Europarat: Faktenchecks wirkungslos gegen "Informationsverschmutzung"

Im Kampf gegen Desinformation im Internet müssen die emotionalen und rituellen Aspekte der Kommunikationsverbreitung stärker bedacht werden, heißt es in einem Bericht des Europarats zur wachsenden "Informationsunordnung".

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(Bild: dpa, Tobias Hase/Symbolbild)

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Initiativen wie der ARD-Faktenfinder oder Facebooks Kooperation mit dem Netzwerk Correctiv, die der Verbreitung von Falschmeldungen im Internet entgegenwirken sollen, sind weitgehend wirkungslos. Dies ist der Tenor eines Berichts zur zunehmenden "Informationsunordnung", den der Europarat am Dienstag veröffentlicht hat. Darin ist nachzulesen: "Einfach nur mehr 'faktische Informationen' in das Ökosystem hineinzudrücken, ist eine potenzielle Verschwendung von Zeit und Ressourcen, wenn dabei nicht die emotionalen und rituellen Kommunikationselemente ausreichend verstanden werden."

Die Autoren, Claire Wardle vom Journalismuszentrum First Draft am Shorenstein Center der Harvard Kennnedy School und der iranische Schriftsteller, Blogger und Forscher Hossein Derakhshan, halten es bei ihrer Einschätzung im Auftrag des Staatenbundes mit dem US-Theoretiker James Carey. Dieser sah Kommunikation weniger als Informationsaustausch zwischen zwei Personen, sondern vielmehr als Instrument, um gemeinsame Glaubensüberzeugungen herzustellen. Wichtig sei es dabei, ein gewisses Drama zu erzeugen, also die mit- und gegeneinander kämpfenden Mächte in der Welt abzubilden.

"Problematische Inhalte" seien besonders "erfolgreich", erläutern die Verfasser in diesem Sinne, wenn sie "mit den Emotionen der Leute spielen und Gefühle wie Überlegenheit, Ärger oder Angst hervorrufen". Diese Faktoren trieben gerade Nutzer sozialer Netzwerke dazu, Inhalte untereinander zu teilen, um sich mit ihren Online-Gemeinschaften in Form moderner "Stämme" zu verbinden. Da Plattformen wie Facebook darauf angelegt seien, sich öffentlich über Likes, Kommentare oder geteilte Postings darzustellen, lasse sich leicht erahnen, "warum sich emotionale Inhalte so schnell und so weit verbreiteten" und selbst eine "Explosion" an Faktenprüfern dem wenig entgegensetzen könne.

Die historische Wirkung von Gerüchten, Propaganda und erfundener Geschichten sei gut dokumentiert, schreiben die Wissenschaftler. Mit den sozialen Medien entstehe aber eine ganz neue Qualität in Form einer "Informationsverschmutzung auf globaler Ebene". Diese werde getrieben von einem "komplexen Netz aus Motivationen", um solche "verunreinigten" Botschaften zu kreieren, zu verbreiten und zu konsumieren, einer Vielzahl an neuen Inhaltskategorien sowie Techniken, diese zu streuen sowie unzähligen Hosting- und Reproduktionsplattformen. Dazu komme die "atemlose Geschwindigkeit", mit der miteinander vernetzte und vertraute Personen Nachrichten austauschen könnten.

Als Beispiele beleuchten die Autoren Fälle wie die große Aufmerksamkeit, die eine Falschmeldung über die angebliche Unterstützung von Papst Franziskus für den US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump auf sich gezogen habe, die angebliche russische Einflussnahme durch Trolle auf den US-Wahlkampf sowie die Auseinandersetzungen um den Brexit. Die Auswirkungen solcher Informationsstörungen auf die Demokratie seien in ihrer ganzen Breite noch gar nicht absehbar. Die Verfasser warnen vor allem vor langfristigen Folgen von Desinformationskampagnen, die speziell darauf ausgerichtet seien, Misstrauen zu säen sowie Verwirrung zu verbreiten und bestehende soziokulturelle Klüfte mithilfe nationalistischer, ethnischer, rassistischer und religiöser Spannungen zu verschärfen.

Den teils politisierten Modebegriff "Fake News" lehnen die Forscher ab, unterscheiden demgegenüber lieber verschiedene Formen kommunikativen Rauschens wie Missinformation, die ohne Absicht geteilt werde, gezielte Desinformation oder das Veröffentlichen kompromittierender privater Informationen. Um dagegen mit effektiven Lösungen vorzugehen, müssten die spezifischen Motivationen verschiedener "Agenten" von Einzelpersonen über menschliche Netzwerke und soziale Gruppen bis hin zu Social Bots genauso analysiert werden wie die unterschiedlichen ausgesandten Formen von Botschaften und die Faktoren, unter denen letztere von diversen Zielgruppen aufgenommen werden.

Wardle und Derakhshan folgern: "Wir müssen Gerüchte und Verschwörungen mit ansprechenden und mächtigen Erzählungen bekämpfen, die sich derselben Techniken bedienen wie Desinformation." Es sollte also etwa darum gehen, emotionale Antworten mit starken visuellen Aspekten zu finden und diese mehrfach zu wiederholen. Die tägliche Informationsaufnahme von Netzbürgern nur mit gegenläufigen trockenen Nachrichten anzureichern, bringe Filterblasen nicht zum Platzen. (vbr)