Gute Arbeit, schlechte Arbeit

Seit Jahren streiten sich Experten, ob künstliche Intelligenz mehr Arbeitsplätze vernichtet als schafft. Dabei ist das eigentliche Thema nicht die Zahl der Jobs, sondern die Bedingungen, unter denen Menschen künftig arbeiten werden.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Frithjof Zeumli

Dieser Artikel-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft ist ab 9.11.2017 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Mit dem Wort „Digitalisierung“ hätte John Maynard Keynes nichts anfangen können. Siri und Cortana, Watson und Alexa, der putzige Pepper und der robuste Baxter – all die Bots und Roboter, denen wir so gern menschliche Spitznamen geben, waren unvorstellbar, als der Wirtschaftsgelehrte 1930 seinen Essay „Economic Possibilities for our Grandchildren“ schrieb. Nicht einmal Grundlagenforscher arbeiteten damals an Computern, Chips oder künstlicher Intelligenz (KI). Doch Keynes hatte im wahrsten Sinn des Wortes Ahnung von dem, was heutzutage die Menschen in den Industrienationen umtreibt: Automatisierung und Robotik. Der Brite sah, wie die Produktivität in den Fabriken stieg, prophezeite der Landwirtschaft eine ähnliche Entwicklung und kam zu dem Schluss, in 100 Jahren dürften 15 Stunden pro Woche reichen, um all das zu tun, was Maschinen nicht erledigen können. Nach drei Stunden hätte der Durchschnittsmensch Feierabend und könnte edleren Tätigkeiten nachgehen, als schnödem Mammon nachzujagen.

Zumindest bis hierhin liest sich das Gedankenspiel des linksliberalen Ökonomen erstaunlich aktuell. Bereits heute gibt es Sparkassenfilialen, an deren Schaltern nur noch dienstags und donnerstags Menschen sitzen, und das auch bloß als Zugeständnis an die wenigen verbliebenen „Nonliner“, zumeist Kundinnen aus dem benachbarten Seniorenheim. Allerdings haben diese Angestellten nicht bei vollem Gehalt den Rest der Woche frei, sondern arbeiten dann in anderen Zweigstellen oder im Büro. Anders als in Keynes’ rosiger Utopie hat technischer Fortschritt der Menschheit nicht so viel Wohlstand beschert, dass Geldverdienen bis 2030 zur Nebensache werden dürfte. Innovation führte eben nicht nur zu Rationalisierung, sondern schuf gleichzeitig neue Märkte und Millionen Jobs – jedenfalls in den erfolgreichen, exportstarken Volkswirtschaften Europas und Asiens. Deutschland kann als gutes Beispiel dienen: In den

20 Jahren nach der Wende fielen zwar 3,8 Millionen Industriejobs weg – weit mehr als die Gesamtbelegschaft sämtlicher volkseigenen Fertigungsstätten beim Zusammenbruch der DDR. Im Gegenzug entstanden jedoch fast neun Millionen Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor. Seit 2011 steigt sogar die Beschäftigtenzahl in der Produktion wieder: Sie liegt jetzt bei 10,6 Millionen, mehr als eine halbe Million über dem vor sieben Jahren erreichten historischen Tiefststand. Dieses Jahr könnte die Arbeitslosenquote unter die Sechs-Prozent-Marke sinken. Im alten Bundesgebiet hatte sie 2016 bereits den niedrigsten Wert seit der Vereinigung erreicht.

Nie gab es so viele Erwerbstätige wie heute. So verwundert es kaum, dass nicht nur die Arbeitgeber abwehrend reagierten, als die IG Metall vor ein paar Wochen wagte, ein Teilzeitmodell ins Gespräch zu bringen, bei dem die Wochenarbeitszeit auf Wunsch des Arbeitnehmers bis zu zwei Jahre lang auf 28 Stunden verkürzt würde.

Erik Brynjolfsson, Professor an der Sloan School of Management des Massachusetts Institute of Technology MIT, ist daher auch für die Zukunft zuversichtlich. Noch über Jahrzehnte „gibt es auf unserem Planeten keinen Mangel an Aufgaben, die nur ein Mensch übernehmen kann“, sagt er. Anfang 2014 hatte der Direktor der MIT-Initiative für Digitale Ökonomie mit seinem Kollegen Andrew McAfee die Debatte über die Zukunft der Arbeit mit dem Buch „The Second Machine Age“ angezettelt. Heute ärgert er sich über den Verlauf der Diskussion. Immer werde nur über die Quantität von Arbeit gesprochen, dabei sei das wesentliche Thema die Qualität. Nicht „Was arbeiten wir morgen?“ muss demnach die wesentliche Frage lauten. Sondern: „Wie arbeiten wir morgen?“ Das große Thema der Digitalisierung ist vorläufig nicht die Abschaffung der Arbeit. Sondern ihre Neuerfindung. Was also machen wir aus dieser Chance?

(rot)