Wissenschaftlerin fordert mehr Abgrenzung von "Schreihälsen im Netz"

Foren im Internet und Social Media bieten Menschen Gelegenheit, sich öffentlich zu äußern. Oft aber sind Kommentare unflätige oder gar gewaltverherrlichend. Die Rostocker Medienwissenschaftlerin Prommer stellt den Wert solcher Foren generell in Frage.

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Menschenmenge mit Masken

(Bild: Gerd Altmann, Lizenz Public Domain (Creative Commons CC0))

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Joachim Mangler
  • Jürgen Kuri
  • dpa
Inhaltsverzeichnis

Die Medienwissenschaftlerin Elizabeth Prommer fordert von klassischen Medien wie Tageszeitungen, Radio und Fernsehen, sich stärker von "Schreihälsen" im Internet abzugrenzen. "Journalisten lassen sich teilweise extrem durch Reaktionen im Netz irritieren und vermitteln dann das Gefühl, das ist "die Meinung" da draußen", sagte Prommer gegenüber dpa. Die Wissenschaftlerin leitet das Institut für Medienforschung an der Universität Rostock.

Nur etwa drei Prozent der Leser, Hörer oder Zuschauer würden ihre Meinung zu bestimmten Inhalten über soziale Medien veröffentlichen oder per Mail kundtun. "Das zeigt: All das, was im Netz kommentiert, geschrien und gehetzt wird, ist nicht "die Meinung" der Allgemeinbevölkerung", erklärte Prommer. Wenn überhaupt, würden Beiträge meist mit einem Smiley oder einem kurzen "das ist cool" kommentiert.

Bei Zeitungen oder Radio- und Fernsehsendern, bei denen eine Registrierung notwendig ist, sei die Zahl der Kommentierer sogar verschwindend klein, sagte Prommer unter Berufung auf die Ergebnisse mehrerer Studien. Die Medien könnten sich angesichts der gering ausgeprägten Neigung zu öffentlichen Äußerungen bei nahezu allen Lesern, Hörern oder Zuschauern überlegen, die Kommentarspalten einfach abzuschalten und ihre Inhalte nicht kommentieren zu lassen. Das habe nichts mit Zensur zu tun, meinte die Medienwissenschaftlerin.

Der Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbands, Hendrik Zörner, sieht diese Einschätzung Prommers kritisch: Die Abschaffung der Kommentar-Möglichkeiten wäre seiner Ansicht nach ein Rückschritt. Die Foren seien eine Antwort der Nachrichtenportale auf das Bedürfnis vieler Menschen, sich zu äußern. Auch wenn viele Kommentare gelöscht werden müssten, sei es doch wichtig für die Menschen, ein Podium zu bekommen.

Prommer gibt außerdem zu bedenken, wie viel Arbeitskraft die Pflege der Kommentarspalten benötige, um dort schlimmste Hetzereien und illegale Äußerungen zu löschen. Dies sei Arbeitszeit, die besser in Redaktionsarbeit investiert werden solle.

Journalisten könnten dann wieder raus auf die Straße und in die Wohnbezirke gehen und mit den "echten Leuten" reden. Denn auch in der Krise der klassischen Medien zeige sich, dass auf Journalisten, die sauber recherchierten und die Dinge einordneten, nicht verzichtet werden könne.

Die Einschätzung von Prommer allerdings muss man nicht teilen. Denn dass Diskussionsforen bei Medien auch zu eben dieser Information der User beitragen können und somit Teil der Medien werden, berücksichtigte Prommer in ihrer Analyse offensichtlich nicht.

Auch ist die Kommentierungsfreudigkeit der Nutzer in relativ offenen Foren wie etwa den heise-Foren ungebrochen, im Unterschied zu den Medien, die eher restriktiv mit Forenkommentaren umgehen bzw. gar keine Kommentare ohne Vorabprüfung zulassen. Offene Kommentarforen sind ein Ort, in dem sich User frei äußern können, und erscheinen damit als Wert an und für sich. Und sie sind auch (mittlerweile unverzichtbares) Korrektiv für die Medien, das diese nur zu nutzen wissen müssen. (jk)