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Was war. Was wird. Von Überwachungstätern und ihren Gegnern.

Überwacher werden überall gebraucht, auch im Verschlüsselungsstandort D, stellt Hal Faber fest. Und er freut sich umso mehr über die Antwort Edward Snowdens auf die schmierigen Aussagen hiesiger Verfassungsschützer.

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Was war. Was wird. von Überwachungstätern und ihren Gegnern.

(Bild: dpa, Carsten Rehder)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

***Ach ja, dieser Kapitalismus ist schon doof. Vor 150 Jahren von Karl Marx so getauft, entfaltet er sich immer noch bis zum großen Kladderadatsch. Dabei ist das Feuerwerk, das Marx aus dem Unterschied von Gebrauchs- und Tauschwert schlägt, derzeit nur eine kleine Funkenschlagerei. Schließlich lebt in unserer Zeit kein Marx, nur ein Morozov und bei dem kladderdatscht es anders, wenn er gut geschützt hinter einem Zahlungswällchen in der Süddeutschen Zeitung über den "Hausmeister des Kapitalismus" schreibt: "Auch wenn die Menge an Daten unendlich erscheint, so gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass die enormen Profite, die aus ihnen geschlagen werden, über die vielen Widersprüche des gegenwärtigen Wirtschaftssystem hinwegtäuschen könnten. Die selbsternannten Hausmeister des weltweiten Kapitalismus, das Silicon Valley, wird sich schon bald als dessen Totengräber erweisen." Das ist schon praktisch, wenn der Hausmeister auch noch Leichenbestatter ist und das funkelnde Spiel von von Gebrauchs- und Tauschwert am Ende ist. Gezahlt wird dann am jüngsten Tag in Jesuscoins.

***Bald ist der Wahlkampf am Ende und all die dümmlichen Plakate können abgeräumt werden. Dann ist Platz für Losungen, die für echte Politik stehen. Denn schon der Kampf im Wahlkampf anno 2017 ist falsch, von echter Wahl will ich erst gar nicht anfangen. Der Wahlschlaf der Erschöpften trifft es besser, vom Kampf kann man nur etwas bei den Masters of Germany sehen. Früher war bekanntlich alles besser, als Promis wie Heino mit der Klampfe in der schwieligen Hand antraten und Wahlkampf für Willy Brandt machten. Heute wirbt der erschöpfte Barde für Mutti, seine Stimme reicht nicht mehr für Vernunft. Vorbei ist bald nicht nur der Wahlkampf, sondern auch die seltsamen Artikel von Journalisten, die mit den Herumschreiern und Brüllern von der AfD reden wollen, dieser rechtsextremen Partei. Mit einer Vorsitzenden, die von den Marionetten der Siegermächte spricht und einem Vorsitzenden, der die Leistungen deutscher Soldaten bewundert, bekommt der nächste deutsche Bundestag einen braunen Haufen furchtbar Dünnhäutiger. Dagegen hilft der Satz eines migrantischen Schülers aus Hannover: "Was wollt ihr? Eure Großväter haben das Land in die Scheiße geritten – und unsere Väter und Großväter haben es wieder aufgebaut."

***Eine Prognose: Wenn die AfD und die FDP es in den Bundestag schaffen, wird das neue große Cyber- Abwehrzentrum Plus, die Zusammenschaltung vom Bundeswehr-Kommando CIR und den polizeilichen und nachrichtendienstlichen Informationskanälen im Zeichen des Kampfes gegen den Terror mit den Stimmen der AfD gebilligt werden. Sicherheit ist ja so ein hohes Gut, das kann nur verbessert werden mit mehr Sicherheit und Überwachung. In München wurde mit markigen Aussagen die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich eröffnet. Sie soll Expertise in allen technischen Fragestellungen mit Cyberbezug bündeln und Software für die Quellen-TKÜ oder die Online-Durchsuchung von Computern, Tablets oder Smartphones entwickeln, ohne dass der Verschlüsselungs-Standort Deutschland kompromittiert wird. Das eröffnet spannende Fragen auch nach dem Ankauf von Zero-Days.

Interessant auch, wie der Wunsch der amtierenden deutschen Datenschutzbeauftragten nach Einsicht in die Arbeit der Behörde mit dem Hinweis auf den Charakter einer "Forschungsstelle" abgebürstet wird. So werden auch Nachfragen abgebürstet, woher die Mitarbeiter kommen sollen, die sich ab sofort um die Telekommunikationsüberwachung kümmern sollen. München ist ja ein dankbares Feld, hier gibt es Firmen, die die IMSI-Catcher bauen oder Überwachungssoftware produzieren. Beste deutsche Ingenieurstradition sozusagen. Interessant ist aber auch, wie ungeniert man schon zum Start von ZITIS mit der Bundeswehr paktiert, auf deren Gelände das ZITIS-Gebäude errichtet werden soll. 15 Professoren für Cyber-Sicherheit sollen zusammen mit 67 Mitarbeitern und 200 Drittmittel-Zuträgern jeweils 70 Cyberkrieger pro Studiumsdurchlauf produzieren. Wer dann nicht im Tarnfleck Hackback-Gefechte austragen will, geht dann eben zu ZITIS. Überwacher werden überall gebraucht.

***Wer sich gegen die Überwachungspraxis stellt, hat es bekanntermaßen schwer. Edward Snowden ist da das bekannteste Beispiel. Längst sind die Snowden-Files Material, aus dem Künstler Anregungen für ihre Kunst beziehen. Während sein "Werk" abgeschlossen ist und über seine Nachfolger spekuliert wird, bleibt Snowden nicht stumm. In dem bisher längsten Interview, das Edward Snowden nach eigener Aussage mit Journalisten geführt hat, leistet er Bemerkenswertes: Er beschreibt sich als Produkt des Überwachungssystems, das sich eben deshalb nur für die einzige Möglichkeit des Whistleblowings entschieden hat, die ihm als "Produkt" noch handhabbar erschien. Eine Einschätzung, die er gegen alle naseweisen Einwände hochhält, er sei nicht revolutionär oder radikal genug gewesen. Auch die Art und Weise, wie seine Gegner mit ihm umgehen, sieht er reflektiert, sogar die schmierigen Worte des Verfassungsschützers wie Hans-Georg Maaßen: "He doesn't even have the moral fiber to say, 'I think this person is a spy.' Instead, he says, 'Whether Mr. Snowden is a Russian agent or not cannot be proven.'You can literally say this about anyone. I thought, and I would hope, that in an open society, we had moved beyond the days when these secret police agencies were basically denouncing their critics. I'm not even mad about it. I'm just disappointed."

***Im Interview applaudiert Edward Snowden dem Ex-Präsidenten Barack Obama für dessen Entscheidung in Sachen Chelsea Manning. Manning ist frei und führt auf ihre Weise das fort, wofür Manning und Snowden stehen, gegen die Herrschaft der Angst und die zunehmende Überwachung. Ihr Artikel über Predictive Policing erschien diese Woche in der New York Times, zu einem Zeitpunkt als Manning noch an der Kennedy School der Universität Harvard sprechen sollte. Dass sie auf Druck der CIA nun nicht mehr als Gastdozentin auftreten darf, sondern nur noch als Rednerin kommen kann, findet die New York Times beschämend. Das wird indessen einen Mike Pompeo kaum stören, der seinen Protest gegen Manning auch dazu nutzte, auch Wikileaks anzugreifen. Natürlich kritisierte auch Edward Snowden die Entscheidung der Universität: David Petraeus war Harvard genehm.

***In Berlin wird bekanntlich am Bahnhof Südkreuz die Gesichtserkennung ausprobiert. Was der Spaß einer videoüberwachten Hauptstadt kostet, in der die Gesichtserkennungssoftware im Datenberg der zusammengekoppelten Kameras nach Terroristen fahnden soll, ist jetzt von der amtlichen Kostenschätzung bestätigt worden: Schlappe 80 Millionen Euro sollen die Stadt sicherer machen. Ist ja ein Klacks gegenüber den 750 Millionen, die 2017 in die Sanierung von Schulen fließt. Die Befürworter, die nun Stimmen für den Volksentscheid sammeln, verweisen auf London, was nicht überzeugend ist: Niemand anderes als die frühere Innenministerin und jetzige Regierungschefin nutzte das neueste Bomben-Attentat, um eine bessere Regulierung des Internets und mehr Machtbefugnisse zu fordern.

***Doch was taugt die Gesichtserkennung, wenn sie abseits des idiotischen Rummels um das iPhone X zum Einsatz kommt? In Darmstadt beschäftigt sich die BIOSIG 2017 mit den neuesten Forschungsergebnissen. Ein Blick in das Programm zeigt, dass die Biometrie inzwischen so weit ist, auch Neugeborene zuverlässig zu erfassen. All diese Ideen vom Einpflanzen eines Chips in die Fontanelle gleich nach der Geburt sind überflüssig geworden. (axk)