Facebook als Hilfs-Sheriff: Kritik an Auslagerung der Rechtsdurchsetzung im Netz

Wenn der Gesetzgeber die Durchsetzung von Recht im Internet immer mehr in die Hand von Privaten legt, bleiben Meinungs- und Informationsfreiheit schnell als Kollateralschaden auf der Strecke, hieß es auf einer Konferenz von Europarat und OSZE.

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Kritik aus OSZE und Europarat an Outsourcing der Rechtsdurchsetzung im Internet an Private

Die Konferenz wurde geleitet von Clemens Koja, Roland Faber und Harlem Désir.

(Bild: osce.org)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Monika Ermert

Microsoft, Google, Apple, Telefonica, die Deutsche Telekom und Verbände kleinerer Provider bekommen künftig einen Platz am Tisch der Regulierer des Europarats in Straßburg. Ist das gute Multi-Stakeholder-Praxis oder werden aus Hilfs-Sheriffs dann auch noch Ersatzgesetzgeber? Auf einer Konferenz des Europarats und Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am Freitag in Wien ging es um die Folgen der zunehmenden Privatisierung der Rechtsdurchsetzung im Internet.

66.000 Postings blockiert Facebook allein in einer Woche, darunter sind laut dem OSZE-Beauftragten für Medien- und Meinungsfreiheit, Harlem Désir auch legale Inhalte, zum Beispiel Artikel von Journalisten. Informationen zum derartigen Overblocking gibt es nicht. Nach Ansicht von Experten in der Konferenz ist das eine systembedingte Folge von Gesetzen wie dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz. So komme ein Gesetzgeber seiner Verpflichtung nicht nach, Meinungs- und Informationsfreiheit zu garantieren.

Im Europarat in Straßburg soll im Laufe dieser Woche daher eine neue Empfehlung angenommen werden, die die Aufgaben und Pflichten von Staaten und Internetplattformen aller Art klar formuliert. Darin wird die direkte und auch die indirekte Monitoring-Pflicht für Service Provider verboten. Auch soll den Gesetzgebern auferlegt werden, vorab auch die negativen Folgen für die Informationsfreiheit abzuschätzen. Überdies sollen Regierungen von den Plattform-Betreibern verlangen, dass sie alle Eingriffe in den freien Informationsaustausch transparent machen, gleich ob die Zensur Ergebnis von Verwaltungsverfahren, Gerichtsbeschlüssen, private Beschwerden oder Unternehmenspolitik sei.

Auch wenn Provider manchmal näher an der Quelle illegaler Aktivitäten sitzen, dürfe der Staat ihnen nicht alles übertragen, sagte in Wien Jan Kleijssen, Direktor Information Society and Action against Crime des Europarats. Wie Staat und Internetplattform im Kampf gegen Internetkriminalität, Austausch elektronischer Ermittlungsergebnisse oder der Moderation von Inhalten enger zusammenarbeiten können, will der Europarat nun durch die engere Zusammenarbeit mit den Providern klären.

Dazu werden die großen Plattform-Betreiber jetzt durch einen offiziellen Briefwechsel akkreditiert und sitzen dann am Tisch mit den 47 Mitgliedsstaaten, wenn es um neue Netzpolitik geht. Mehrere Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaftler warnten allerdings vor dem, was sie den "GAFFA-Trugschluss" nannten. Wenn die Regulierer sich stets an den Internetriesen orientieren, wird es nur noch Riesen im Netz geben, sagte Joe McNamee von European Digital Rights.

Auf der Tagung in Wien wurde auch deutlich, dass die zu Hilfs-Sheriffs gepressten Riesen längst eigene Ideen von Regulierungsinitiativen haben. Da das Gesetz oft hinterher hinke, sperrt Facebook Terroristen in eigener Initiative aus, sagte Aibhinn Kelleher von Facebook; als Beispiel nannte er Boko Haram, das in den USA erst spät als Terrororganisation gelistet worden sei. Schnitzer ihrer Prüfer, etwa die Löschung von Beiträgen über die ethnischen Säuberungen gegen die Royhinga, seien natürlich nicht auszuschließen. Auch Google organisiert nach eigenen Angaben gerade seine eigene weltweite Konsultation zu Terrorpropaganda. Das Unternehmen erhofft sich davon wohl mehr Klarheit für den Umgang damit, als klassische Gesetzgebung das bislang liefern konnte. (anw)