Europäisches Patentamt: Gewerkschaft rechnet in 95 Thesen mit der Behördenspitze ab

Die Mitarbeitervertretung SUEPO hat frei nach Luther ein Manifest zum sozialen Unfrieden am Europäischen Patentamt verbreitet. Die Vorwürfe gegen das Management reichen von Taubheit gegenüber der Belegschaft bis hin zu Vetternwirtschaft.

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Europäisches Patentamt: Gewerkschaft rechnet in 95 Thesen mit der Behördenspitze ab
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Passend zum Reformationstag hat die Internationale Gewerkschaft im Europäischen Patentamt SUEPO am Dienstag frei nach Martin Luther 95 Thesen an der Zentrale der Behörde in München "angeschlagen". In dem sechsseitigen Papier, das heise online vorliegt, erhebt die Mitarbeitervertretung schwere Vorwürfe gegen das Management und vor allem gegen den noch amtierenden Chef Benoît Battistelli. Dieser habe die Organisation "taub und blind für die Sorgen" der Belegschaft gemacht und deren Vertreter disziplinarisch verfolgt. Ein solcher Konfrontationskurs sei "zum Scheitern verurteilt".

Im Zentrum der Kritik steht davon von Battistelli federführend mit eingeführte Beurteilungssystem, das hauptsächlich auf Produktivität ziele und "jedes Jahr höhere Zahlen abverlangt". Ein solcher Ansatz schaffe falsche Anreize und "führt zu einem überhöhten Arbeitsdruck", der wiederum auch Oberflächlichkeit und Fehler verursache und so einer höheren Effizienz abträglich sei. Fehlerhaft erteilte Patente wiederum behinderten unrechtmäßig den Wettbewerb und seien ein gefundenes Fressen für Trolle. Darunter leide die europäische Wirtschaft insgesamt und insbesondere der Mittelstand.

Kernaufgabe des Europäischen Patentamtes (EPA) sei im Einklang mit dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) die "Sach- und Formalprüfung" von Anträgen, unterstreicht die Gewerkschaft. Diese dürfe nicht vernachlässigt werden, um die Produktivität sowie und das Einkommen des EPA und seiner Vertragsstaaten zu steigern. Verschlimmernd dazugekommen sei Vetternwirtschaft: Die engsten Vertrauten des Präsidenten seien in kurzer Zeit von einfachen Verwaltungsbediensteten zu Hauptdirektoren aufgestiegen. Sie hätten sich selbst durch Änderungen des Karrieresystems "nennenswerte Gehaltsteigerungen" und berufliche Freiheiten genehmigt. Sein eigenes Gehalt sowie die ihm ausgezahlten Zuschläge und Kostenvergütungen halte Battistelli geheim.

Die Hälfte der Direktoren "in der Sachprüfung" sowie "alle Manager in der Patentverwaltung" seien ihrer Funktion enthoben worden, heißt es weiter. Der Präsident beschneide sogar die Feiertage, indem er die Arbeitsfreiheit am Reformationstag 2017 sowie an Allerheiligen und Fronleichnam von 2018 an gestrichen habe. Dass Battistelli ein "Paket zur Schlechterstellung seiner Beamten" unter dem Aufhänger "Social Democracy" anpreise, zeige Gleichgültigkeit und mangelnden Respekt gegenüber den Mitarbeitern.

Das EPA sehe sich weder an nationales oder europäisches Arbeitsrecht oder Datenschutzrichtlinien, noch an internationale Übereinkünfte wie die Menschenrechtskonventionen gebunden, monieren die Verfasser. Es genieße nach Ansicht der Führung eine nahezu absolute Immunität vor der Gerichtsbarkeit und Rechtsdurchsetzung durch nationalen Behörden. Die SUEPO plädiert daher dafür, Battistelli noch vor dem offiziellen Ende seiner Amtszeit im kommenden Juni abzusetzen und umfassende Reformen einzuführen. Der Franzose selbst sieht sich seit Langem von einer "Mafia-ähnlichen" Gewerkschaftskampagne fälschlich diskreditiert und weist die Beschwerden regelmäßig zurück. (axk)