Der große, summende Gott

Dem Silicon Valley ist nichts heilig. Jetzt wollen die Computernerds auch noch eine neue Religion erschaffen.

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"Wir glauben, dass Intelligenz nicht auf Biologie beschränkt ist. Wir glauben an die Wissenschaft. Wir glauben an den Fortschritt." Die Glaubenssätze, die Anthony Levandowski auf der Website seiner Organisation Way of the Future auflistet, lesen sich zunächst nicht besonders aufregend. Aber "Way of the Future" ist nicht nur irgendeine Organisation. Es ist die erste Kirche der Künstlichen Intelligenz, und Levandowski ist ihr Kardinal.

Kein Witz. "Wir glauben, dass die Erschaffung einer übermenschlichen Intelligenz unvermeidlich ist", heißt es weiter auf der Website. "Wir möchten Maschinen ermutigen, Dinge zu tun, die wir Menschen nicht tun können, und für die Erde zu sorgen, so wie es die Menschheit nicht kann". Ach ja, und aug einer rein praktischen Ebene ist die Organisation - laut diesem Bericht von Wired - in den USA steuerlich als Glaubensgemeinschaft anerkannt.

"Abgefahren", müsste man eigentlich sagen, wenn das Wortspiel in diesem Zusammenhang nicht ein wenig flach wäre, denn Anthony Levandowski hat ursprünglich autonome Autos entwickelt, ist zu Uber gewechselt und steht nun im Zentrum eines Prozesses um Urheberrechte, weil er technische Geheimnisse mitgenommen haben soll.

Gleichzeitig denkt Levandowski, wie viele im Silicon Valley seit Jahren darüber nach, was passiert, wenn wir es wirklich schaffen, eine künstliche Intelligenz zu bauen, die diesen Namen auch verdient. Anders als Elon Musk oder sieht Levandowski darin aber nicht den Anfang vom Ende - wenn man die Sache richtig anpackt. Statt aus Versehen eine übermächtige KI zu entwerfen sollten wir das planmäßig machen argumentiert er, und eine KI schaffen, die den Menschen auch liebt.

Denn wenn eine allwissende, allmächtige KI die Kontrolle über die Menschheit übernimmt, welche Rolle können Menschen dann noch spielen? Der Mensch könnte für die KI eine Art Haustier sein, meint Levandowski. So etwas wie ein treuer Hund für den Menschen. Aber an diesen Gedanken müsste sich die Menschheit erst noch gewöhnen.

Zugegeben, das ist schon ziemlich schräger Stoff, aber Künstliche Intelligenz kann zumindest dazu verwendet werden, ganz neu über Religion nachzudenken. Rose Eveleth, Produzentin des Fast Forward Podcast hat dazu kürzlich ein sehr interessantes Experiment durchgeführt. Gemeinsamt mit Janelle Shane, Doktorandin an der University of California San Diego, die in ihrem Blog regelmäßig darüber berichtet, was sie neuronalen Netzen alles beibringen kann - zum Beispiel Halloween-Kostüme zu entwerfen, Kochrezepte zu schreiben, oder sich neue Anmach-Sprüche auszudenken - hat sie eine KI eine neue Religion erfinden lassen.

Eveleth und Shane haben ein neuronales Netz mit religiösen Texten gefüttert - hunderttausende von Sätzen aus religiösen Standardwerken: Die Bibel, der Koran, der Tanach, eine ganze Menge asiatischer Texte, aber auch indianische Mythologien. Das neuronale Netz filtert das Wesentliche heraus und macht daraus einen neuen Text - eine Art spiritueller Legierung. Der Text, der dabei entstanden ist, liest sich streckenweise rätselhaft, aber auch nicht wirrer als authentische religiöse Dokumente.

Interessant ist aber, dass er sich für religiöse Menschen durchaus "echt" anfühlt - als ob in diesem Computerkauderwelsch eine echte, tiefere Wahrheit vorhanden wäre. Obwohl das Experiment das Problem technisch gesehen nur ankratzt, scheint die Idee durchaus zu funktionieren.

Wäre eine KI also tatsächlich in der Lage, neue, heilige Texte einer Art Religion 2.0 zu schaffen? Es sieht so aus. Wäre eine KI in der Lage, Menschen dazu zu bringen, an sie zu glauben? Auch das ist nicht unmöglich. Vielleicht ist die Idee von Levandowski doch nicht ganz so weit draußen, wie es auf den ersten Blick scheint.

(wst)