Ein Hoch auf Ordner und Dateien

Die Möglichkeit, Dateien öffnen und speichern zu können, erscheinen immer mehr Entwicklern als ein nerdiges Relikt der Neunziger. Ein Irrweg auf Kosten der Kunden.

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Ich besitze seit Kurzem eine 360-Grad-Kamera von Ricoh. Tolles Gerät eigentlich, aber die Software ist eine Katastrophe. Es gibt eine App zur Geräte-Bedienung, eine zur Bildbearbeitung, ein Anzeige-Programm für den PC, eine eigene Online-Plattform sowie die Möglichkeit, die Bilder auf Twitter und Facebook zu teilen. Um irgendwas Vernünftiges mit den Kugelpanoramen anzustellen, muss ich also mit sechs verschiedenen Instanzen herumhantieren, wobei jede genau die Dinge gerade nicht kann, die ich eigentlich erwarte. Was beispielsweise ist wohl das geeignetere Gerät zum Nachbearbeiten – ein PC oder ein Smartphone? Und was geht mit der PC-Anwendung genau gar nicht? Erraten.

Je tiefer ich in diesen Datenverhau einsteige, desto fassungsloser werde ich. Und desto deutlicher zeichnet sich für mich eine Ursache für das ganze Elend ab: Es ist – neben einer eklatanten Lieb- und Gedankenlosigkeit – die fehlende Anbindung an ein Datei-System.

Dabei produziert die Theta keinerlei proprietäre Dateiformate. Es handelt sich um ganz normale, zusammengefügte JPGs ihrer beiden Fischaugen-Objektive, plus ein paar Metadaten. Doch ich kann sie nur zwischen den ganzen Ricoh-Anwendungen hin- und herschubsen, nicht als Dateien öffnen oder etwa von der Festplatte auf die Online-Plattform hochladen. Und mangels Dateisystem muss ich immer rätseln, was genau mit den Panoramen geschieht: Wo etwa landen die bearbeiteten Bilder? Werden neue Dateien angelegt oder die alten überschrieben? Man erfährt es nicht.

Natürlich lassen sich die erzeugten Kugelpanoramen auch per Dateimanager auf andere Plattformen wie Google Street View hochladen, doch das ist keine Lösung. Dort lassen sie sich zwar kippen und schwenken, aber es gibt meines Wissens keine unabhängige Plattform, die auch eine sogenannte Möbius-Transformation bietet. (Sollte ich eine Plattform übersehen haben, die so etwas kann, freue ich mich über entsprechende Hinweise.)

Bei der Möbius-Transformation werden die Kugelpanoramen beim Zoomen beispielsweise zu "kleinen Planeten" mit umlaufendem Himmel oder zu einem Himmel mit umlaufendem Horizont. Erst durch so etwas macht die Rundumfotografie richtig Spaß, das möchte ich nicht missen. Doch Ricoh verlangt dafür ein Login über Facebook oder Twitter (die erste Frechheit), will meine Twitter-Timeline lesen (zweite Frechheit) und blendet das eigene Logo in meine Bilder ein (dritte Frechheit).

Was sich Ricoh dabei gedacht hat, ist offensichtlich: Der Nutzer bleibt immer schön im eigenen Ökosystem gefangen, Drittsoftware lässt sich nur umständlich dazwischenquetschen. Auf solchen Irrwegen ist Ricoh nicht allein. Dateien und Ordner erscheinen immer mehr Entwicklern – allen voran natürlich Apple – offenbar irgendwie suspekt, als ein nerdiges Relikt der Neunziger. Was ist bitteschön verkehrt an Dateisystemen? Sie sind intuitiv und einfach, sie erlauben die Trennung von Inhalten und Anwendungen, und machen Daten dadurch erst transportabel. Hört bitte auf zu glauben, Kunden ließen sich am besten dadurch binden, dass man ihnen massivstmöglich auf die Nerven geht. (grh)