Zentralisierung statt Demokratisierung: Neue Hierarchien durch die Blockchain

Der Ruf der Blockchain als technische Graswurzelbewegung bröckelt. Tatsächlich könnte sie vor allem großen Firmen und Organisationen nutzen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 78 Kommentare lesen
Neue Hierarchien durch die Blockchain
Lesezeit: 2 Min.

Ursprünglich sollte die Blockchain ein Geldsystem ohne Einfluss von Staaten, Banken, Konzernen, zentralen Institutionen oder Mittelsmännern schaffen. Doch je weiter sich Blockchains verbreiten, desto weniger bleibt von dieser Vision übrig, wie das Magazin Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 10/2017 berichtet (jetzt am Kiosk oder hier zu bestellen).

Beim Bitcoin etwa wird das Netzwerk von wenigen großen Mining-Pools kontrolliert. Dezentral oder gar zugänglich für jedermann ist der Mining-Prozess schon lange nicht mehr. Dennoch hält sich die Vorstellung weiter, die Technik könne eine egalitäre, demokratischere Gesellschaft befördern – zu Unrecht, wie einige Forscher meinen.

Der Informatiker und Buchautor David Golumbia findet vor allem die regierungsfeindliche Haltung vieler Blockchain-Anhänger problematisch. Diese Denke sei tief in der neoliberalen politischen Rechten verankert, die den Einfluss des Staates aus allen Lebensbereichen herausdrängen wolle. "Mir ist schleierhaft", sagt Golumbia, "warum jemand, dem Demokratie am Herzen liegt, es erstrebenswert findet, politische Autorität zu eliminieren".

Das Bitcoin-System zeige, sekundiert die Harvard-Politologin Primavera de Filippi, "eine hochtechnokratische Machtstruktur". Eine Minderheit von Experten habe enorme Befugnisse, ohne dabei für ihre Entscheidungen Rechenschaft ablegen zu müssen.

Ähnlich sieht das Marcella Atzori vom Center of Blockchain Studies des University College of London. Sie fürchtet die Entstehung "neuer Oligarchien und einer starken Polarisierung in der Gesellschaft": Eine kleine Elite technisch versierter Personen stünde einer großen Mehrheit von Blockchain-Analphabeten gegenüber. Diese würden dann zu "passiven Empfängern von Dienstleistungen" degradiert und hätten keine Mitsprachemöglichkeit.

"Wer immer diese Plattformen besitzt und kontrolliert, wird eine große Macht über die Zivilgesellschaft haben", schreibt Atzori in einer Studie. Den Ausweg sieht sie in einer Art demokratischer Kontrolle der Technik, wie sie derzeit schon in den "Permissioned Blockchains" erprobt wird. Im Unterschied zu offenen Ketten wie Bitcoin und Ethereum darf sich hier nicht jeder einklinken. Nur wer eine Einladung für den geschlossenen Club hat, darf sehen, was im Netzwerk vor sich geht, und selbst Transaktionen abwickeln.

Das ist eine bittere Pille für manche Blockchain-Enthusiasten und eine große Ironie: dass Blockchains vielleicht am besten der Zusammenarbeit zwischen großen Firmen und Organisationen dienen könnten. Institutionen also, die die Pioniere der Technik einst beseitigen wollten. (grh)