Kontroverse um Piraterie-Studie der EU-Kommission

Die von der EU-Kommission jahrelang nicht veröffentlichte Piraterie-Studie hat eine kontroverse internationale Debatte ausgelöst. Die Industrie und Aktivisten fühlen sich durch unterschiedliche Teile der Studie in ihren Überzeugungen bestätigt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 42 Kommentare lesen
Kontroverse um Piraterie-Studie der EU-Kommission
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
Inhaltsverzeichnis

Die Ergebnisse der im Auftrag der EU-Kommission erstellten, aber lange zurückgehaltenen Studie zu Auswirkungen von Raubkopien, werden von EU-Kommission, Musikindustrie und Bürgerrechtlern höchst unterschiedlich gewertet. So widersprach eine Sprecherin der EU-Kommission gegenüber heise online dem Eindruck und versicherte, dass die Kommission "nichts absichtlich verberge". Die Studie sei der Europaabgeordneten Julia Reda (Piraten/Grüne) inzwischen per Mail zugestellt worden, da der volle Online-Zugang zu dem Dokument einige Verarbeitungszeit benötige. Reda hatte die Studie zur "Abschätzung von Verdrängungseffekten von urheberrechtlich geschützten Inhalten in der EU“ vorher öffentlich gemacht.

Überdies stelle die Studie "nirgendwo" den Verdrängungseffekt von Raubkopien in Frage, ergänzte die Sprecherin: "Die relevantesten Ergebnisse der Studie kommen an dem Beispiel der Top-100-Blockbuster-Filmen in sechs Ländern zu dem Schluss, dass fast die Hälfte (40 Prozent) der illegal angesehen Filme rechtmäßige Verkäufe generiert hätten, wären der illegale Inhalte nicht online gewesen." Die anderen Ergebnisse der Studie seien "statistisch nicht beweiskräftig".

Zentrale Ergebnisse der Studie zweigen unterschiedliche Verdrängungseffekte für verschiedene Content-Branchen.

Julia Reda entgegnete dieser Stellungnahme mit dem Hinweis, dass eine statistische Geringfügigkeit lediglich bedeute, dass die Wahrscheinlichkeit eines Ergebnisses zu klein ist, um daraus Schlussfolgerungen ziehen zu können. Die Kommission könne nicht im Umkehrschluss daraus folgern, dass diese Ergebnisse nicht relevant seien und gleichzeitig sich "nur die Kirschen herauspflücken", die zu ihrem Narrativ passten. Reda verwies zur weiteren Verständlichkeit der Signifikanzfrage auf einen Cartoon von xkcd.

Der Verband der italienischen Musikindustrie FIMI dagegen interpretiert die Studie ähnlich wie die Kommission: Die ermittelten Zahlen ließen mit Ausnahme der Filmindustrie keine Aussage über die Wirkung von Raubkopien zu. Das von verschiedenen Verbänden der Content-Branche wie etwa der Motion Picture Association und dem European Publishers Council unterhaltene Portal Netopia vermisst ein Peer-Review und hält die Studie für unzureichend, weil sie beispielsweise nur die Verkaufszahlen zwischen 2009 und 2013 behandelt. Mit diesem engen Zeitfenster werde aber nicht die große Wirkung erfasst, die Raubkopien seit 1999 auf die Musikindustrie ursprünglich ausübten.

TheTrichordist, ein Portal, auf dem sich "Künstler für ein ethisches und nachhaltiges Internet" einsetzen, hält die Studie aus ähnlichen Gründen für irreführend. Der Befund der Studie, dass Raubkopien in Summe keine negative Wirkung auf Umsätze in der Musikindustrie haben, blende den durch Raubkopien erzeugten massiven Preisverfall aus, der Musikschaffende dazu zwinge, ihre Werke in lizenzierten Umgebungen nahezu zum Nullpreis anzubieten.

Das dänische Magazin Techstart sowie die US-Portale Gizmodo und Techdirt heben hingegen hervor, dass die Kommission für die Studie 369.871 Euro aus öffentlichen Mitteln an die niederländische Beratungsfirma Ecorys bezahlt hatte. Techdirt verweist darauf, dass das Fehlen groß angelegter Studien es bisher der Copyright-Industrie leicht ygemacht habe, verschärfende Gegenmaßnahmen zu fordern.

Die Bürgerrechtsorganisation "European Digital Rights" (EDRI) geht davon aus, dass die Kommission die Veröffentlichung der Studie absichtlich unterdrückt hat, da sie in einem 2016 veröffentlichten wissenschaftlichen Aufsatz von zwei Kommissionsbeamten nur die Befunde der Studie zitierte, die ihre Politik unterstützte und hierfür die Ecorys-Studie nicht zitierte. Die Studie stellte lediglich im Bereich von Filmen und Serien eine signifikante Verdrängungsrate fest. EDRI streicht hervor, dies sei laut der Studie darauf zurückzuführen, dass die Befragten die verlangten Preise für zu hoch halten. Entsprechend könnten illegale Downloads mit einer vernünftigen Preispolitik verhindert werden. (mho)