürdige Pleite bleiben. Kurz danach geriet Faraday Future in Schwierigkeiten, ein amerikanisches Start-up mit Sitz in Los Angeles. Der große Geldgeber dahinter ist Jia Yueting, Vorsitzender des chinesischen Elektronikkonzerns LeEco. Faraday Future wählte für seinen großen Auftritt im Januar 2017 keine Automobilmesse, sondern die Consumer Electronics Show in Las Vegas. Bewusst suchte man die Nähe zur Elektronik- und Internetbranche, schließlich präsentierte man an jenem Tag nichts Geringeres als eine „neue Spezies“ des Autos: den FF 91 – ein Elektroauto der Superlative. Es sollte den Direktangriff auf den großen Konkurrenten Tesla einläuten. Dank 1050 PS kommt der FF 91 in weniger als 2,39 Sekunden von 0 auf 100 – „schneller als die Erdbeschleunigung“. Teslas Konkurrenzmodell S P100D braucht im Vergleich dazu die Ewigkeit von 2,5 Sekunden. Eine Lithium-Ionen-Batterie mit 130 Kilowattstunden verschafft dem FF 91 eine Reichweite von 600 Kilometern. Da schien vielen der Preis von umgerechnet 290000 Dollar wohl völlig gerechtfertigt. 36 Stunden nach der Vorstellung habe man bereits 64124 Vorbestellungen erhalten, für die die Interessenten jeweils 5000 Dollar berappen mussten. 2018 sollte der FF 91 auf den Markt kommen.

Doch inzwischen ist nicht nur dieses Datum unsicher. Branchenkenner fragen sich, ob das Unternehmen dann überhaupt noch existieren wird.

(rot)