Kino-Bilder aus dem Körper

Moderne Bildgebungsverfahren erlauben tiefe Einblicke ins Innere des menschlichen Körpers. Ein aus der Animationsfilm-Produktion entlehntes Verfahren macht sie jetzt auch für Nicht-Spezialisten zugänglich – und noch leistungsfähiger.

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Von
  • Sascha Mattke
Inhaltsverzeichnis

Wenn Radiologen Aufnahmen aus einem CT- oder MRT-Gerät studieren, sehen sie Dinge, die anderen Menschen – ihren Patienten etwa und selbst Mediziner-Kollegen anderer Fachrichtungen – verborgen bleiben. Denn die Bilder sind dank ständiger Fortschritte in der Bildgebung inzwischen zwar gestochen scharf, aber nicht fotorealistisch. Ohne viel Erfahrung ist es deshalb kaum möglich, sie richtig zu deuten, und selbst den Experten können feine Details noch entgehen.

Deutscher Zukunftspreis 2017

In der Folge stellen wir die drei nominierten Teams für den Deutschen Zukunftspreis 2017 mit ihren Projekten vor. Der Gewinner wird am 29. November bekannt gegeben.

Klaus Dieter Engel und Robert Schneider von Siemens Healthcare und Professor Franz Fellner vom Kepler Universitätsklinikum in Linz wollen das ändern: Sie haben Algorithmen entwickelt, die aus den Daten verschiedenen Bildgebungstechniken nicht nur fotorealistische, sondern sogar "hyperrealistische" farbige 3D-Darstellungen produzieren. Die Bilder lassen sich drehen, vergrößern und verkleinern, Details hervorheben – und für all das genügt ein gewöhnlicher Praxis-Computer oder sogar ein Tablet. Für diese Leistung wurden die drei Forscher als eines von drei Teams für den Deutschen Zukunftspreis 2017 nominiert, der im November vergeben wird.

Die Darstellung der von Computer- oder Magnetresonanztomografen erzeugten zweidimensionalen Schnittbilder in dreidimensionaler Form an sich ist nicht neu. Schon in den 1990er Jahren kam ein erster Spezialcomputer für solche 3D-Berechnungen auf den Markt – entwickelt von der Animationsfilm-Firma Pixar, die das dahinterstehende Verfahren auch in ihren Kino-Produktionen verwendete.

Doch wegen der damals noch nicht ausreichenden Rechenleistung mussten Pixar und spätere Anbieter – darunter bald auch Siemens – mit der stark vereinfachenden Annahme arbeiten, dass sich Licht nur entlang gerader Strahlen ausbreitet. Dadurch hat das so genannte "Ray-Casting" den Nachteil, dass die damit generierten Bilder zwar dreidimensional sind, aber immer noch wenig realistisch und plastisch wirken – ein bisschen wie ein alter Zeichentrickfilm.

Der Informatiker Engel beschäftigte sich bei Siemens ab Ende der 1990er Jahre mit Raycasting und Möglichkeiten zu dessen Verbesserung, 2001 stieß der Ingenieur Schneider dazu. Im Jahr 2014 dann folgte der Umstieg auf das laut Engel "komplett neue Verfahren", das ebenfalls aus der Trickfilm-Produktion entlehnt ist: das sogenannte Path-Tracing (Lichtpfad-Verfolgung). Dank exponentieller Fortschritte bei der Rechenleistung wurde es damit erstmals möglich, 3D-Darstellungen so realitätsnah zu berechnen, dass sie täuschend echt aussehen.

Der Schlüssel zu den besseren Bildern – ob von Filmfiguren oder aus dem Körperinneren – ist die präzise Berechnung der Ausbreitung von virtuellen Lichtstrahlen, die auf Organe, Gewebe, Knochen und Gefäße treffen und von diesen zum Teil absorbiert, zum Teil durchgelassen und zum Teil reflektiert, gestreut oder überlagert werden. Auf diese Weise lässt sich ein Modell aus einer Vielzahl von Einzelpunkten im dreidimensionalen Raum erzeugen, das dann aus beliebigen Perspektiven betrachtet werden kann.

Allerdings nutzen Studios wie Pixar riesige Rechenzentren und haben wochenlang Zeit, um ihre Filme im Computer entstehen zu lassen. In der Medizin dagegen muss es schnell gehen, und nicht jedes Krankenhaus hat einen Supercomputer im Keller. Außerdem sind die Anforderungen hier noch höher, weil der Pfad der vielen Photonen nicht nur bis zur Oberfläche von Figuren und Objekten berechnet werden muss, sondern bis tief in den Körper hinein.

Deutscher Zukunftspreis: Team 1 (6 Bilder)

Das nominierte Team aus Robert Schneider, Klaus Dieter Engel und Franz A. Fellner (v.l.n.r.).  (Bild: Ansgar Pudenz / Deutscher Zukunftspreis)

Also brauchte es neue Algorithmen, die dafür sorgen, dass der Rechenaufwand maßvoll bleibt, das Ergebnis aber trotzdem überzeugend ist. Engel entwickelte einen ersten Prototypen und musste seinen Kollegen nicht lange überreden, bei dem neuen Verfahren mitzumachen. "Es war für mich schon immer ein Traum, irgendwann einmal medizinische Daten fotorealistisch zu rendern", sagt Schneider. Im Sommer 2015 begann die Zusammenarbeit mit Fellner, der sich als Radiologe in Linz und Aufsichtsratsmitglied des dortigen Zukunftsmuseums Ars Electronica Center mit virtueller Anatomie beschäftigte.

Mittlerweile ist das Verfahren, das in Anlehnung an die Kino-Ursprünge als "Cinematic Rendering" bezeichnet wird, in die Siemens-Software syngo.via integriert, die bei CT- oder MRT-Geräten mitgeliefert wird. Ebenso funktioniert es aber mit älterer Hardware, die auch von anderen Herstellern stammen kann, und mit in der Vergangenheit aufgenommenen Bildern.

Die Vorteile sind vielfältig. Zwar bestehen laut Engel manche Radiologen darauf, dass sie auf klassischen 2D-Schnitten mehr erkennen können als auf seinen hyperrealistischen 3D-Bildern. Doch es habe auch schon mindestens einen Fall gegeben, bei dem eine feine Unterkieferfraktur erst dank Cinematic Rendering erkannt wurde. Zudem wird der Austausch zwischen Radiologen und anderen Ärzten und den Patienten erleichtert, wenn auch Nicht-Spezialisten auf den Bildern etwas erkennen können. Und wie Schneider erklärt, ist das Verfahren auch beim Planen von heiklen Operationen eine große Hilfe: Beim Schädel etwa könne man vorab sehen, wie dick oder dünn der Knochen ist und wo Blutgefäße verlaufen, die man keineswegs durchtrennen darf.

(sma)