IPv4-Adressen immer knapper: Adressklau sogar mit gefälschter Sterbeurkunde

Not macht erfinderisch. Doch auf der Jagd nach den rar gewordenen IPv4-Adressen greifen Trickser inzwischen zu makabren Mitteln, berichten die Adressverwalter des RIPE NCC.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 235 Kommentare lesen
IP-Adressklau: Sorry, ich lebe noch

(Bild: IEEE, Andrew de la Haije)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Monika Ermert

Über hundertmal haben die Adressverwalter des Network Coordination Center beim Réseaux IP Européens (RIPE NCC) im laufenden Jahr bereits Untersuchungen zum Diebstahl von IP-Adressen gestartet, vier mal so viel wie im ganzen Jahr 2015. Weil die IPv4-Adressen mittlerweile knapp und am Markt recht teuer geworden sind, verlegen sich Adressdiebe auf immer neue Tricks. Selbst vor der Vorlage einer gefälschten Sterbeurkunde schrecken sie nicht zurück, berichtete Andrew de la Haije, COO des RIPE NCC, beim 75. Treffen des RIPE in Dubai.

Dem ursprünglichen Inhaber mussten die verdatterten Adressverwalter aus Amsterdam mitteilen, dass er doch vor drei Monaten das Zeitliche gesegnet habe – die Sterbeurkunde liege vor. Die Aufklärung solcher Fälle macht mittlerweile einen erklecklichen Teil ihrer Arbeit aus, berichtete de la Haije der versammelten RIPE-Gemeinschaft. Insgesamt 65-mal haben die Adressverwalter im Geschäftsjahr 2016-2017 Adressen eingezogen, ein ganzer /14 Block (rund 250.000 Einzeladressen) kam dabei zusammen. Eingesammelt wurden im gleichen Zeitraum auch rund 30.000 Adressen, die verwaist waren und von niemandem mehr genutzt wurden.

Im September 2012 hat das RIPE NCC die letzten IPv4-Adressen nach dem regulärem Verfahren ausgegeben. Seither ist die Nachfrage nach dem nun noch knapperen Gut IPv4-Adresse groß. Abgesehen von den Tricksereien hat sie den Adressverwaltern auch eine Riesenwelle neuer Mitgliedschaften beschert: Weil jeder akzeptierte Antragsteller ein kleines Päckchen aus dem dafür reservierten Block 185/8 erhält, zählt die Selbstregulierungsorganisation heute rund 17.000 Mitglieder. Vor 10 Jahren war es gerade mal ein Drittel (5.500 in 2007).

Die Erstausstattung, ein /22-Block mit 1024 Adressen, soll den Neulingen eigentlich den Brückenbau zwischen der alten IPv4- und der neuen IPv6-Welt ermöglichen. Zwar hat der
weltweite IPv6-Anteil bei Google inzwischen schon 20 Prozent erreicht, heise.de kommt übrigens in der Spitze aktuell auf 28 Prozent. Aber noch ist die IPv4-Welt größer.

Traditionell dominieren Telekommunikations- und IT-Dienstleister die RIPE-Gemeinschaft. Doch Adresshändler könnten künftig eine größere Rolle spielen, wenn sie weiterhin immer neue Mitgliedschaften erwerben, um das Begrüßungsgeschenk – ein /22-Block mit 1024 IPv4-Adressen – abzustauben.

(Bild: IEEE, Andrew de la Haije)

Ein ganzes Providernetz lässt sich mit dem /22-Begrüßungsblock kaum betreiben. Doch für Adresshändler ist das Päckchen derzeit als Handelsware sehr interessant. Einzelne Händler haben daher in den vergangenen Jahren versucht, beim RIPE durchzusetzen, dass Mitglieder mehr als eine Zuteilung aus dem letzten Block bekommen können. Vorschläge in diese Richtung scheiterten genauso wie Gegenvorschläge, die Adressreserven vielmehr noch weiter zu strecken und statt eines /22 einmalig nur noch ein /24 zu vergeben.

Viele RIPE-Mitglieder sind auf die Adresshändler nicht gut zu sprechen. Bei der gemeinschaftlichen Entwicklung der Regeln hätten die Händler sinnvolle Dinge blockiert. Methoden wie gefälschte Sterbeurkunden sind hingegen nicht nur ärgerlich, sondern justiziabel. (ea)