Schluss mit lustig: Wahlkampf 2017 - ein letzter Kommentar

Es gab schon Aufreger in diesem Wahlkampf. Wenn man die Wahl für wichtig hält - tut aber nicht jeder. Wie auch immer: Beteiligen Sie sich auch zwischen den Wahlen an der öffentlichen politischen Diskussion. Sie ist sehr gut, betont Clemens Gleich.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 541 Kommentare lesen
Dem Deutschen Volker, Inschrift am Reichstag, dem Sitz des deutschen Bundestags

Inschrift am Reichstagsgebäude, dem Sitz des deutschen Bundestags

(Bild: Manfred Grund, Public Domain (Lizenz Creative Commons CC0))

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Zur Bundestagswahl gab es zwei große Aufreger. Der eine war, dass die reaktionäre AfD wohl Sitze im Bundestag erhält. Der andere war ausgerechnet die PARTEI, hier lokal fürderhin der erträglicheren Typographie wegen "die Partei" genannt, im Vertrauen, dass Sie als Leser im Kontext zwischen der Partei und einer Partei unterscheiden können. Beide Aufreger sind nur welche, wenn die Wahl etwas ganz, ganz, ganz Wichtiges ist, nicht nur statistisch für das Volk im Sinne einer hohen Wahlbeteiligung, sondern auch individuell als demokratisches Ritual für den einzelnen Bürger.

Ein Kommentar von Clemens Gleich

Clemens Gleich saß vor langer Zeit als c't-Redakteur in einem Büro des Heise-Verlags, bevor ihn einschneidende Erlebnisse dazu brachten, fürderhin in den Sätteln von Motorrädern sein Geld zu verdienen. Doch einmal Nerd, immer Nerd: Als freier Autor schreibt er immer noch über Computerthemen. Und das ganze Drumherum an gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen.

Wie wichtig einem die Wahl scheint, hängt hauptsächlich daran, wie hoch man die Macht der Politik auf die Gesetzgebung einschätzt im Umfeld aller mit hineinredenden Mitspieler. Denn dass die Politik nicht alleine alles machen kann, zeigt fast jedes verabschiedete Gesetz. Doch diese Einschätzung muss mangels absolut belastbarer Daten im Herzen jedes Einzelnen vollzogen werden. Wenn dabei herauskommt, dass die Wahl für Sie praktisch wurscht ist: legitimer Standpunkt. Wenn jedoch herauskommt, dass die Wahl eines der wichtigsten Events des demokratischen Lebens ist, werden Sie die Aufreger recht gut nachvollziehen können. Lassen Sie uns daher zur Vereinfachung der Diskussion vom verbreiteten zweiten Fall ausgehen: Die Wahl ist voll wichtig.

Wenn die Wahl als sehr wichtig angenommen wird, gelangen wir sofort ans Ende jedes Konsens. Denn die wichtige Wahl muss auch richtig ausgeführt werden, was heißt: Jeder soll das wählen, das ich gut finde oder zumindest erträglich. AfD wählen geht gar nicht, auch nicht aus Protest, niemals, gar nicht. Aber auch die Partei geht gar nicht, weil jede Stimme für die Partei ja auch GEGEN die AfD stimmen könnte. Das Problem dabei: Jede Stimme an eine Partei mit Regierungsbeteiligung ist mindestens potenziell eine Stimme für "weiter Merkel". Die Bewertung gut oder schlecht möchte ich hier außen vor lassen. Es dürfte nur nachvollziehbar sein, dass mancher Bundesbürger nach all den Jahren doch einmal etwas Anderes möchte als die "gemeinsame Lösung" mit Handraute.

Wahlprogramme 2017

Zusammenfassung der Programme und Positionen der Parteien zu den Themen Digitalisierung und Netzpolitik.

Herr Lindner, der uns als dorniges Business-Bekleidungs-Model von FDP-Plakaten herunter mit Motivationskalendersprüchen überschwemmt hat, wird nur unter Merkel irgendwas mit Regierung machen. Die SPD hat sich selbst so weit in die Irrelevanz manövriert, dass für sie dasselbe gilt. Schwarz-Grün ist auf dem derzeitigen Kurs eine längst überfällige Konstellation auf Bundesebene. Nur bei den Extremen kann der Wähler sicher sein, dass er eine Stimme gegen ein Weiterregieren der CxU unter Merkel abgibt. AfD. Linke.

Und dann sind wir da, wo es zwackt: Wenn weder Merkel noch die Extreme passen, will man vielleicht genau deswegen die Partei wählen. Das nun wertet der Mensch vom Typ "Wahl ist voll wichtig" erstaunlich häufig als verachtenswerte Tat. Die taz befand Partei wählen als "das Letzte", als "bourgeois, elitär und amoralisch" und letztendlich schlimmer als AfD wählen, weil die AfD zumindest Politik machen wolle statt sich nur überheblich darüber lustig. Da sind wir schon nahe am Godwin-Ende der Diskussionsfähigkeit.

Die Streitgespräche um die Partei zeigen sehr schön, wie wichtig die kernpolitische Arbeit der Parteien gesehen wird und wie unwichtig alles Andere. Die Partei macht sich über Politik lustig, indem sie den Finger dahin legt, wo es manchmal tatsächlich noch wehtut. Ihre Schublade "Satire" knarzt daher. Besser passen würde vielleicht "politisches Kabarett", denn die Partei gibt dem Systemunmut Stimmen und Gesichter. Und letztendlich, wenn wir ehrlich sind, macht sie wahrscheinlich mehr politisch relevante Arbeit als alle anderen Parteien vergleichbarer Wahlprozentsätze.

Das stellen wir schon daran fest, wie präsent sie in der Öffentlichkeit ist, obwohl sie in der Wahl keine Relevanz erlangt. Als die AfD Gold zur Aufbesserung der Parteikasse verkaufte, verkaufte die Partei Geldscheine. Das war an der Oberfläche ein flacher Lacher, darunter ging es jedoch um das Parteienfinanzierungsgesetz, das danach gegen Missbrauch geändert wurde. Die Partei, so argumentiert Martin Sonneborn, engagiert sich also tatsächlich auch ernsthaft politisch. Und diese Argumentation schrieb er jüngst unter einen Facebook-Bildtext, was zeigt, dass unter dem "lustig, lustig" durchaus ernste Anliegen schlummern. Dasselbe sehen wir bei Kançler-Kandidat Serdar Somuncu, dessen Ärger über die Kritik an diesem auch seinen politischen Projekt ganz ernst vor dem obligatorischen "Sie ist sehr gut." steht.

Zur Bundestagswahl 2017

Der Parteiwähler findet in seiner Wahl also ein Ventil, sich politisch zu betätigen, obwohl er die politische Bühne derzeit für fernbleibenswert hält. Wenn über die Partei geredet wird, geht es um Politik. Das ist sehr gut. Der politische Diskurs wird unterschätzt, gerade in unseren Zeiten der Lager, Gräben und Blasen. Wäre den Wahlwerbern denn lieber, Parteiwähler zögen sich zurück in die amorphe Masse des kaum erforschten Nichtwählers? Das glaube ich nicht. Sie sollen wählen. Aber keine Sachen, die ich doof finde. Das ist doch auch keine demokratische Haltung. Und dieselbe Kritik gilt für die Haltung gegenüber AfD-Wählern.

Wenn wir ein Thema suchen, das jeder AfD-Wähler unterschreibt, finden wir das sicher nicht in ihrem merkwürdigen Wahlprogramm, das (wie bei jeder Partei) nur ein Bruchteil der Wählerschaft überhaupt liest. Nein, sie eint ihr kurzer Schlachtruf: "Weg mit Merkel!" Viele Veränderungen der letzten Zeit fühlten sich für eine nicht zu unterschätzende Menge der konservativen Wähler an wie ein Erdrutsch, der unter ihren ohnmächtigen Füßen passiert. Da hätten sie sich von der CxU beruhigend konservative Politik gewünscht, ein paar ins hinterhältige Erdreich getriebene Pfosten aus Holz, Stahl oder Beton – bekannte, beruhigende Materialien. Doch in den teils stürmischen Veränderungen zeigte sich die Passivität, die Politik der Merkel-Ära so kennzeichnet. Wer nichts tut, tut nichts Falsches, denkt man. Stimmt aber eben nur kurzzeitig. Das Ende der langfristigen Argumentationskette heißt nun: AfD im Bundestag, wie bei Trump oder dem Brexit gefolgt von einer lange angestauten Woge aus Wut und Hass.

Und das schockiert den liberalen Bundesbürger. Ein schwarz-weißes Facebook-Bild erinnert ihn an die Dreißiger, als die NSDAP Schritt für Schritt die Weimarer Republik demontierte. Hier wäre es schön, wenn sich das Interesse auf mehr Faktoren richtete als nur den Einzug der Hitler-Partei ins Parlament. Als die NSDAP nach der vorigen Irrelevanz erstmals Relevanz im Parlament erlangte, fuhr das Deutsche Reich vorher gegen den Eisberg der Weltwirtschaftskrise. Die reaktionären deutschen Militäroberen hatten nach dem ersten Weltkrieg heimlich auf Pump gerüstet, nur deshalb hatte das Dritte Reich "plötzlich" Luftwaffe und Panzerzahlen, auf die Großbritannien lange warten musste, denn die Briten hatten dies nicht getan. Nationalsozialistischer und kommunistischer Terror überzog die Straßen. Selbst sehr stark vereinfacht wird kaum jemand bestreiten, dass der 1. WK letztendlich in den 2. WK führte. Das gehört alles dazu, wenn man untersuchen möchte, was ein Ereignis bedeuten könnte.

Die Gefahr lag damals, liegt heute also nicht darin, dass der olle Gauland jetzt in Berlin sitzt. Das könnte ja sogar sehr gut ausgehen, indem AfD-Politiker dieselben ultrarechten Positionen, für die vorher eine CxU/SPD ohne Wimpernzucken gestimmt hätte, fürderhin unmöglich machen. Oder wenn, wie in Großbritannien, nach so einem Schock eine Gegenbewegung aufschwingt.

Nein, die wahre Gefahr liegt in einer instabilen Weltlage. Davon haben wir auch heute weiß Gott genug. Da reicht es aber nicht, einmal pro Periode für liberalere Parteien als die AfD zu stimmen. Wenn die Erdnüsse Schimmel zeigen, kratzen Sie ja auch nicht nur den Schimmel weg und stellen sich den Rest ins Gesicht, sondern Sie werden das Problem verrottender Lebensmittel grundlegender angehen müssen. Und dazu gehört der öffentliche politische Diskurs, den auch und gerade die Partei befördert. Mehr miteinander sprechen statt nur Beleidigungsgranaten über die Grabenwälle werfen. Beteiligen Sie sich auch zwischen den Wahlen an der öffentlichen politischen Diskussion. Sie ist sehr gut.

Siehe zur Wahl 2017 auch auf Telepolis:

(jk)