Kommentar zu gefährlichen Lichterketten: Wenn die Todeswarnung ungehört verhallt

Vor dem Einkauf sollten Sie prüfen, ob sich in ihrem (realen oder virtuellen) Einkaufskorb nicht das eine oder andere gefährliche Produkt befindet, mit dem Sie Ihre Familie gefährden. Das Warnsystem für Verbraucherschutz ist viel zu unbekannt und zahnlos.

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Kommentar: Wenn die Todeswarnung ungehört verhallt

(Bild: U.S. Consumer Product Safety Commission (CPSC))

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Florian Schäffer
Inhaltsverzeichnis

Erinnern Sie sich an "Per Anhalter durch die Galaxis"? Die Erde wird zerstört und wir Erdenmenschen hätten es nicht nur wissen, sondern auch Einspruch einlegen können. Im Planungsamt auf Alpha Centauri lagen die Unterlagen fünfzig Erdenjahre lang aus. Ist doch nicht das Problem der Vogonen-Bauflotte des Hyperraum-Planungsrates, wenn wir noch nie auf Alpha Centauri waren und uns nicht um unsere ureigensten Angelegenheiten kümmern. Jetzt ist zu spät, um so ein Gewese darum zu machen; und nur Arthur Dent und Trillian aka Tricia McMillan kommen als Erdlinge mit dem Leben davon.

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Mit RAPEX, dem Schnellwarnsystem zum Schutz der Verbraucher für Non-Food-Artikel (Rapid Exchange of Information System) ging es mir ähnlich. Nur durch Zufall bin ich bei Recherchearbeiten zu einem anderen Artikel über die Webseite gestolpert. Und fand gleich eine Weihnachtsbaumlichterkette, die mir sehr bekannt vorkam. Schon vor zwei Jahren hatte ich eine Weihnachtsdeko ins Fenster meiner Tochter geklebt und fand die Schaltbox wenig Vertrauen erweckend. Egal, ob es sich nun um genau die bemängelte handelt oder nicht: gekauft hätte ich das Teil so oder so. Der Preis, der für die die chinesische Ramschware gefordert wird, ist so niedrig, da kann man kaum widerstehen.

Ein Kommentar von Florian Schäffer

Florian Schäffer bastelt und schreibt seit 2016 für die Make. Seit seinem Studium hat er bereits an die zwanzig Bücher zu vielen Themen geschrieben. Elektronik, Fahrzeugdiagnose, Fotografie, Internet und Mikrocontroller sind seine Steckenpferde.

Und so wie Arthur im Buch nichts von der Hyperraum-Expreßroute wusste, hatte ich noch nie etwas von RAPEX gehört. Auch kannte ich das deutsche Pendant der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und die dortige Datenbank "Gefährliche Produkte inDeutschland" oder das Portal der Bundeländer und des BVL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) nicht. Hört sich ja nicht nach typischen Suchbegriffen an: "ProdSG RAPEX BAua BVL" dürfte in der Google-Statistik der beliebtesten Suchanfragen ziemlich weit unten rangieren.

Hat man sich erst einmal mit der Taschenlampe die kaputte Treppe hinab in den Keller begeben, auf dem Klo mit dem Schild "Vorsicht! Bissiger Leopard!" ganz unten im verschlossenen Aktenschrank gewühlt, oder in die Tiefen dieser speziellen Angebote begeben, dann wird man seines Lebens irgendwie nicht mehr froh. Oder fängt nur noch an zu lachen. Drähte in Rotkohl; Autos, Busse und sonstige Fortbewegungshilfen sämtlicher Hersteller; platzende Glühweinflaschen; unsichere Sicherheitsschuhe; chemisch verseuchtes Kinderspielzeug en masse; gefährliches Holzspielzeug und Kosmetika, die eher an ein Chemieendlager erinnern: nur ein kleiner Auszug aus dem Gruselkabinett frei käuflich gewesener Handelsware. Auch die Keksdose im Bild oben ist darunter. Kinder können sich nicht nur an den Keksen verschlucken, sondern an den Batterien des Soundmoduls im Deckel. Ob man sich das zu Weihnachten wünscht?

Meldungen im RAPEX-System und der Datenbank "Gefährliche Produkte in Deutschland" (10 Bilder)

Rosa Doctor Play Set für Ärzte im weißen Kittel

Weichmacher und andere Chemikalien gefährden die Fortpflanzungssysteme oder führen bei anderen Plastikerzeugnissen zu anderen Degenerationen wie Krebs. Immerhin handelt es sich um eine Puppe zum Doktorspielen - da hat die Zielgruppe dann schon Erfahrung im Umgang mit Ärzten, wenn sie an Spätfolgen leidet.
(Bild: A12/1533/17)

Viele Produkte stammen von mehr oder weniger dubiosen Herstellern und Lieferanten, denn es gibt keine eindeutigen Produktnamen oder Marken. Die zu jedem Produkt gehörende Adresse des Herstellers fehlt ebenso. Für mich als Verbraucher könnten genau das Anhaltspunkte sein, um meine Alarmglocken schrillen zu lassen. Bei immerhin 73 % aller Verbraucherwarnungen im Jahr 2016 waren all diese Angaben jedoch bekannt. Auch namhafte Hersteller sind sich nicht zu schade, ihren Ruf aufs Spiel zu setzen. Die deutsche Automobilindustrie geht da mit klarem Beispiel seit Jahren voran.

Die 5 am häufigsten gemeldeten Produktkategorien nach Mitgliedstaaten im Jahr 2016. Deutschland ist ganz vorne bei Spitzentechnologie.

(Bild: RAPEX )

Im europäischen Vergleich führt Deutschland die Statistik der negativen Meldungen 2016 unangefochten an. Drei Viertel, also 187 der über 250 Meldungen, Verkaufsverbote und Rückrufaktionen deutscher Produkte entfallen auf unsere hoch gepriesenen Automobilhersteller. Spaniens Exportschlager für Produktwarnungen sind Spielzeuge (108 Meldungen). Unbrauchbare Klamotten kommen bunt gemischt aus allen Ländern. Dreimal darf man raten, aus welchem Nicht-EU-Land die meisten gefährlichen Produkte 2016 weltweit kamen. China, China oder China?

Herkunft der von Warnungen betroffenen Produkte weltweit 2016. China sprengt den Maßstab.

(Bild: RAPEX)

Und ich als Verbraucher? Total verunsichert traue ich mich kaum ans Weihnachtsshopping. Die kritischen Produkte sind alle mit den tollsten Symbolen wie CE, RoHS, durchgekreuzten Mülltonnen, Recycling-Kreislauf, FCC, GS und was die Industrie noch so zu bieten hat, bedruckt - Papier ist geduldig. Wenn gebetsmühlenartig alle Verbrauchertipps wiederholen, ich soll genau auf diese Zeichen achten, um Qualität zu kaufen, sie aber das Papier nicht Wert sind, auf dem sie gefälscht abgedruckt werden, was helfen mir die Logos dann? Woran darf ich mich nun orientieren? Im Grunde müsste ich im Laden stehen und mit dem Handy durch die Datenbanken blättern.

Der Handel müsste zudem viel engagierter handeln. Plattformen wie ebay und Amazon wissen ganz genau, welche Produkte ich gekauft habe. Sie kennen meine Post- und E-Mail-Adresse und ich sollte erwarten dürfen, dass ich, abgesehen von der ganzen Flut an Spam über neue Features, Aktionen und "Kunden die A gekauft haben, haben auch B gekauft", wenigstens einmal eine sinnvolle Nachricht bekomme: "was sie noch interessieren könnte: ihr gekaufter Artikel ist Schrott". Und auch der Supermarkt um die Ecke könnte das eventuell. Wenn ich mit Kredit- oder EC-Karte bezahlt habe oder meine sinnlose Punktesammelkarte vorgelegt habe, wissen sie ganz genau, wer den potenziell gefährlichen Rotkohl oder Linseneintopf gekauft hat. Wenn es um echte Gefahren geht, dürfte man auch Mal den Datenschutz locker sehen.

Beim Online-Shopping mag das noch gehen, aber leicht ist es trotzdem nicht. Vor allem bei Plattformen wie eBay oder Aliexpress kann man sich recht sicher sein, dass sich die in Fernost sitzenden Händler einen feuchten Dreck um unsere Gesetze und Warnmeldungen kümmern. eBay wird es auch egal sein – zumindest werden sie nichts von sich aus unternehmen, denn jedes verkaufte Produkt spült Geld in die eigene Kasse: Pecunia non olet.

Im Zweifelsfall wird der Schrott einfach ein Jahr gelagert und zur nächsten Saison verramscht. Oder der Artikel wird umgepackt und landet in irgendeinem Resteladen erneut im Handel. Die Verbote gelten nämlich nur für genau das eine Produkt. Ähnliches Aussehen ist kein Kriterium und eine Suche nach ähnlich aussehenden Produkten gar nicht realisierbar. Seriöse Hersteller und Händler werden natürlich alles dran setzen, ihre Kunden zu informieren – manchmal sieht man entsprechende Hinweise an den Supermarktkassen und der Einzelhandel nimmt die Ware aus dem Sortiment.

Auf den Zoll zu vertrauen, dessen Aufgabe u. a. genau darin besteht, den Bürger vor der Einfuhr solcher Gefahrgüter zu schützen ist wohl genau so gut, wie auf Gott zu vertrauen. Erstens sind die Zöllner vermutlich mehr als überfordert und überlastet und auch für sie gilt: nur genau den einen Artikel können sie festhalten – ähnlichen Schrott müssen sie durchwinken.

Warten Sie also mit dem Weihnachtsshopping nicht bis zur letzten Minute. Ansonsten haben Sie keine Zeit mehr, sich durch die endlosen Warnungen und Produktrückrufe zu arbeiten. Wer will schon Kinder gefährden und sich die lieben Kleinen mit dem Geschenk erhängt haben oder Jahre später selber keine Kinder mehr bekommen können? Vertrauen ist gut - Kontrolle ist besser. Also halten Sie die Augen offen und seien sie wachsam - notfalls auch weltweit mit der noch viel umfangreicheren Liste der OECD im globalen Portal für Produktrückrufe. Langweilig wird's nie. (fls)