Die sieben Todsünden der KI-Vorhersagen

Falsche Extrapolationen, begrenzte Vorstellungskraft und andere Fehler halten uns davon ab, produktiver über die Zukunft der künstlichen Intelligenz nachzudenken.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Rodney Brooks

Dieser Artikel-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft ist ab 9.11.2017 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Um uns herum herrscht eine Hysterie darüber, wie mächtig künstliche Intelligenz eines Tages wird – und was sie dann mit unseren Jobs anstellt. Vor Kurzem sagte ein Artikel voraus, dass Roboter in 10 bis 20 Jahren die Hälfte der heutigen Jobs übernehmen werden. Von rund einer Million Stellen für Straßenbauarbeiter in den USA sollen gar nur 50000 übrig bleiben.

Solche Behauptungen sind lächerlich. Wie viele Roboter sind derzeit in diesen Jobs im Einsatz? Null. Wie viele realistische Demonstrationen gab es in diesem Bereich? Null. Ähnliches gilt für alle vergleichbaren Branchen.

Diese Vorhersagen führen zu unberechtigten Ängsten, sei es vor dem Verlust von Arbeitsplätzen oder vor einer künstlichen Intelligenz, die uns vernichten will. Wir müssen diesem fehlerhaften Denken entgegentreten. Aber worauf beruht es? Ich sehe sieben Gründe:

Roy Amara war Mitgründer des Institute for the Future in Palo Alto, dem intellektuellen Herzen des Silicon Valley. Er hat eine Faustregel aufgestellt, die bis heute als „Amaras Gesetz“ bekannt ist:

Wir neigen dazu, die Wirkung einer Technologie kurzfristig zu überschätzen und auf lange Sicht zu unterschätzen.

Es steckt viel drin in diesen 16 Wörtern. Ein Optimist kann sie auf die eine, ein Pessimist auf die andere Art lesen. Ein großartiges Beispiel dafür ist das Satellitennavigationssystem GPS. Es wurde 1978 gestartet, um das US-Militär zu unterstützen. Doch in den 1980er-Jahren stand es mehrfach auf der Kippe. Der erste bestimmungsgemäße Einsatz erfolgte erst 1991 im Irak-Krieg.

Heute wird GPS auf eine Art und Weise genutzt, die damals unvorstellbar war. Es bringt Flugzeuge ans Ziel, überwacht Straftäter und Lastwagenflotten, es verrät dem Bauern, wo er auf seinen Feldern wie viel säen muss. Würde es ausgeschaltet, würden wir uns nicht einfach nur verirren: Wir wären unterkühlt, hungrig und wahrscheinlich tot.

Ein ähnliches Muster sehen wir auch bei anderen Technologien der letzten 30 Jahre – ob Genomsequenzierungen, Sonnenenergie, Windkraft oder die Lieferung von Lebensmitteln nach Hause: Zuerst ein großes Versprechen, anschließend Enttäuschung und dann langsam wachsendes Vertrauen in Ergebnisse, bis diese letztlich die ursprünglichen Erwartungen übertreffen.

Künstliche Intelligenz wurde immer wieder überschätzt, in den 1960ern, in den 1980ern, und ich glaube jetzt auch wieder. Ihre langfristigen Auswirkungen werden hingegen gleichzeitig unterschätzt. Die Frage ist aber: Wie lang ist langfristig? Die nächsten sechs Denkfehler erklären, warum dieser Zeitraum stark unterschätzt wird.

(grh)